Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien. Bebel August

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Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien - Bebel August


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glauben könne. Er begriff nicht, daß alle diese Kämpfe nur stattfanden, weil man der wahren treibenden Kraft, jener geheimnißvollen unfaßbaren Macht, dem unpersönlichen Kapital, nicht auf die Spur kommen und seinen Einfluß nicht beseitigen konnte, noch viel weniger wollte, jenes Dinges, über dessen Definirung die bürgerlichen Ideologen sich bis heute die Köpfe zerbrachen, dessen Räthsel erst der moderne wissenschaftliche Sozialismus löste, der endlich auch diese moderne Sphinx in den Abgrund stürzen wird.

      Fourier, der von Natur für die politischen Kämpfe nicht inklinirte, der durch die vor seinen Augen sich abspielenden Ereignisse in dieser Abneigung noch bestärkt wurde, kam in Folge davon zu der vorgefaßten Meinung, daß die politische Verfassung der Gesellschaft überhaupt eine gleichgültige Sache sei, daß diese mit dem sozialen Zustand nichts zu schaffen habe, und daß es sich darum handele, den letzteren zu verbessern und die politischen Fragen ganz bei Seite zu lassen. Er verfiel also in den entgegengesetzten Fehler der bürgerlichen Ideologen. Diese glaubten durch die Beseitigung des Adels, der Priesterschaft und des Königthums, durch die Begründung der Republik, die Verkündigung der Menschenrechte, die Anstellung idealer Grundsätze Alles geleistet zu haben, was zu leisten möglich sei. Blieben dennoch die Zustände mangelhaft, so lag das nur an der Niederträchtigkeit der sogenannten Volksfeinde, der Aristokraten, der Pfaffen, der heimlichen Anhänger des Königthums, deren man trotz aller Gewaltmaßregeln nicht Herr werden konnte. Man mußte das Volk zur „Tugend“ erziehen, zur Vaterlandsliebe, zur Opferwilligkeit, zur Arbeitsamkeit, zur Enthaltsamkeit. Wenn das geschah und Alle „tugendhaft“ waren, so konnte der glückliche Zustand nicht fehlen. Die bürgerliche Welt ist am Ende des 19. Jahrhunderts den großen Begründern ihrer Herrlichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht um Vieles in der Erkenntniß der gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze voraus gekommen, sie dreht sich noch immer in demselben Ideengang und sie wird darin stecken bleiben. Darüber hinauszugehen wäre ihr Tod.

      Nach Fourier besteht also kein wesentlicher Zusammenhang zwischen dem politischen und sozialen Zustand der Gesellschaft, der erstere ist willkürlich, wie auch der letztere mehr oder weniger willkürlich ist. Er hat zwar mit großem Scharfsinn verschiedene Stufen der menschlichen Entwicklung gekennzeichnet, die er als Edenismus, oder Zustand des primitiven Glücks, als Zustand der Wildheit, des Patriarchats oder der Halbbarbarei, der Barbarei und der Zivilisation charakterisirt; aber es unterliegt nach ihm keinem Zweifel, daß die Zivilisation, die er mit den Griechen beginnen läßt, schon längst in den nächst höheren Zustand der Entwicklung, den des Garantismus übergegangen wäre, wenn der richtige Mann sich fand, der den Ausgang aus der Zivilisation entdeckte. Dieser Mann fehlte bisher. Newton war durch die Entdeckung der Gesetze der Attraktion der Weltkörper hart an dem rechten Weg vorbeigestreift, aber er hatte das Bewegungsgesetz nur für die materielle Welt gefunden. Diese Entdeckung war also, so wichtig sie auch sein mochte, für das Glück der Menschheit die minder werthvolle. Die Gesetze der sozialen Attraktion zu entdecken und darauf die universelle Einheit des gesammten Weltalls, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Naturreichen und dem Menschen, zwischen dem Menschen, der Entwicklung des Erdballs und des ganzen Planeten- und Weltsystems, und namentlich auch seine wahren Beziehungen zu dem Weltenschöpfer zu entdecken, dessen ermangelte Newton. Diese Gesetze zu entdecken und damit die wahre Bestimmung des Menschen, die Wege zu seinem Glück, das blieb ihm, Fourier, vorbehalten. Er hat das Mittel entdeckt, das die Menschheit aus Noth, Elend, Unterdrückung, Verkümmerung, Langeweile erlöst, den Menschen mit Gott und dem All in Harmonie setzt. Dieses Mittel ist die Entdeckung der Gesetze der Attraktion der menschlichen Triebe, angewandt auf alle menschlichen Arbeiten und Beschäftigungen, und ihre Bethätigung in der Assoziation durch die Bildung der Serien (Reihen) und Gruppen von Harmonisirenden.

