Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Wei­le war es ganz still in dem Zim­mer. Quan­gel sah vor sich hin auf den Tisch, mit ei­nem fast aus­drucks­lo­sen Ge­sicht.

      Der Kom­missar sah den Mann an. Er war fest da­von über­zeugt, dass die­ser Mann nicht so lang­sam und schwer­fäl­lig war, wie er jetzt tat, son­dern so scharf wie sein Ge­sicht und so rasch wie sein Auge. Der Kom­missar sah es als sei­ne ers­te Auf­ga­be an, die­se Schär­fe aus dem Mann her­vor­zu­lo­cken. Er woll­te mit dem schlau­en Kar­ten­schrei­ber re­den, nicht mit die­sem al­ten, von Ar­beit tö­richt ge­wor­de­nen Werk­meis­ter.

      Nach ei­ner Wei­le frag­te Esche­rich: »Was sind denn das da für Bü­cher auf dem Re­gal?«

      Lang­sam hob Quan­gel den Blick, sah einen Au­gen­blick den an­de­ren an und dreh­te dann den Kopf ruck­wei­se, bis das Bü­cher­re­gal ihm in Sicht kam.

      »Was das für Bü­cher sind? Da steht das Ge­sang­buch von mei­ner Frau und ihre Bi­bel. Und das an­de­re sind wohl al­les Bü­cher von mei­nem Sohn, der ge­fal­len ist. Ich lese kei­ne Bü­cher, ich be­sit­ze kei­ne. Ich habe nie gut le­sen kön­nen …«

      »Ge­ben Sie mir doch mal das vier­te Buch von links, Herr Quan­gel, das mit dem ro­ten Ein­band.«

      Lang­sam und vor­sich­tig nahm Quan­gel das Buch aus der Rei­he, trug es be­hut­sam, als sei es ein ro­hes Ei, an den Tisch und leg­te es vor den Kom­missar.

      »Otto Run­ges Ra­dio­bas­tel­buch«, las der Kom­missar laut vom De­ckel vor. »Na, Quan­gel, fällt Ih­nen nichts ein, wenn Sie dies Buch se­hen?«

      »Ein Buch von mei­nem Sohn Otto, der ge­fal­len ist«, ant­wor­te­te Quan­gel lang­sam. »Der hat­te es mit den Ra­di­os. Der war be­kannt, um den ha­ben sich die Werk­stät­ten ge­ris­sen, der kann­te jede Schal­tung …«

      »Und sonst fällt Ih­nen nichts ein, Herr Quan­gel, wenn Sie dies Buch se­hen?«

      »Nee!« Quan­gel schüt­tel­te den Kopf. »Ich weiß von nichts. Ich les nicht in so Bü­chern.«

      »Aber viel­leicht le­gen Sie was rein? Schla­gen Sie das Buch mal auf, Herr Quan­gel!«

      Das Buch öff­ne­te sich ge­nau an der Stel­le, wo die Kar­te lag.

      Quan­gel starr­te auf die Wor­te: »Füh­rer be­fiehl, wir fol­gen …«

      Wann hat­te er das ge­schrie­ben? Lan­ge, lan­ge muss­te es her sein. Ganz im An­fang. Aber warum hat­te er es nicht zu Ende ge­schrie­ben? Wie­so lag die Kar­te hier im Buch von Ot­to­chen?

      Und lang­sam däm­mer­te ihm eine Erin­ne­rung an den ers­ten Be­such sei­nes Schwa­gers Ul­rich Heff­ke. Da­mals war die Kar­te rasch fort­ge­steckt wor­den, und er hat­te an Ot­to­chens Kopf wei­ter­ge­schnitzt. Weg­ge­steckt und ver­ges­sen, von ihm wie von Anna!

      Das war die Ge­fahr, die er im­mer ge­fühlt hat­te! Das war der Feind im Dun­keln, den er nicht hat­te se­hen kön­nen, den er aber im­mer ge­ahnt hat­te. Das war der Feh­ler, den er ge­macht hat­te, der nicht zu be­rech­nen ge­we­sen war …

      Sie ha­ben dich!, sprach es in ihm. Jetzt hast du dich um dei­nen Kopf ge­spielt – durch dei­ne ei­ge­ne Schuld. Jetzt bist du ge­lie­fert.

      Und: Ob Anna ir­gen­det­was ge­stan­den hat? Si­cher ha­ben sie ihr die Kar­te ge­zeigt. Aber Anna hat trotz­dem ge­leug­net, ich ken­ne sie doch schon, und so wer­de ich es auch ma­chen. Frei­lich, Anna hat Fie­ber ge­habt …

      Der Kom­missar frag­te: »Nun, Quan­gel, Sie sa­gen ja gar nichts? Wann ha­ben Sie denn die Kar­te ge­schrie­ben?«

      »Ich weiß von der Kar­te nichts«, ant­wor­te­te er. »Ich kann so was gar nicht schrei­ben, da­für bin ich zu dumm!«

      »Aber wie­so kommt die Kar­te jetzt in das Buch Ihres Jun­gen? Wer hat sie denn da rein­ge­legt?«

