Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien. Bebel August

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Charles Fourier: Sein Leben und seine Theorien - Bebel August


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gute Seite hat ihre schlimme, und zwar ist die schlimme die überwiegende.

      Fourier nennt das Streben nach Glück streben nach innerem und äußerem Luxus. Der innere Luxus ist die Gesundheit, der äußere der Reichthum. Den inneren Luxus bilden die Triebe, die um so gesünder sind, je lebhafter sie sind, und deren es fünf sensuelle oder Sinne des Körpers giebt: Geruch, Gesicht, Gehör, Geschmack und Gefühl, und vier Triebe der Seele: Liebe, Freundschaft, Ehrgeiz3, Familiensinn, die sämmtlich alle neun von drei sie steuernden Trieben beherrscht werden. Diese drei sind: Die Kabalist, Trieb der Intrigue, d. h. der Trieb, der thätig ist, um die Neigungen zu theilen, die Willen zu bestimmen, sich zu gemeinsamen Handlungen zu vereinigen; die Alternant oder Papillone, Trieb, der nach beständiger Abwechslung, nach Kontrasten, nach Veränderungen in der Handlung strebt; die Komposit, Trieb, der die Begeisterung, den Enthusiasmus erregt, nach dem Guten und Schönen strebt, alle Hindernisse überwindet. Diese letzten drei Triebe wirken ihm zufolge auf die vier affektiven und diese auf die fünf sensitiven.

      Will aber der Mensch alle seine Triebe bethätigen und befriedigen und den dazu nöthigen Reichthum erlangen, ein Streben, das seiner Natur inhärent ist, so kann er dies nicht als isolirtes Einzelwesen, er bedarf hierzu einer Organisation mit Seinesgleichen. Diese Organisation, die Fourier entdeckte und als Heilmittel bietet, ist — die ländliche und hauswirthschaftliche Assoziation, die mit der industriellen zu verbinden und auf die Anwendung der Serien (Reihen) und Gruppen der Triebe organisirt sein soll.

      Fourier legt auf die Ackerbaugenossenschaft oder die agrikole Assoziation das Hauptgewicht, er sieht sie als die eigentliche Grundlage für die menschliche Existenz, als diejenige Thätigkeit an, welche die meiste und angenehmste Abwechslung der Verrichtungen bietet. Aber auch die ganze häusliche Thätigkeit, die Hauswirthschaft im weitesten Umfang, Handel und Gewerbe, die Erziehung, die Künste, die Wissenschaften sollen sozietär betrieben werden. Die eigentliche Großindustrie hatte im Zeitalter Fourier's noch wenig Bedeutung in Frankreich, sie war hauptsächlich in der sog. Manufaktur organisirt, jener höher entwickelten Theilung der Handarbeit, vereinigt in großen Werkstätten, oder vertheilt in Hausbetrieben, die für einen gemeinsamen Unternehmer arbeiten. Der große Fabrikbetrieb entstand erst in einiger Bedeutung gegen das Lebensende Fourier's. Der manufakturmäßige Großbetrieb wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts in Frankreich treibhausmäßig durch die Zoll- und Gewerbepolitik Napoleon's begünstigt, dessen Haß und Eifersucht, sowie Rachsucht gegen England ihn zur Kontinentalsperre trieben und ihn die größten Anstrengungen machen ließen, neben der Sperrung der seiner Machtsphäre unterworfenen Häfen für englische Waaren, die inländische Industrie vermittelst enormer Schutzzölle, Staatsunterstützungen und Prämien künstlich großzuziehen und dadurch England zu stürzen. Immerhin würde sich auch unsere heutige Großindustrie in die Fourier'sche phalanstere Organisation einreihen lassen.

      Die Arbeit ist nach Fourier eine Nothwendigkeit für Alle ohne Unterschied des Lebensalters und des Geschlechts, aber sie darf keine Last, sondern sie muß eine Lust sein, mit anderen Worten: sie muß anziehend sein. Das kann sie nur sein, wenn Jeder das treibt, wozu seine Triebe ihn drängen, was ihm also Vergnügen macht; dabei muß die Beschäftigung häufig abwechseln und dürfen zu diesem Zwecke die einzelnen Arbeitssitzungen nur kurze sein. Jede Beschäftigung wie jedes Vergnügen darf nicht über ein und eine halbe bis zwei Stunden währen, weil man sonst ermüdet. Um aber das rivalisirende Element in die Beschäftigung zu bringen, muß sie von einer Anzahl Gleichstrebenden zugleich geübt werden. Es bilden sich also Gruppen von Gleichgesinnten für eine bestimmte Thätigkeit. Jede dieser Gruppen muß der lebhafteren Rivalität und der Ausgleichung halber mindestens sieben, gewöhnlich neun Personen umfassen. Es bilden sich eben so viel Gruppen, als Unterarten von Beschäftigungen bei einem bestimmten Produktionszweig vorhanden sind; diese verschiedenen Gruppen bilden eine Serie (Reihe). Es giebt z. B. eine Serie der Birnen- und eine solche der Aepfelzüchter, aber für die Varietäten jeder Obstart bestehen Gruppen. Es rivalisiren also die Serien, um die beste Obstart, die Gruppen, um die besten Sorten (Varietäten) zu züchten. Da ferner zwei Menschen nie in Allem den gleichen Geschmack und die gleichen Triebe haben, so werden dieselben Personen, die soeben in einer Gruppe zusammen wirkten, sich in den nachfolgenden Arbeitssitzungen in rivalisirenden Gruppen oder Serien in anderen Produktionszweigen gegenüberstehen. Es wechselt also nicht blos die Beschäftigung, es wechselt auch beständig der gesellschaftliche Umgang bei der Arbeit. Dieser immerwährende Wechsel der Beschäftigung und der beschäftigten Personen, und die daraus hervorgehenden, sich bald anziehenden, bald abstoßenden Wechselbeziehungen bilden nach Fourier die höchste Befriedigung, weil alle Triebe dabei in's Spiel kommen. Aber die Befriedigung würde keine vollkommene sein, wenn nicht der äußere Erfolg, also die Reichthumserzeugung, durch diese Thätigkeitsweise auch erzielt würde. Diese planmäßig organisirte, assoziirte Thätigkeit von Hunderten von Familien in einer Phalanx wird, so behauptet Fourier, im Gegensatz zur einzelnen Privatwirthschaft und Privatunternehmerschaft eine große Menge von Ersparungen an Kraft, Zeit, Mittel, Werkzeugen etc. einerseits, und durch die geschickt kombinirte und rivalisirende Thätigkeit Aller andererseits eine Reichthumsvermehrung zur Folge haben, die sich im Vergleich zu jetzt verzehn-, verzwanzig-, selbst vervierzigfacht und dem Aermsten eine Bedürfnißbefriedigung ermöglicht, wie sie heute kaum ein reicher Mann sich verschaffen kann.

