Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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be­ru­hig­ter nach Haus – habe ich dem al­ten Man­ne doch einen Wunsch er­füllt!«

      Der Arzt sah sehr blass in das Ge­sicht sei­nes Ge­gen­übers.

      »Sie mei­nen also wirk­lich? Ich soll jetzt auf der Stel­le?«, mur­mel­te er.

      »Aber kann denn an mei­ner Mei­nung noch ein Zwei­fel be­ste­hen, Herr Ober­arzt? Ich fin­de Sie für einen lei­ten­den Arzt ent­schie­den ein we­nig weich. Sie hat­ten vor­hin wirk­lich ganz recht: Sie hät­ten eine Na­po­la be­su­chen und Ihre Füh­re­rei­gen­schaf­ten kräf­ti­ger ent­wi­ckeln müs­sen!« Und er füg­te bos­haft hin­zu: »Frei­lich gibt es bei Ihrem Ge­burts­feh­ler noch an­de­re Er­zie­hungs­mög­lich­kei­ten …«

      Nach ei­ner lan­gen Pau­se sag­te der Arzt lei­se: »Ich wer­de jetzt also ge­hen und Ihrem Va­ter sei­ne Sprit­ze ma­chen …«

      »Aber, bit­te, Herr Dok­tor Mar­tens, warum las­sen Sie das nicht den Ober­pfle­ger tun? Da es doch zu sei­nen Pf­lich­ten zu ge­hö­ren scheint?«

      Der Arzt saß in ei­nem schwe­ren Kampf mit sich. Es war wie­der ganz still im Zim­mer.

      Dann stand er lang­sam auf. »Ich wer­de also dem Ober­pfle­ger Be­scheid sa­gen …«

      »Ich be­glei­te Sie ger­ne. Ich in­ter­es­sie­re mich mäch­tig für Ihren Be­trieb. Sie ver­ste­hen, Aus­son­de­rung des nicht Le­bens­wer­ten, Ste­ri­li­sie­run­gen und so wei­ter …«

      Bal­dur Per­si­cke stand da­ne­ben, wie der Arzt dem Ober­pfle­ger sei­ne Wei­sun­gen er­teil­te. Dem Pa­ti­en­ten Per­si­cke sei die und die Sprit­ze zu ver­ab­fol­gen …

      »Also eine Kotz­sprit­ze, mein Lie­ber!«, sag­te Bal­dur huld­reich. »Wie viel ge­ben Sie denn im All­ge­mei­nen? Soso, na, ein biss­chen mehr wird auch nichts scha­den, was? Kom­men Sie mal, ich habe hier ein paar Zi­ga­ret­ten. Na, neh­men Sie schon die gan­ze Schach­tel, Ober­pfle­ger!«

      Der Ober­pfle­ger be­dank­te sich und ging, die Sprit­ze mit der grü­nen Flüs­sig­keit in der Hand.

      »Na, da ha­ben Sie aber einen rich­ti­gen Bul­len zum Ober­pfle­ger! Ich kann mir schon den­ken, wenn der da­zwi­schen­schlägt, gib­t’s Klein­holz. Mus­keln, Mus­keln sind das hal­be Le­ben, Herr Dok­tor Mar­tens! Na, denn noch mei­nen schöns­ten Dank, Herr Ober­arzt! Hof­fent­lich geht die Be­hand­lung recht er­folg­reich wei­ter. Na denn, Heil Hit­ler!«

      »Heil Hit­ler, Herr Per­si­cke!«

      In sei­nem Dienst­zim­mer an­ge­kom­men, sank der Ober­arzt Dr. Mar­tens schwer in einen Ses­sel. Er fühl­te, dass er an al­len Glie­dern zit­ter­te und dass kal­ter Schweiß sei­ne Stir­ne be­deck­te. Aber er fand noch kei­ne Ruhe. Er stand wie­der auf und ging an den Me­di­ka­men­ten­schrank. Lang­sam zog er sich eine Sprit­ze auf. Aber es war kei­ne grü­ne Flüs­sig­keit dar­in, so­sehr er auch Grund fühl­te, über die gan­ze Welt und sein Le­ben ins­be­son­de­re zu kot­zen. Dr. Mar­tens zog Mor­phi­um vor.

      Er kehr­te in sei­nen Ses­sel zu­rück, streck­te die Glie­der be­hag­lich aus, auf die Wir­kung des Nar­ko­ti­kums war­tend.

      Wie fei­ge ich doch bin!, dach­te er. Fei­ge zum Ekeln! Die­ser elen­de, fre­che Ben­gel – wahr­schein­lich be­steht der ein­zi­ge Ein­fluss, den er hat, in sei­ner großen Schnau­ze. Und ich bin vor ihm ge­kro­chen. Ich hät­te es nicht nö­tig ge­habt. Aber im­mer die­se ver­fluch­te Groß­mut­ter, und dass ich den Mund nicht hal­ten kann! Und da­bei war sie eine so rei­zen­de alte Dame, und ich habe sie so ge­liebt …

      Sei­ne Ge­dan­ken ver­lo­ren sich, er sah die alte Dame mit dem fei­nen Ge­sicht wie­der vor sich. In ih­rer Woh­nung roch es über­all nach dem Pot­pour­ri­topf mit Ro­sen­blät­tern und nach Anis­ku­chen. Sie hat­te eine so fei­ne Hand, eine alt­ge­wor­de­ne Kin­der­hand …

      Und ih­ret­we­gen habe ich mich vor die­sem Schuft ge­de­mü­tigt! Aber ich glau­be, Herr Per­si­cke, ich wer­de doch lie­ber nicht in die Par­tei ein­tre­ten. Ich glau­be, da­für ist es zu spät. Es hat schon ein biss­chen sehr lan­ge ge­dau­ert mit euch!

