Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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nächsten Augenblick hing Sophy, ebenso wie die Kleine, an meinem Hals, und ihr Gatte preßte mir die Hand, während er sein Gesicht zu verbergen suchte, und wir mußten uns alle zusammennehmen, bevor wir uns fassen konnten. Aber als wir allmählich ruhiger wurden und ich sah, wie die hübsche Kleine freudig und rasch und eifrig mit ihrer Mutter sprach in denselben Zeichen, die ich diese zuerst gelehrt hatte, da rollten mir die glücklichen und doch mitleidvollen Tränen über das Gesicht.

      Mrs. Lirripers Fremdenpension

      (Charles Dickens)

       Inhaltsverzeichnis

       1. Wie Mrs. Lirriper das Geschäft führte

       2. Ein paar Worte, die der erste Stock selbst hinzufügte

      Erstes Kapitel.

       Wie Mrs. Lirriper das Geschäft führte

       Inhaltsverzeichnis

      Daß sich jemand mit Zimmervermieten abplagen wollte, wenn es nicht eine alleinstehende Frau ist, die für ihren Lebensunterhalt sorgen muß, das ist mir gänzlich unverständlich, meine Liebe; entschuldigen Sie die Freiheit, aber die Anrede kommt mir ganz natürlich über die Lippen, wenn ich in meinem kleinen Wohnzimmer mein Herz allen denen öffnen möchte, denen ich trauen kann. Ich wäre dem Himmel ewig dankbar, wenn das die ganze Menschheit wäre, aber leider ist das nicht der Fall, denn Sie brauchen bloß einen Zettel »Zimmer zu vermieten« im Fenster haben und Ihre Uhr auf dem Kaminsims liegen zu lassen, und schon ist sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wenn Sie sich bloß eine Sekunde lang umwenden. Aber auch die Zugehörigkeit zu Ihrem eigenen Geschlecht ist noch lange keine Garantie, wie ich am Beispiel der Zuckerzange gesehen habe, denn jene Dame (und hübsch sah sie aus) ließ mich nach einem Glas Wasser laufen, unter dem Vorwand, sie käme demnächst nieder, was sich auch als richtig erwies, aber sie kam zur Polizeiwache nieder.

      Nummer einundachtzig Norfolk Street, Strand, auf halbem Weg zwischen der City und dem St.-James-Park und nur fünf Minuten von den besuchtesten öffentlichen Vergnügungsstätten entfernt – das ist meine Adresse. Ich wohne in diesem Haus schon seit langen Jahren zur Miete, wie das Grundsteuerbuch bezeugen kann; und ich wünschte, mein Hauswirt wüßte diese Tatsache ebenso zu würdigen wie ich selbst, aber nein, nicht für ein halbes Pfund Neuanstrich, und wenn es ihm ans Leben ginge; nicht einen neuen Ziegel aufs Dach, meine Liebe, und wenn Sie auf den Knien vor ihm lägen.

      Sie werden noch niemals Nummer einundachtzig Norfolk Street, Strand, in Bradshaws Kursbuch gefunden haben, meine Liebe, und so Gott will, werden Sie es auch niemals darin finden. Es gibt zwar Leute, die keine Selbsterniedrigung darin sehen, ihren Namen so zu verunehren, und sie gehen sogar bis zu einem Bild von ihrem Haus, das dem Original jedoch ganz unähnlich ist, mit einem Klecks in jedem Fenster und einer vierspännigen Kutsche vor der Tür. Aber was Miß Wozenham weiter unten auf der anderen Seite der Straße recht ist, ist mir noch lange nicht billig, da Miß Wozenham ihre Anschauungen hat und ich die meinigen. Obwohl es ja darauf ankommt, wie Sie es vor Ihrem Gewissen zu verantworten gedenken, wenn es bis zum systematischen Unterbieten kommt – wie es unter Eid vor Gericht bewiesen werden kann – und das die Form annimmt: »Wenn Mrs. Lirriper achtzehn Schilling die Woche verlangt, dann verlange ich fünfzehneinhalb.« Und was luftige Schlafzimmer betrifft und einen Portier, der die ganze Nacht über auf ist, so ist es um so besser, je weniger darüber geredet wird, da die Schlafzimmer muffig und der Portier blauer Dunst ist.

