Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

Читать онлайн книгу.

Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


Скачать книгу
sagen Sie?«

      »Gar nichts«, war die Antwort des Advokaten.

      Der Klient biß sich in die Nägel und versank wieder in sein altes Grübeln.

      »Und sogar meine persönliche Sicherheit ist gefährdet, glauben Sie?« fing er nach einer Pause wieder an.

      »In jedem Bezirk der vereinigten Königreiche Großbritannien und Irland«, erwiderte Mr. Snitchey.

      »Also nichts als ein verlorener Sohn, der zu keinem Vater mehr zurückkehren kann, keine Schweine zu hüten hat und keine Treber mit diesen teilen kann?« fuhr der Klient fort, indem er ein Bein über das andere schaukelnd schlug und zu Boden blickte.

      Mr. Snitchey hustete, gleichsam als wollte er die Zumutung zurückweisen, an irgendeiner allegorischen Deutung eines Rechtsverhältnisses sich zu beteiligen. Mr. Craggs hustete gleichfalls, als wolle er zu verstehen geben, daß dieses in der Tat die Auffassung des Hauses sei.

      »Zugrunde gerichtet mit dreißig Jahren«, sagte der Klient. »Hach!«

      »Nicht zugrunde gerichtet, Mr. Warden«, entgegnete Snitchey. »So arg ist es noch nicht. Sie haben zwar alles dazu getan, muß ich sagen, aber Sie sind nicht zugrunde gerichtet. Etwas Einschränkung –«

      »Zum Kuckuck mit der Einschränkung«, rief der Klient.

      »Mr. Craggs, wollen Sie mir eine Prise gestatten? Ich danke Ihnen.«

      Als der gemächliche Rechtsanwalt die Prise ersichtlich mit großer Vorfreude und ganz in diesen Genuß vertieft in die Nase steckte, verzog sich das Gesicht des Klienten schließlich zu einem Lächeln, und er sagte: »Sie reden von Einschränkung. Wie lange?«

      »Wie lange?« wiederholte Snitchey und schnippte sich den Tabak von den Fingern, während er angestrengt nachzudenken schien. »Bei treuen Händen – sagen wir in Snitcheys und Craggs Namen – sechs oder sieben Jahre.«

      »Sechs oder sieben Jahre hungern!« sagte der Klient mit verdrießlichem Lachen und rückte ungeduldig auf dem Stuhle hin und her.

      »Sechs oder sieben Jahre zu hungern, Mr. Warden, wäre freilich etwas Außerordentliches«, sagte Snitchey. »Sie könnten mit der Zeit allein dadurch, daß Sie sich ausstellen ließen, ein neues Grundstück verdienen. Aber wir glauben nicht, daß Sie dies vermöchten, und raten es Ihnen daher auch nicht.«

      »Was raten Sie mir dann also?«

      »Einschränkung«, wiederholte Snitchey. »Ein paar Jahre Einschränkung unter unserer Geschäftsaufsicht würde Sie wieder auf die Beine bringen. Aber dann müßten Sie ins Ausland gehen. Was das Darben angeht, so könnten wir Ihnen selbst jetzt schon ein paar hundert Pfund abgeben, Mr. Warden.«

      »Ein paar hundert Pfund?« sagte der Klient. »Und ich habe Tausende benötigt!«

      »Daran«, entgegnete Mr. Snitchey und legte die Papiere sorgfältig in den eisernen Kasten, »daran ist gar kein Zweifel. Gar kein Zweifel«, wiederholte er langsam, indessen er seine Tätigkeit nachdenklich fortsetzte.

      Der Anwalt kannte sicherlich seinen Mann; jedenfalls hatte seine trockene und humorvolle Manier einen günstigen Eindruck auf die Niedergeschlagenheit des Klienten hervorgerufen und veranlaßte ihn, offen und mitteilsamer zu sein. Oder vielleicht wußte der Klient Bescheid über seinen Mann und hatte die ermutigenden Angebote nur herausgelockt, um einen Schachzug, den er enthüllen wollte, besser verteidigen zu können. Er erhob jetzt langsam den Kopf und schaute seine erhabenen Ratgeber mit einem Lächeln an, aus dem bald ein Lachen wurde.

      »Im Grunde, mein verehrter Freund –« Mr. Snitchey wies auf seinen Kompagnon: »Snitchey und – entschuldigen Sie – Craggs.«

      »Ich bitte Mr. Craggs um Verzeihung«, sagte der Klient. »Im Grunde aber, meine verehrten Freunde«, er beugte sich dabei vor und ließ die Stimme fallen, »wissen Sie noch gar nicht, wie schlimm es mit mir steht.«

      Mr. Snitchey blickte ihn ganz erstaunt und erschreckt an. Mr. Craggs musterte ihn mit denselben Blicken.