      Daß er, Fourier, dieses Mittel für das Glück der Menschheit entdeckte, ist nach ihm reiner Zufall. Es hätte jeder Andere vor ihm und namentlich die Philosophen, die sich seit mehr als 2500 Jahren bemühten, das Welträthsel zu lösen und das menschliche Glück zu suchen, es auch entdecken können. Sie haben aber immer nur damit sich begnügt, das Bestehende zu loben und haben jede Neuerung, wenn sie ihren Lehren gefährlich oder bedenklich schien, bekämpft und verfolgt. Darum sind auch die 400.000 Bände, die sie ihm zufolge im Laufe der Zeiten in den Bibliotheken, vollgepfropft mit ihren Theorien, aufgestapelt haben, von sehr zweifelhaftem Werth. Um so heftiger bekämpfen sie aber jede Neuerung, die, wie die seine, alle diese Werke über den Haufen wirft und sie nahezu werthlos macht. Diese Philosophen, unter welchen er, wie er wiederholt hervorhebt, die Moralisten, die Metaphysiker, die Politiker und die Oekonomisten ausschließlich verstanden wissen will, weil sie ihm als Vertreter der unsicheren Wissenschaften (sciences incertaines) gelten, haben sich deshalb auch gegen ihn verschworen, seine Lehren nicht zur Geltung kommen zu lassen; sie treten ihm überall in den Weg und suchen die Besprechung, selbst die bloße Erwähnung seiner Schriften zu hintertreiben. Gegen sie richtet sich daher sein ganz besonderer Zorn, und er überschüttet sie mit seinem Witz, seiner Satyre und seinem Haß.

      Daß, einmal ganz abgesehen von der Frage der Ausführbarkeit seines Systems, seine Theorien, wie sich zeigen wird, im letzten Grunde darauf hinaus laufen, die bestehende Gesellschaft aufzuheben, und daß also das Klasseninteresse der Besitzenden und Herrschenden diese zwingt, seinen Ideen naturgemäß feindlich zu sein, sieht er trotz des außerordentlichen Scharfsinns, der ihm bei der Entwicklung seiner Ideen eigen ist, nicht ein. Er giebt sich allerdings die größte Mühe, die verschiedenen Klassen und Interessen auszusöhnen. Nicht nur sollen alle Regierungen, ohne Rücksicht auf das ihnen zu Grunde liegende politische System, bestehen bleiben, er läßt sogar noch eine große Zahl neuer Staaten und Reiche in den bis jetzt von den Wilden und Barbaren bewohnten Ländern und Erdtheilen sich bilden, wenn erst der ganze Erdball sein System angenommen haben wird, was nach Gründung der ersten Versuchsphalanx — die Phalanx ist die Genossenschaft, in der sich sein System vollzieht1 — nur wenige Jahre dauern wird. Denn die Vortheile, die sein phalansteres System der Menschheit bietet, sind so in die Augen springende, so zur Nachahmung hinreißende, daß, nachdem die Neugierigen von allen Enden des Erdballs sich von den großartigen Vortheilen und Annehmlichkeiten dieses Systems durch den Besuch der Versuchsphalanx überzeugten, sie die größte Eile haben werden, desselben Glückes theilhaftig zu werden.

      Indeß waren um das Jahr 1793, wo Fourier in Lyon lebte, diese Ideen bei ihm noch nicht zur Reife gekommen, obgleich die Keime dazu bereits bei ihm vorhanden waren und seine Denk- und Handlungsweise bestimmten. Es war in diesem Jahr, daß der Konvent das ihm oppositionell gesinnte Lyon belagern und nach der Eroberung in einem erheblichen Theil zerstören ließ, wobei auch Fourier sein Vermögen einbüßte. Fourier mußte zur Verteidigung der Stadt die Waffen ergreifen und entging bei einem Ausfall nur mit genauer Noth dem Tode. Nach Eroberung der Stadt wurde er gefangen genommen und sollte füsilirt werden; er wußte sich durch die Flucht zu retten. Man kann sich vorstellen, daß diese Vorgänge auf ihn einen tiefen Eindruck machten und sein späteres Denken und Urtheilen wesentlich beeinflußten. Kurze Zeit darnach mußte er sich in Folge der vom Konvent beorderten levée en masse (des Massenaufgebots) zur Vertheidigung der Grenzen stellen, und zwar war er als Unverheiratheter unter der ersten Portion der Ausgehobenen, die nach der nothdürftigsten Einübung zur Armee abgehen sollten. Er wurde unter die Jäger zu Pferde der Rhein- und Moselarmee rangirt, doch wurde er nach einigen Monaten auf ein Untauglichkeitszeugniß hin — F. war klein und schwächlich von Körper — vom Dienst befreit. Ein während seiner Dienstzeit an das Kriegsdepartement gerichteter Brief, in dem er der obersten militärischen Leitung Vorschläge bezüglich der Ueberschreitung des Rheins und der Alpen machte, verschaffte ihm seitens der genannten Behörde ein Dankschreiben, unterzeichnet von Carnot.

      In den nächsten Jahren beschäftigte sich Fourier — neben seinem Beruf — mit allerlei sozial-reformatorischen Vorschlägen, die er bald der Regierungsgewalt, bald einzelnen Deputaten unterbreitete, aber ohne Anklang damit zu finden. Zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte er sich, um eine größere Freiheit und Selbständigkeit zu genießen, als Winkelmakler, wie er sich selbst nannte, etablirt, ein Beruf, den er mit seiner gewohnten Offenheit also charakterisirt. „Ein Makler ist ein Mensch, der mit den Lügen Anderer hausirt und diesen Lügen seine eignen hinzufügt.“ Nebenbei veröffentlichte er ab und zu politische Artikel im „Bulletin de Lyon“. In einem solchen Artikel vom 25. Frimaire des Jahres XII. (17. Dezember 1803), betitelt. „Das kontinentale Triumvirat und ein dreißig Jahre dauernder Friede“, behandelte


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