Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.zum anderenmal an das kupferne Schallbecken geschlagen hatte, die rauhen Worte zu: »Nur langsam! Unser Tor ist kein Espenblatt. Hast du es so eilig? Was bringst du?«
»Botschaft vom Herzog in Bayern!«
Ein Knecht war in der Torhalle an den Haspel getreten und ließ die Schlagbrücke sinken. Als sie sich niederlegte über den Torgraben, fuhr der Sturmwind sausend in die Halle und jagte eine Wolke Staub herein. Der Wärtl hieß den Boten aus dem Sattel steigen. »Das ist ein kalter Wind, den du bringst. Wenn deine Botschaft nit linder blast, wirst du einen kühlen Gruß im Kloster hören!« Dem Knecht am Torhaspel rief er zu: »Laß die Schlagbruck noch drunten ein Weil. Ein Chorherr kommt. Ich mein, es ist derselbig, wegen dem die Brüder so schreien im Hof.« Er führte den Boten zum Innentor und ließ den Klöppel hallen. Immer wieder mußte er klopfen. Der Hall ging unter in dem wirren Stimmenschwall, der den Klosterhof erfüllte.
»Üben die frommen Brüder einen Meßgesang?« fragte lachend der Bote.
Da wurde an dem großen Tor ein Türlein aufgetan. Der Bote trat ein und sah sich einem Schwarm von Klosterbrüdern gegenüber, die schreiend dem Tor entgegendrängten, geführt von Bruder Medardus, dem Zinsmeister. Es schien, als hätten sie in ihrem Zorn die Ankunft eines anderen erwartet. Sie stellten ihr Schreien ein und betrachteten verdutzt den Boten; die einen begannen zu lachen, die anderen schalten; dann kehrten sie mit lautem Durcheinanderschwatzen unter die Säulenhalle des Brüderhauses zurück, wo Medardus mit fuchtelnden Armen in ihrer Mitte redete. Nur einer der Brüder war geblieben, um den Boten zu führen, ein Greis mit kahlem Schädel und gestutztem Weißbart, die Glieder kräftig, die Züge derb, mit Augen, die ruhig blickten. »Komm«, sagte er, »ich führ dich zum Herren.«
Auf der Schwelle, die sie überschritten, blickte der Bote noch einmal hinüber zum Brüderhaus. »Die kochen einen bösen Willkomm! Was hat ihnen der Mann getan, über den sie schreien?«
»Was der edle Falk den Krähen getan hat, wenn sie scharweis ausfliegen, um ihn zu rupfen.«
»Dich erbarmt der Falk?«
Der Bruder blieb die Antwort schuldig und stieg über eine steinerne Wendeltreppe hinauf.
»Bist du der Bruder, der in den Stuben des Propstes dient?«
»Ich bin Eligius, der Metzger.«
»Du hast Mitleid mit den Federn, die ein Falk verlieren soll?«
»Wenn’s nur die Federn wären! Ich furcht, sie rupfen ihn tiefer.«
»Blutscheu? Du! Ein Schlächter? Siehst du Blut nit rinnen an jedem Tag?«
»Drum weiß ich auch, wie warm es ist und was davonrinnt mit ihm.«
Sie hatten den Oberstock erreicht und schritten durch einen langen Korridor auf eine Tür zu, deren Fries in rotem Marmor das Wappen des Klosters trug. Durch die geschlossene Tür klang eine zornig erregte Stimme, hart und scharf. »Wart noch ein Weil!« sagte der Bruder und hielt den Boten außer Hörweite der Tür zurück. Endlich schwieg die Stimme und Eligius trat in das Gemach des Propstes. Das war ein großer Raum, der das Gebäude in seiner ganzen Breite durchquerte; zwei hohe Fenster blickten gegen das Tal und den Watzmann, ein drittes, den anderen gegenüber, ging nach dem Klosterhof. Schwere Balken trugen die Decke, und die Wände waren mit gebräuntem Holz getäfelt. Geschnitzte Truhen standen umher, mit kunstvoll geschmiedetem Eisenbeschläg. Auf Konsolen und Schränken funkelten silberne Geräte und goldene, mit edlen Steinen besetzte Kelche. Vor einem Kreuzbild stand ein Betschemel mit rotem Samtpolster, und neben dem großen Kamin verhüllte ein Vorhang mit eingewebten Engelsköpfen die Nische, in der das Ruhelager des Propstes stand. Fliesen aus grauem und rotem Marmor deckten schachbrettartig den Fußboden und waren mit Teppichen und Fellen belegt. Alles Gerät der Stube war von Zwielicht umflossen; die trüben Glasstücke der schwerverbleiten Fenster ließen nur spärliche Helle ein. Und draußen hatte das graue Sturmgewölk schon den ganzen Himmel überzogen.