      »Ich bin nicht nur schrecklich verschuldet«, sagte der Klient, »sondern auch schrecklich –«

      »Doch nicht verliebt?« schrie Snitchey.

      »Ja!« sagte der Klient, indem er auf den Stuhl zurücksank und die beiden Anwälte ansah. Die Hände hatte er dabei in die Taschen gesteckt. »Schrecklich verliebt.«

      »Und nicht in eine Erbin?« fragte Snitchey.

      »Nicht in eine Erbin.«

      »Auch nicht in eine reiche Dame?« forschte der Anwalt weiter.

      »Nicht reich, soweit ich weiß – außer an Schönheit und Vorzügen des Charakters.«

      »Hoffentlich eine unverheiratete Dame?« sagte Mr. Snitchey mit großem Nachdruck.

      »Selbstverständlich!«

      »Nicht in eine von Doktor Jeddlers Töchtern?« sagte Snitchey, und stützte die Ellbogen auf die Knie, wobei er sein Gesicht mindestens einen halben Meter vorschob.

      »Doch!« entgegnete der Klient.

      »Nicht in seine jüngere Tochter?« fragte Snitchey.

      »Doch!« war die Antwort Mr. Wardens.

      »Mr. Craggs«, sagte Snitchey erleichtert, »wollen Sie mir eine Prise gestatten? Danke bestens! Es freut mich, Ihnen sagen zu können, Mr. Warden, daß das nichts schadet; sie ist schon verlobt, Sir, sie ist Braut. Mein Kompagnon kann das bezeugen. Wir sind über die Angelegenheit informiert.«

      »Wir sind über die Angelegenheit informiert«, wiederholte Craggs.

      »Was macht das? Sie wollen Männer von Lebenserfahrung sein und hätten nie gehört, daß ein Weib ihren Sinn geändert hätte?«

      »Es sind allerdings Klagen wegen Brechens von Eheversprechen vorgekommen«, sagte Mr. Snitchey, »sowohl gegen Jungfrauen, wie gegen Witwen, indessen in den meisten Affären – –«

      »Affären – –!« unterbrach ihn der Klient ungeduldig. »Reden Sie mir nichts von Affären. Das Leben ist ein viel stärkeres und inhaltreicheres Buch als Ihre juristischen Bände. Und im übrigen: glauben Sie vielleicht, ich hätte umsonst sechs Wochen lang in dem Haus des Doktors mich aufgehalten?«

      »Ich glaube, Sir«, bemerkte Mr. Snitchey und wandte sich ernst an seinen Sozius, »ich bin der Ansicht, daß von allen Streichen, die Mr. Warden von seinen Rennpferden gespielt worden sind – und sie waren ziemlich zahlreich und ziemlich kostspielig, wie er und wir beide am besten wissen – der schlimmste der war, daß ihn eins von ihnen mit drei gebrochenen Rippen, einem ausgerenkten Schulterblatt und der Himmel weiß, mit wie viel Beulen an der Gartenmauer des Doktors zurückgelassen hat. Damals, als wir ihn unter des Doktors Obhut und Dach gesunden sahen, ahnten wir so Schlimmes nicht. Aber es steht sehr böse, Sir, böse! Es steht sehr böse. Und Doktor Jeddler – unser Klient, Mr. Craggs.«

      »Und Mr. Alfred Heathfield – ist auch so etwas wie ein Klient, Mr. Snitchey«, meinte Mr. Craggs.

      »Und Mr. Michael Warden auch so etwas wie ein Klient«, fiel der Besuch ruhig in die Rede, »und kein schlechter, weil er zehn oder zwölf Jahre lang leichten Sinnes verbracht hat. Aber Michael Warden hat sich jetzt ausgetobt; dort in dem Kasten liegen die Ergebnisse und Instrumente, um reuig fortan sein klügeres Leben zu beginnen. Und um das zu beweisen, hat Mr. Warden die Absicht, Marion, des Doktors liebenswürdige Tochter, zu heiraten und mit sich fortzuführen.«

      »Wirklich, Mr. Craggs?« hub Snitchey an.

      »Wirklich, Mr. Snitchey und Mr. Craggs«, unterbrach sie der Klient. »Sie wissen Ihre Pflichten gegen Ihren Klienten, und wissen ferner genau, daß Sie nicht verpflichtet sind, sich in eine Sache zu mischen, die bloß eine Liebesgeschichte ist und die ich Ihnen anvertrauen muß. Ich möchte die junge Dame nicht ohne ihre Zustimmung davonführen. Dabei ist nichts Ungesetzliches. Ich war niemals Mr. Heathfields Busenfreund. Ich mache mich durchaus nicht eines Vertrauensbruchs gegen ihn schuldig. Ich liebe, wie er liebt,


Скачать книгу