      In der Fourier'schen Phalanx besteht der Unterschied des Besitzes fort. Da der Genuß des Lebens auf Kontrastwirkungen beruht, ist auch der Unterschied des Besitzes nothwendig. Je größer die Verschiedenheiten an Besitz, Charaktereigenschaften, Trieben, also je lebhafter die Kontraste sind, um so besser für die Phalanx.

      Man sieht, Fourier ist der Begriff des Klassengegensatzes und die Entwicklung der verschiedenen Gesellschaftsformationen aus Klassenkämpfen, eine Grundanschauung des modernen Sozialismus, fremd. Sein Sozialismus ist auf die Versöhnung, die Harmonie der heute feindlichen Gegensätze, die nach seiner Meinung nur aus Mißverstand oder mangelhafter Kenntniß der wahren Bestimmung der menschlichen Gesellschaft feindliche wurden, gerichtet. Sein Sozialismus paßt sich, wie er nicht müde wird, immer wiederholt zu versichern, allen Regierungsformen und allen Religionssystemen an, er hat weder mit politischen noch religiösen Streitfragen das Geringste zu thun. Daher wendet er sich in seinen Schriften nicht an die Arbeiter und die Masse der Geringen, von denen die erstern zu seiner Zeit als Klasse noch wenig entwickelt waren und öffentlich gar keine Rolle spielten, sondern er wendet sich an die Einsicht der Großen und Reichen. Letztere allein konnten ihm helfen, weil sie allein die Mittel zur Gründung einer Versuchsphalanx besaßen, von deren Zustandekommen nach ihm die Einführung seines Systems abhing. War diese begründet, dann zog sie durch ihren Glanz und ihre Vortheile nicht nur die Zivilisirten, sondern auch die noch im Zustande der Barbarei und der Wildheit befindlichen Völker — „die von der Zivilisation nichts wissen wollen“ — an, eiligst in die neue Gesellschaftsorganisation einzutreten. Die Phalanx ist das Zaubermittel, das die Entwicklungsperiode der Zivilisation, wie der Barbarei und der Wildheit abkürzt, Barbaren und Wilden das Durchgangsstadium durch die Zivilisation erspart und den Aufschwung zu immer höherer Vollendung herbeiführt.

      So wandte sich denn Fourier nacheinander bald direkt, bald indirekt an alle ihm jeweilig zugängig erscheinenden Kreise und Personen, um diese für sein System zu interessiren und von ihnen die Mittel zur Begründung der Versuchsphalanx zu erlangen. Er schilderte ihnen den eigenen materiellen Vortheil, wie die Ehren und den Ruhm, den sie dadurch bei Mit- und Nachwelt erlangten, in den glänzendsten, glühendsten Farben. So suchte er abwechselnd und nacheinander Napoleon, französische Volksvertreter, den Adel und Klerus der Restauration, die Bourbonen, die englischen Großen, die sich für das gleichzeitig auftauchende Robert Owen'sche Assoziationsprojekt in New-Lamark interessirten, die Liberalen, ferner seine wüthendsten Gegner, die Philosophen, Rothschild, dem er ein Königreich Jerusalem in Aussicht stellte, Lord Byron, George Sand und nach der Julirevolution die Herren von Lafitte und Thiers, die emigrirten Polen etc. zu gewinnen. Er versuchte schließlich selbst mit den Saint Simonisten, insbesondere mit Enfantin, Fühlung zu bekommen. Die Saint Simonisten benutzten zwar theilweise seine Theorien, indem sie dieselben mit ihren Lehren vermischten, aber auf Weiteres ließen sie sich nicht ein.

      Alles war also vergeblich. Die Einen fanden sich unter der bestehenden Ordnung so wohl, daß sie keine Sehnsucht nach einer anderen hatten, Andere, die Wohlwollenden, hielten seine Ideen für unausführbar, sahen in denselben


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