Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien. Bebel August

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Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien - Bebel August


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vortrefflich ausnutzte, um seine See- und Kolonialmacht auf Kosten Frankreichs zur allbeherrschenden zu machen, das jetzt Rache nahm für die Hülfe, die Frankreich anderthalb Jahrzehnte zuvor der Unabhängigkeitsmachung der Vereinigten Staaten von England geliehen, dieses England sandte geheime Agenten über geheime Agenten, die mit Geld reichlich ausgestattet den inneren Kampf schüren mußten. Im Westen des Reiches erhob sich, ebenfalls von England unterstützt, die streng konservativ und kirchlich gebliebene Bevölkerung der Vendee und Bretagne, im Süden erhoben sich die theils royalistisch, theils girondistisch gesinnten Städte, vor allem Lyon, dessen Luxusindustrie unter all diesen Ereignissen außerordentlich litt. Im Konvent brach nach dem Sturz des Königthums der Kampf der verschiedenen bürgerlichen Parteien unter sich aus. Die kleinbürgerlichen Massen, hauptsächlich in den Klubs und speziell in dem Jakobinerklub organisirt, nahmen thatsächlich die Leitung der Ereignisse in die Hand und drängten den Konvent von Handlung zu Handlung. Vergebens suchten die Vertreter der eigentlichen Bourgeoisie, die Girondisten, zu widerstehen, sie unterlagen und endeten durch Ausstoßung oder auf dem Schaffot.

      Die Schreckensherrschaft begann. Das in seinen tiefsten Tiefen aufgeregte Volk, im Inneren von den royalistischen Verschwörungen bedroht, an den Landesgrenzen die europäischen Heere erblickend, welche drohten als Hersteller des Alten das ganze Land zu überziehen, von Arbeits- und Verdienstlosigkeit heimgesucht, vom Hunger gepeinigt, rapide Entwerthung des Geldes, rapide Verteuerung der Lebensmittel sehend, ohne sich all dies genügend erklären zu können, gerieth in Raserei. Die Gewaltszenen häuften sich und das Blut der Feinde der Republik und Derer, die man als Feinde des Volks ansah, floß in Strömen. Um der zunehmenden Verzweiflung der Massen zu steuern, war der Konvent gezwungen, das sog. Maximum einzuführen, d. h. den Preis festzustellen, zu dem die nothwendigsten Lebensmittel abgegeben werden mußten; und als 1794 abermals eine Hungersnoth drohte, weil die Verkäufer der Lebensmittel allerorts mit ihren Waaren zurückhielten, mußte er sogar die Rationirung des Brotes für die pariser Bevölkerung einführen. Aber da alle diese Maßregeln den ersehnten Zustand nicht herbeiführen wollten, Arbeitslosigkeit, Wucher, Geldentwerthung, Beunruhigung fortdauerten, die schönste Verfassung, welche die Welt gesehen, mit all ihren Freiheiten und Rechten, weder die Freiheit, noch die Gleichheit, noch die Brüderlichkeit begründete, der ganze Zustand immer wirrer aber auch unfaßbarer wurde und Keiner die Lösung des Räthsels fand, was war natürlicher, als daß man die Personen verantwortlich machte für die Dinge, deren Natur man nicht begreifen konnte! Eine Partei klagte die andere an, suchte sie als die Ursache des allgemeinen Unglücks zu vernichten. Die Royalisten waren in Schaaren geopfert, proskribirt, eingekerkert, flüchtig, die Girondisten waren vernichtet. Jetzt traf die Reihe die Dantonisten, ihnen folgten die Hebertisten, schließlich kamen die, welche alle Andern geopfert, die Terroristen, die Robespierrianer selbst an die Reihe. Diese „Tugendhaften“ hatten die Republik und das allgemeine Wohl nicht retten können; die ihnen jetzt in der Herrschaft folgten, die Männer der richtigen Mitte, des ehemaligen Sumpfes im Konvent, die Schlauberger, die es mit allen Parteien gehalten, um es mit keiner zu verderben, die keine Ideale und keine Leidenschaften besaßen, retteten auch weder die Republik, noch begründeten sie das allgemeine Wohl. An Beiden lag ihnen herzlich wenig, aber sie thaten etwas Besseres, sie retteten sich und das Wohl ihrer Klasse, und dies war schließlich das „allgemeine Wohl“.