In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, dessen Holzplatte von plump gemeißelten Marmorfüßen getragen wurde. Darüber hing von der Decke der eiserne Kronleuchter nieder, mit Öllämpchen an Ketten, mit Wachskerzen auf hohen Dornen. Eine hölzerne Weinbitsche mit silbernem Becher stand auf dem Tisch, und daneben lag ein Weidgehäng mit kurzem Messer, eine Reitpeitsche, eine lederne Falkenfessel und eine Schwanenfeder.
Schwere Stühle mit roten Kissen standen um den Tisch her, dabei ein Lehnsessel, ganz mit Fellen überhangen. Auf diesem Sessel ruhte Herr Friedrich, der Propst, in einem pelzgefütterten Hausrock über dem seidenen Talar, und auf dem Haupt ein Käppl, von dem gezahnte Tuchlappen über die Ohren und den Nacken fielen. Ein Lächeln spielte um den Mund des Propstes, doch in den kleinen Augen blitzte es wie Zorn, der sich bergen will.
Noch ein anderer war im Gemach und stand am Tisch, die knöcherne Faust auf die Platte gestützt: eine hagere Gestalt, wie aus weißem Stein gemeißelt, über eckige Schultern ein starrer Kopf, den das kurzgeschnittene Grauhaar wie eine glatte Eisenhaube bedeckte, die Züge kalt und hart, mit einem Mund, der einer grauen Linie glich, mit tiefliegenden Augen, die unter der vorgebauten Stirn herausblickten wie Späheraugen aus den Luken einer Mauer. In Erwartung hingen diese Augen an dem Gesicht des Propstes, als sollte er Antwort auf eine Frage geben.
Herr Friedrich schwieg und betrachtete den isländischen Falken an seiner Seite. Den Kopf mit der ledernen Haube bedeckt, saß der Falk in einem schaukelnden Ring, der von einem hölzernen Ständer getragen wurde.
Dem anderen stieg das Blut in die Stirn. »Eure Antwort, Herr?«
Im gleichen Augenblick öffnete Eligius die Tür. Freundlich winkte Herr Friedrich mit der Hand. »Sieh da, mein Bruder Schlächter! Kommst du auch, um Klage zu führen? Machen deine Kälber Aufruhr in ihrem Stall?«
»Täten sie’s, so käm ich ihnen mit Strick und Knebel. Aber meine Kälber sind geduldig, als wären sie gute Christen.« »Bruder«, fiel ihm eine scharfe Stimme ins Wort, »wahr deine Zunge!«
Eligius blickte ruhig auf. »Was hab ich Unrechtes gesagt, Herr Wernher? Ist Geduld denn nit eine christliche Tugend?«
»Nein, Bruder!« lachte der Propst. »Sonst wäre unser weiser Dekan Wernherus ein schlechter Christ. Geduld ist nicht seine Sache. Was bringst du?«
»Einen Boten, der zu Euch begehrt.«
»Laß ihn kommen!«
Der Bruder öffnete dem Boten die Tür.
Freude überflog das Gesicht des Propstes, als er die Farben erkannte, die der Bote trug. »Deine Farben sind blau wie die Treue, die selten ist, und weiß wie mein Falk, dem kein anderer gleicht. Du bist willkommen! Bist du nicht der Sohn des alten Rullo, der dem Herzog zu Landshut des Burgtor hütet?«
»Ja, Herr!«
»Wie geht es meinem fürstlichen Vetter in Bayern?« fragte Herr Friedrich. Nicht nur der Fürstenring, den er als Propst zu Berchtesgaden trug, auch Bande des Blutes gaben ihm das Recht, den Herzog in Bayern seinen Vetter zu nennen. Er stammte aus dem Hause der Grafen von Ortenburg und war ein Sohn des zweiten Rapoto, dem Pfalzgraf Otto von Wittelsbach seine jüngste Tochter Mechthild zur Gemahlin gegeben hatte.
Der Bote beugte das Knie und löste von seinem Gürtel eine kupferne Hülse, die er in die Hände des Propstes gab. »Meinem Herren liegt die schwere Zeit wie Blei auf dem Herzen. Als er mir diesen Gruß an Euch befahl, war sein Auge freundlich.«
»Dann wird die Botschaft sein, wie sein Auge war.« Herr Friedrich öffnete die metallene Kapsel, nahm das Pergament hervor und las. Als er das Blatt wieder faltete, nickte er lächelnd vor sich hin und sah mit spöttisch-heiterem Blick zu Wernherus auf.
»Das ist Botschaft, die ihren Lohn verdient!«
Er legte das Pergament auf den Tisch. »Bruder Eligius, hol mir den Becher da drüben vom Gesims! Nicht den kleinen, den anderen, der größer und schöner ist! Nimm, lieber Bote! Und du, Bruder, sorge für diesen wackeren Jüngling. Wenn er morgen ausreitet zum Klostertor, soll er sagen: ›Das war gute Herberg!‹«
Als Eligius und der Bote die Stube