Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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eine Sprit­ze mit so ’nem grü­nen Zeug, ich weiß nicht, wie es heißt. Und da­von müs­sen die Leu­te im­mer­zu kot­zen, sie kot­zen sich die See­le aus dem Lei­be, und plötz­lich sind sie weg. Mau­se­tot, Bal­dur, du wirst doch nicht wol­len, dass dein Va­ter so stirbt, in­dem er sich die See­le aus dem Lei­be kotzt, dein ei­ge­ner Va­ter! Bal­dur, sei gut, hilf mir! Nimm mich hier raus, ich habe sol­che Angst!«

      Aber Bal­dur Per­si­cke hat­te sich jetzt lan­ge ge­nug die­ses Ge­flen­ne an­ge­hört. Er mach­te sich von dem al­ten Per­si­cke ge­walt­sam los, drück­te ihn in einen Ses­sel und sag­te: »Na, dann mach’s gut, Va­ter! Ich wer­de die Mut­ter von dir grü­ßen. Und den­ke dar­an, dass da am Tisch noch eine Zi­ga­ret­te liegt. Wäre ja scha­de dar­um!«

      Da­mit ging die­ser ech­te Sohn ei­nes ech­ten Va­ters, bei­de ech­te Pro­duk­te hit­le­ri­scher Er­zie­hung.

      Bal­dur aber ver­ließ noch nicht die Trin­ker­heil­an­stalt, son­dern er ließ sich bei Herrn Ober­arzt Dr. Mar­tens mel­den. Er hat­te auch Glück, der Ober­arzt war so­wohl da wie auch zu spre­chen. Er be­grüß­te sei­nen Be­su­cher höf­lich, und einen Au­gen­blick sa­hen sich die bei­den vor­sich­tig mus­ternd an.

      Dann sag­te der Ober­arzt: »Wie ich sehe, sind Sie auf der Na­po­la, Herr Per­si­cke, oder irre ich mich?«

      »Nein, Herr Ober­arzt, ich bin auf der Na­po­la«, ant­wor­te­te Bal­dur stolz.

      »Ja, heu­te ge­schieht für un­se­re Ju­gend al­ler­hand«, mein­te der Ober­arzt, bei­fäl­lig ni­ckend. »Ich woll­te, ich hät­te in mei­ner Ju­gend auch sol­che För­de­rung er­fah­ren. Sie sind noch nicht zum Kriegs­dienst ein­ge­zo­gen, Herr Per­si­cke?«

      »Mit dem üb­li­chen Kom­miss wer­de ich wohl ver­schont wer­den«, sag­te nach­läs­sig-ver­ächt­lich Bal­dur Per­si­cke. »Ich wer­de wohl ir­gend­ein großes länd­li­ches Ge­biet zur Ver­wal­tung be­kom­men, Ukrai­ne oder Krim. Ein paar Dut­zend Qua­drat­ki­lo­me­ter.«

      »Ich ver­ste­he«, nick­te der Arzt. »Und Sie er­wer­ben jetzt die not­wen­di­gen Kennt­nis­se da­für?«

      »Ich ent­wi­cke­le mei­ne Füh­re­rei­gen­schaf­ten«, er­klär­te Bal­dur schlicht. »Für alle Fach­ge­schich­ten wer­de ich un­ter­ge­ord­ne­te Kräf­te ha­ben. Aber ich wer­de die Leu­te un­ter Dampf hal­ten. Und die Iwans wer­de ich schlei­fen. Es gibt viel zu viel von de­nen!«

      »Ich ver­ste­he«, nick­te wie­der Dr. Mar­tens. »Der Os­ten ist un­ser künf­ti­ges Sied­lungs­ge­biet.«

      »Ja­wohl, Herr Ober­arzt, in zwan­zig Jah­ren wird bis an die Küs­ten des Schwar­zen Mee­res, bis an den Ural kein Sla­we mehr le­ben. Al­les wird ein rein deut­sches Land sein. Wir sind die neu­en Or­dens­rit­ter!«

      Bal­durs Au­gen hin­ter der Bril­le blitz­ten.

      »Und das wer­den wir al­les dem Füh­rer zu ver­dan­ken ha­ben«, sag­te der Ober­arzt. »Ihm und sei­nen Ge­treu­en!«

      »Sie sind in der Par­tei, Herr Dok­tor Mar­tens?«

      »Lei­der nicht. Die Wahr­heit zu ge­ste­hen, ein Groß­va­ter von mir hat eine Tor­heit be­gan­gen, der be­kann­te klei­ne Web­feh­ler, Sie wis­sen?« Und ei­lig fort­fah­rend: »Aber die Sa­che ist bei­ge­legt und ge­ord­net, mei­ne Chefs sind für mich ein­ge­tre­ten, ich gel­te als rei­ner Ari­er. Ich möch­te sa­gen: ich bin es. In Kür­ze hof­fe ich auch, das Ha­ken­kreuz tra­gen zu dür­fen.«

      Bal­dur saß sehr ge­ra­de. Als rei­ner Ari­er fühl­te er sich sei­nem Ge­gen­über weit über­le­gen, der sol­che Hin­ter­trep­pen brauch­te. »Ich woll­te mit Ih­nen we­gen mei­nes Va­ters re­den, Herr Ober­arzt«, sag­te er, fast im Tone ei­nes Vor­ge­setz­ten.