      In allen Kämpfen und Wirrnissen der Revolution, als die Leidenschaften den höchsten Grad erreichten, andererseits die Begeisterung erglühte, die glänzendsten Gedanken, die bis dahin nur menschliche Hirne erfassen konnten, in Worte und Thaten sich umsetzten, gab es ein geheimnißvolles Etwas, das wie der Geist über den Wassern schwebte, mit dämonischer Kaltblütigkeit in alle Pläne und Projekte eingriff, sie förderte oder zerstörte, wie es seinem Interesse entsprach, dabei Allen sichtbar und doch unfaßbar war, diese Macht war — das Kapital. Das Kapital hatte unter all den Ruinen und Zerstörungen, welche die Revolution geschaffen, allein die Beute eingeheimst und schließlich den Sieg davon getragen. Das Kapital hatte aus allen inneren und äußeren Verlegenheiten des Königthums und der Republik den alleinigen Nutzen gezogen; es hatte die Güterkonfiskationen, die Assignatenwirthschaft, das Maximum, die Rationirungen, die Feldzüge mit ihren Waffen-, Bekleidungs- und Lebensmittellieferungen, die Waareneinfuhrsperre gegen England, kurz alle und jede Maßregel, welche die Konstituante, dann der Konvent, dann der Wohlfahrtsausschuß, jetzt das Direktorium im Interesse des Landes vollzogen, in seinem Nutzen auszubeuten und auszuschlachten gewußt. Mitten unter den Blutszenen der Revolution saß es bei der Ernte und berechnete kaltblütig die Profite, die ihm diese oder jene Maßregel der Gewalthaber abwerfen werde. Ueberall seine Agenten habend, in den Klubs, im Konvent, im Wohlfahrts- und im Sicherheitsausschuß, unter den Konventsdelegationen in den Provinzen, in der Leitung und Verwaltung der Armeen, in den Zivilverwaltungen der eroberten Staaten, Städte und Provinzen, machte es ungeheuere Gewinne. Es feierte Orgien wie nie zuvor und kaum je nachher. Die großen Vermögen wuchsen wie Pilze aus dem Boden, der Spekulations- und der Handelsgeist griff immer weiter um sich und beherrschte das ganze öffentliche und private Leben, alle Beziehungen der Menschen. Die Lehren eines Adam Smith fanden ganz spontan, aus der Natur der Dinge heraus, ihre Anerkennung und ihre Verwirklichung, und es kamen die Lobredner der neuen Ordnung, wie sie immer sich finden, sobald eine neue Macht im Besitz der Gewalt und dadurch im Recht ist, und streuten den Weihrauch und priesen die neue Welt als die beste aller Welten.

      Und da man während der Revolution, wie es die „tugendhaften“ Lehren eines Rousseau vorschrieben, äußerlich sehr einfach, sehr sparsam und sehr „tugendhaft“ gelebt hatte, so brach jetzt die lange künstlich zurückgehaltene Genußsucht mit aller Gewalt hervor und überschritt alle Schranken. Man praßte und schwelgte und fröhnte exzentrisch der Liebe, wie es das ancien regime unter Ludwig XV, dem Vielgeliebten, und der Hof von Versailles kaum toller getrieben hatten. Die Masse aber war wieder in's alte Joch gespannt, ihre Söhne schlugen mit Begeisterung in aller Herren Länder die Schlachten und der freie Bauer und Bürger des beginnenden 19. Jahrhunderts sorgten neben der Blut- für die Geldsteuer, welche die neue bürgerlich-zäsarische Herrlichkeit unter dem „glorreichen“ Szepter Napoleon's I. ihnen auferlegte.

      Unsere Vorrede ist etwas lang geworden, aber sie war nicht überflüssig zum Verständniß der Aussprüche und Theorien des Mannes, dessen Leben und Lehren diese Abhandlung gewidmet ist. Das Streben und der Ideengang eines Menschen von Bedeutung wird ja nur dann verständlich, wenn man die Zeitverhältnisse kennt, unter denen er geboren, und die auf seine Entwicklung, also auch auf seinen Ideengang eingewirkt haben. Wie weit ein Mensch auch über seine Zeit hinaus denken mag, loszulösen von ihr vermag er sich nicht, er wird von ihr beeinflußt und beherrscht, und so werden seine weitgehendsten Gedanken stets den Stempel des Zeitalters tragen, in dem er lebte und wirkte. Das ist schon oft gesagt worden, es kann aber nicht oft genug wiederholt werden, weil jeden Tag noch in der Beurtheilung des Wirkens von Persönlichkeiten gegen diese Auffassung gesündigt wird.

      François Marie Charles Fourier wurde den 7. Februar 1772 zu Besançon als Sohn eines wohlhabenden Großhändlers geboren. Der Vater genoß in seiner Heimath eines ziemlichen Ansehens, er wurde 1776 zum Handelsrichter gewählt. Charles (Karl) war das vierte Kind seiner Eltern, die drei älteren Geschwister waren Mädchen. Der Vater, der 1781 starb, hinterließ ein Vermögen von zweihunderttausend Livres, wovon laut Testament der Sohn zwei Fünftel, also 80.000 Livres, erbte.

      Fourier liebte es nie, über seine persönlichen Verhältnisse zu sprechen; geschah es dennoch, so nur, um eine seiner Theorien in dieser oder jener Weise damit zu unterstützen. Seine Schüler und selbst seine intimsten Freunde erfuhren erst nach seinem Tode, daß er in der Belagerung von Lyon, 1793, durch die Konventstruppen das ziemlich beträchtliche väterliche Vermögen vollständig eingebüßt hatte.

      Stoiker ohne Ziererei und Künstelei, sprach er nie von der ersten Ursache, die ihm ein Leben voll Entbehrungen und Einschränkungen auferlegte.

      Fourier zeigte von frühester Jugend einen entschiedenen Willen, eine unerschütterliche Rechtschaffenheit. Als einziger Sohn vom Vater für den Handel bestimmt, erzählt er selbst in einem seiner Werke, wie er frühzeitig gegen denselben eingenommen wurde. Da diese Stelle für den ganzen Mann charakteristisch ist, geben wir sie ihrem Hauptinhalt nach wieder. Er sagt: Man muß den Handel als ein grau gewordener Praktiker, der vom sechsten Jahre ab im kommerziellen Schafstall erzogen wurde, kennen. Er habe in diesem


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