      Es sind jetzt vierzig Jahre her, seit ich und mein armer Lirriper in der St.-Clement's Danes-Kirche getraut wurden, wo ich jetzt in einem sehr hübschen Stuhl unter lauter vornehmer Nachbarschaft meinen Sitz und mein eigenes Kniekissen habe und wo ich nicht zu volle Abendgottesdienste bevorzuge. Mein armer Lirriper war eine stattliche Erscheinung, mit leuchtenden Augen und einer Stimme, so weich wie ein Musikinstrument aus Honig und Stahl. Aber er hatte stets ein freies Leben geführt, da er von Beruf Geschäftsreisender war und eine besonders staubige Tour hatte, wie er sagte – »eine trockene Straße, meine liebe Emma«, sagte mein armer Lirriper stets zu mir, »wo ich den ganzen Tag über und die halbe Nacht dazu immer mal einen Schluck tun muß, um den Staub hinunterzuspülen, und das nimmt mich mit, Emma« – und das führte dazu, daß er durch eine Menge Dinge hindurchrannte. Er wäre wohl auch durch den Schlagbaum hindurchgerannt, als dieses schreckliche Pferd, das keinen einzigen Augenblick stillstehen wollte, durchbrannte. Aber es war Nacht und der Schlagbaum geschlossen. So wurde das Rad erfaßt und der Wagen und mein armer Lirriper zu Atomen zerschmettert. Er hat kein Wort mehr gesprochen. Er war eine stattliche Erscheinung und ein Mann von fröhlicher Gemütsart und sanftem Wesen; aber wenn Photographien damals schon üblich gewesen wären, so hätten sie Ihnen doch niemals eine Vorstellung von der Weichheit seiner Stimme geben können. Überhaupt fehlt es meiner Ansicht nach Photographien im allgemeinen an Weichheit. Man sieht darauf aus wie ein frisch gepflügtes Feld.

      Mein armer Lirriper hinterließ ein zerrüttetes Vermögen, und als er auf dem Friedhof zu Hatfield in Hertfordshire begraben worden war, nicht etwa, weil das sein Geburtsort war, sondern weil er eine Vorliebe für das »Salisbury-Wappen« hatte, wohin wir uns am Hochzeitstag begeben und glücklich vierzehn Tage zugebracht hatten, machte ich bei den Gläubigern die Runde und sagte zu ihnen: »Gentlemen, ich weiß wohl, daß ich für die Schulden meines verstorbenen Gatten nicht aufzukommen brauche, aber ich will sie bezahlen, denn ich bin sein angetrautes Weib, und sein guter Name ist mir teuer. Ich will eine Pension aufmachen, und wenn es mir glückt, soll jeder Penny, den mein verstorbener Gatte schuldig geblieben ist, um der Liebe willen, die ich zu ihm trug, zurückerstattet werden. Das schwöre ich bei dieser meiner Rechten.« Es dauerte lange, bis ich es vollbracht hatte, aber schließlich war es vollbracht, und als mir die Gentlemen die silberne Rahmkanne verehrten, die, unter uns gesagt, in meinem Schlafzimmer oben zwischen dem Bett und der Matratze steckt und die eingravierte Widmung trägt: »Für Mrs. Lirriper als ein Zeichen dankbarer Hochachtung für ihr ehrenwertes Verhalten«, da gab es mir einen Ruck, der zuviel für meine Gefühle war, bis Mr. Betley, der gern seinen Spaß machte, zu mir sagte:

      »Fassen Sie sich, Mrs. Lirriper! Sie sollten die Sache so ansehen, als wäre es bloß Ihre Taufe und dies wären Ihre Paten, die für Sie gelobten.«

      Das brachte mich wieder zu mir selbst, und ich gestehe offen, meine Liebe, daß ich darauf ein Butterbrot und ein wenig Sherry in ein Körbchen tat und auf dem Außensitz der Postkutsche zum Friedhof in Hatfield fuhr. Dort küßte ich meine Hand und legte sie, während mein Herz von einer Art stolzen Liebe geschwellt war, auf meines Gatten Grab. Dabei hatte es, bis ich seinen guten Namen wiederherstellen konnte, wahrhaftig so lange gedauert, daß mein Ehering ganz dünn und glatt war, als ich die Hand auf das grüne, wogende Gras legte.

      Ich bin jetzt eine alte Frau und mein gutes Aussehen ist dahin, aber das dort über dem Tellerwärmer, meine Liebe, bin trotzdem ich, auch wenn die Leute oft rot und verlegen werden, weil sie meistens auf jemand ganz anderes tippen. Aber einmal kam ein gewisser Jemand, der sein Geld in ein Hopfengeschäft gesteckt hatte, um seine Miete zu bezahlen und einen Besuch abzustatten, und er wollte es durchaus vom Haken runternehmen und in seine Brusttasche stecken – Sie verstehen, meine Liebe – aus L..., sagte er, zu dem Original –, bloß besaß er keine Weichheit in seiner Stimme, und ich wollte es nicht zulassen. Aber, was er davon hielt, können Sie daraus entnehmen, daß er zu dem Bild sagte: »Sprich zu mir, Emma!« Das war zweifellos alles andere als eine vernünftige Bemerkung, aber doch ein Beweis dafür, daß das Bild mir ähnlich war, und ich glaube selbst, ich habe wirklich so ausgesehen, als ich jung war und diese Art Mieder trug.

      Aber meine Absicht war, von der Pension zu sprechen, und ich muß wirklich was von dem Geschäft verstehen, da ich schon so lange darin bin. Es war zu Beginn des zweiten Jahres meiner Ehe, daß ich meinen armen Lirriper verlor, und gleich darauf ließ ich mich in Islington nieder und kam danach


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