      »Oh, mit Ihrem Va­ter geht al­les glatt, Herr Per­si­cke! Ich den­ke, in sechs, acht Wo­chen wer­den wir ihn als ge­heilt ent­las­sen kön­nen …«

      »Mein Va­ter ist nicht heil­bar!«, un­ter­brach ihn Bal­dur Per­si­cke schroff. »Mein Va­ter hat ge­trun­ken, seit ich den­ken kann. Und wenn Sie ihn hier vor­mit­tags als ge­heilt ent­las­sen, wird er nach­mit­tags bei uns be­trun­ken an­kom­men. Wir ken­nen die­se Hei­lun­gen. Mei­ne Mut­ter und mei­ne Ge­schwis­ter wün­schen, dass mein Va­ter den Rest sei­nes Le­bens hier ver­bringt. Ich schlie­ße mich die­sen Wün­schen an, Herr Ober­arzt!«

      »Ge­wiss, ge­wiss!«, be­eil­te sich der Arzt zu ver­si­chern. »Ich wer­de mit dem Herrn Pro­fes­sor dar­über spre­chen …«

      »Das ist ganz un­nö­tig. Was wir hier ver­ein­ba­ren, ist end­gül­tig. Soll­te mein Va­ter wirk­lich wie­der bei uns zu Hau­se ein­tref­fen, so wird da­für ge­sorgt sein, dass noch am glei­chen Tage eine neue Ein­lie­fe­rung hier er­folgt, und zwar ei­nes völ­lig be­trun­ke­nen Man­nes! So wür­de Ihre voll­stän­di­ge Hei­lung aus­se­hen, Herr Ober­arzt, und ich ste­he Ih­nen da­für, dass die Fol­gen für Sie nicht an­ge­nehm sein wür­den!«

      Die bei­den sa­hen ein­an­der durch ihre Bril­lenglä­ser an. Aber lei­der war der Ober­arzt ein Feig­ling: er senk­te vor dem scham­los fre­chen Blick Bal­durs das Auge. Er sag­te: »Ge­wiss ist bei Dip­so­ma­nen, bei Trin­kern, die Ge­fahr ei­nes Rück­falls stets groß. Und wenn Ihr Herr Va­ter, wie Sie mir eben be­rich­tet ha­ben, schon stets ge­trun­ken hat …«

      »Er hat sei­ne Knei­pe ver­sof­fen. Er hat al­les, was mei­ne Mut­ter ver­dient hat, ver­sof­fen. Und er wür­de heu­te noch al­les, was wir vier Kin­der ver­die­nen, ver­sau­fen, wenn wir es zulie­ßen. Mein Va­ter bleibt hier!«

      »Ihr Va­ter bleibt hier. Bis auf Wei­te­res. Wenn Sie spä­ter, even­tu­ell nach dem Krie­ge, bei ei­nem Be­such doch den Ein­druck ha­ben soll­ten, dass Ihr Herr Va­ter sich we­sent­lich ge­bes­sert hat …«

      Wie­der schnitt Bal­dur Per­si­cke dem Arzt das Wort ab. »Mein Va­ter wird kei­ne Be­su­che mehr emp­fan­gen, we­der von mir noch von mei­nen Ge­schwis­tern, noch von mei­ner Mut­ter. Wir wis­sen, er ist hier gut auf­ge­ho­ben, das ge­nügt uns.« Bal­dur sah den Arzt durch­drin­gend an, hielt sei­nen Blick fest. Wäh­rend er bis­her mit lau­ter, fast be­feh­len­der Stim­me ge­spro­chen hat­te, fuhr er nun lei­ser fort: »Mein Va­ter hat mir von ge­wis­sen grü­nen Sprit­zen ge­spro­chen, Herr Ober­arzt …«

      Der Ober­arzt fuhr ein we­nig zu­sam­men. »Eine rei­ne Er­zie­hungs­maß­nah­me. Ganz ge­le­gent­lich bei re­ni­ten­ten jün­ge­ren Pa­ti­en­ten an­ge­wandt. Schon das Al­ter Ihres Va­ter ver­bie­tet …«

      Wie­der wur­de er un­ter­bro­chen. »Mein Va­ter hat be­reits eine die­ser grü­nen Sprit­zen be­kom­men …«

      Der Arzt rief: »Das ist aus­ge­schlos­sen! Ver­zei­hung, Herr Per­si­cke, da muss ein Irr­tum vor­lie­gen!«

      Bal­dur sag­te streng: »Mein Va­ter hat mir von die­ser einen Sprit­ze be­rich­tet. Er er­zähl­te mir, sie habe ihm gut­ge­tan. Wa­rum wird er nicht wei­ter so be­han­delt, Herr Ober­arzt?«

      Der Arzt war völ­lig ver­wirrt. »Aber, Herr Per­si­cke! Eine rei­ne Er­zie­hungs­maß­nah­me! Der Be­han­del­te bricht stun­den­lang, oft ta­ge­lang da­nach!«

      »Na, und was wei­ter? Las­sen Sie ihn doch kot­zen! Vi­el­leicht macht ihm Kot­zen Spaß! Mir hat er ver­si­chert, die grü­ne Sprit­ze hät­te ihm gut­ge­tan. Er sehnt sich ge­ra­de­zu nach der zwei­ten. Wa­rum ver­wei­gern


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