      Er blin­zel­te, er streck­te sich. Er at­me­te woh­lig, jetzt war ihm wie­der gut zu­mu­te.

      Ich wer­de gleich nach­her nach dem Per­si­cke se­hen. Mehr Sprit­zen be­kommt er je­den­falls nicht. Hof­fent­lich über­steht er’s. Gleich nach­her sehe ich nach ihm, erst ein­mal will ich die schöns­te Wir­kung ge­nie­ßen. Aber gleich nach­her – Ehren­wort!

      57. Otto Quangels anderer Zellengefährte

      Als Otto Quan­gel von ei­nem Auf­se­her in sei­ne neue Zel­le im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis ge­führt wur­de, stand ein großer Mann vom Tisch auf, an dem er le­send ge­ses­sen, und stell­te sich un­ter das Zel­len­fens­ter, in der vor­schrifts­mä­ßi­gen Hal­tung, mit den Hän­den an der Ho­sen­naht. Aber die Art, wie er die­se »Ehren­be­zei­gung« aus­führ­te, ver­riet, dass er sie nicht für sehr not­wen­dig hielt.

      Der Auf­se­her wink­te auch gleich ab. »Is ja jut, Herr Dok­tor«, sag­te er. »Da ha­ben Sie einen neu­en Zel­len­ge­fähr­ten!«

      »Schön!«, sag­te der Mann, der aber für Otto Quan­gel mit sei­nem dunklen An­zug, sei­nem Sport­hemd und Schlips mehr wie ein »Herr« als wie ein Zel­len­ka­me­rad aus­sah. »Schön! Mein Name ist Reich­hardt, Mu­si­ker. Kom­mu­nis­ti­scher Um­trie­be be­schul­digt. Und Sie?«

      Quan­gel fühl­te eine küh­le, fes­te Hand in der sei­nen. »Quan­gel«, sag­te er zö­gernd. »Ich bin Tisch­ler. Ich soll Hoch- und Lan­des­ver­rat be­gan­gen ha­ben.«

      »Ach, Sie!«, rief der Dr. Reich­hardt, der Mu­si­ker, dem Auf­se­her nach, der eben die Tür schlie­ßen woll­te. »Von heut an wie­der zwei Por­tio­nen, ja?«

      »Is ja jut, Herr Dok­tor!«, sag­te der Auf­se­her. »Weeß ich ja von al­lee­ne!«

      Und die Tür schloss sich.

      Die bei­den sa­hen sich einen Au­gen­blick prü­fend an. Quan­gel war miss­trau­isch, fast sehn­te er sich nach sei­nem Karl­chen Hund im Ge­sta­po­kel­ler zu­rück. Mit die­sem fei­nen Herrn, ei­nem rich­ti­gen Dok­tor, soll­te er nun zu­sam­men­le­ben – es war ihm un­be­hag­lich.

      Der »Herr« lä­chel­te mit den Au­gen. Dann sag­te er: »Tun Sie nur so, als wenn Sie al­lei­ne wä­ren, wenn Ih­nen das lie­ber ist. Ich wer­de Sie nicht stö­ren. Ich lese viel, ich spie­le mit mir selbst Schach. Ich trei­be Gym­nas­tik, um den Kör­per frisch zu er­hal­ten. Manch­mal sin­ge ich ein we­nig vor mich hin, aber nur ganz lei­se; es ist na­tür­lich ver­bo­ten. Wür­de Sie das stö­ren?«

      »Nein, das stört mich nicht«, ant­wor­te­te Quan­gel. Und fast wi­der sei­nen Wil­len setz­te er hin­zu: »Ich kom­me aus dem Bun­ker von der Ge­sta­po und habe da an die drei Wo­chen mit ei­nem Ver­rück­ten zu­sam­men­ge­sperrt ge­lebt, der ewig nackt war und Hund spiel­te. Mich stört so leicht nichts mehr.«

      »Gut!«, sag­te der Dr. Reich­hardt. »Noch schö­ner wär’s frei­lich ge­we­sen, wenn Sie Mu­sik ein we­nig ge­freut hät­te. Es ist die ein­zi­ge Art, sich hier in die­sen Mau­ern Har­mo­nie zu ver­schaf­fen.«

      »Da­von ver­steh ich nichts«, ant­wor­te­te Otto Quan­gel ab­wei­send. Und er setz­te hin­zu: »Es ist ein mäch­tig fei­nes Haus ge­gen das, wo ich ge­we­sen bin, was?«

      Der


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