      »Wie soll ich denn das wis­sen?«, ant­wor­te­te Quan­gel fast grob. »Vi­el­leicht ha­ben Sie die Kar­te sel­ber rein­ge­legt oder ei­ner von Ihren Leu­ten! Das hat man schon öf­ter ge­hört, dass Be­wei­se ge­macht wer­den, wo kei­ne da sind!«

      »Die Kar­te ist in Ge­gen­wart von meh­re­ren ein­wand­frei­en Zeu­gen in die­sem Buch ge­fun­den. Auch Ihre Frau war da­bei.«

      »Na, und was hat mei­ne Frau ge­sagt?«

      »Als die Kar­te ge­fun­den wur­de, hat sie so­fort ein­ge­stan­den, dass Sie der Schrei­ber sind, und sie hat dik­tiert. Se­hen Sie, Quan­gel, sei­en Sie jetzt nicht bock­bei­nig. Ge­ste­hen Sie ein­fach. Wenn Sie jetzt ge­ste­hen, sa­gen Sie mir nichts, was ich nicht schon weiß. Sie er­leich­tern aber Ihre Lage und die Lage Ih­rer Frau. Wenn Sie nicht ge­ste­hen, muss ich Sie zu uns auf die Ge­sta­po neh­men, und in un­serm Kel­ler ist es nicht sehr hübsch …«

      In der Erin­ne­rung, was er selbst in die­sem Kel­ler er­lebt hat­te, zit­ter­te die Stim­me des Kom­missars et­was.

      Er fass­te sich aber und fuhr fort: »Wenn Sie aber ge­ste­hen, so kann ich Sie gleich dem Un­ter­su­chungs­rich­ter über­ge­ben. Dann kom­men Sie nach Moa­bit, da wer­den Sie gut ge­hal­ten, ge­nau wie alle an­de­ren Ge­fan­ge­nen.«

      Aber der Kom­missar konn­te sa­gen, was er woll­te, Quan­gel blieb bei sei­nen Lü­gen. Esche­rich hat­te eben doch einen Feh­ler be­gan­gen, den der scharf­sin­ni­ge Quan­gel so­fort be­merkt hat­te. So weit war Esche­rich eben doch durch das schwer­fäl­li­ge We­sen Quan­gels und durch die Mit­tei­lun­gen sei­ner Vor­ge­setz­ten über ihn be­ein­druckt, dass er Quan­gel nicht für den Ver­fas­ser der Kar­ten hielt. Er war nur der Schrei­ber, die Frau hat­te sie dik­tiert …

      Dass er das aber wie­der­hol­te, be­wies Quan­gel, dass Anna nichts ge­stan­den hat­te. Das hat­te die­ser Bru­der sich nur aus­ge­dacht.

      Er leug­ne­te im­mer wei­ter.

      Schließ­lich brach Kom­missar Esche­rich das er­folg­lo­se Ver­hör in der Woh­nung ab und fuhr mit Quan­gel in die Prinz-Al­brecht-Stra­ße. Er hoff­te jetzt, dass die an­de­re Um­ge­bung, der Auf­marsch der SS-Män­ner, die­ser gan­ze dro­hen­de Ap­pa­rat den ein­fa­chen Mann ein­schüch­tern, ihn sei­ner Über­re­dung zu­gäng­li­cher ma­chen wür­de.

      Sie wa­ren im Zim­mer des Kom­missars, und Esche­rich führ­te Quan­gel vor den Stadt­plan von Ber­lin mit sei­nen ro­ten Fähn­chen.

      »Se­hen Sie das mal an, Herr Quan­gel«, sag­te er. »Je­des Fähn­chen be­deu­tet eine auf­ge­fun­de­ne Kar­te. Es steckt ge­nau an der Stel­le, wo sie ge­fun­den wur­de. Und wenn Sie sich nun ein­mal die­se Stel­len an­se­hen«, er tipp­te mit dem Fin­ger, »da se­hen Sie rings­her­um Fähn­chen über Fähn­chen, aber hier gar kei­ne. Das ist näm­lich die Ja­blons­ki­stra­ße, in der Sie woh­nen. Da ha­ben Sie na­tür­lich kei­ne Kar­ten ab­ge­legt, da sind Sie zu be­kannt …«

      Aber Esche­rich sah, dass Quan­gel gar nicht hin­hör­te. Eine selt­sa­me, un­ver­ständ­li­che Er­re­gung war über den Mann ge­kom­men beim An­blick des Stadt­pla­nes. Sein Blick fla­cker­te, sei­ne Hän­de zit­ter­ten. Fast schüch­tern frag­te er: »Das sind aber ’ne Men­ge Fähn­chen, wie vie­le mö­gen das wohl sein?«

      »Das kann ich Ih­nen ge­nau sa­gen«, ant­wor­te­te der Kom­missar, der jetzt be­grif­fen hat­te, was den Mann so er­schüt­ter­te. »Es sind 267 Fähn­chen, 259 Kar­ten und 8 Brie­fe. Und wie viel ha­ben Sie ge­schrie­ben, Quan­gel?«

      Der Mann schwieg,


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