Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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anders, als man auf der Straße den höflichen Gruß eines Fremden erwidert.

      »Wollen Sie einem müden Sterblichen erlauben, daß er Ihren blühenden Zaubergarten betritt, um eine Minute zu rasten? Dort, unter Ihrem singenden Baum?«

      Eine Furche lag zwischen ihren Brauen. Hatte ihr seine Frage wie Spott geklungen? Oder wie die Redensart eines Zudringlichen? Doch als ihr Auge dem seinen begegnete, lächelte sie und sagte ruhig: »Treten Sie nur ein! Das Türchen hat keinen Riegel. Man sieht Ihnen an, daß Sie heute schon einen Weg hinter sich haben, der Ihnen warm gemacht hat. Dort bei der Zirbe finden Sie eine Bank. Die hat Schatten.«

      Während sie das sagte, ging sie auf die Hütte zu. Nun stellte sie die Kanne nieder und verschwand in der Tür.

      Welch einen linden Klang ihre Stimme hatte!

      Ettingen umschritt die Fichtenhecke und betrat den Garten. Gerne hätte er einen Blick in das Innere der Hütte geworfen, aber die Tür war zugelehnt. Einem der weißen Kieswege folgend, ging er auf die Zirbe zu, in deren Schatten er einen schwer gezimmerten Holztisch fand und eine aus bizarr gewachsenen Latschenzweigen geformte Bank, deren Holz unter dem Schnee vieler Winter schon völlig schwarz geworden war.

      An diesem Tische mußte schon manch ein müder Wanderer gerastet haben; zahlreiche Buchstaben, ganze und halbe Namen, Jahreszahlen und absonderliche Zeichen waren in die morsche Tischplatte eingeschnitten. Auch der Stamm des Harfenbaumes war bedeckt mit solchen Zeichen, alten und neuen, unter denen eine Reihe von Einschnitten, die in der Mitte des Baumes regelmäßig übereinander angebracht waren, eine Art von Hausherrnrecht in dieser Rinde zu beanspruchen schien. Da stand zuoberst in der Reihe: » Lolo, aetatis suae XIVPapa, aetatis suae XLV« – dabei eine Jahreszahl, und diese Zeichen waren umzogen von einer tief eingeschnittenen Herzlinie mit einer Flamme. Diese Inschrift war sieben Jahre alt, die Schnitte begannen schon in der Rinde zu vernarben. Darunter standen noch, ersichtlich von der gleichen Hand geschnitten, die Zahlen von fünf aufeinanderfolgenden Jahren, und die letzte dieser Zeilen – sie schimmerte noch weiß im Holz und hatte erst einen einzigen Winter überstanden – war umgeben von einem Kränzlein frischer Alpenrosen. Das berührte, als hätte die Spenderin dieser Blumen sagen wollen: »Du letztes Jahr! Wie warst du schön! Ich werde dich nie vergessen! Nie!«

      Von seltsamer Stimmung umfangen, betrachtete Ettingen die Zeichen und Blumen, während der Wind durch die buschigen Zweige der Zirbe strich und leis die melodischen Glockenstimmchen tönen machte.

      »Lolo? Ob das ihr Name ist?« Dann hatte ihr Vater dieses kleine Paradies geschaffen, hier in der einsamen, friedlichen Wildnis der Berge? Und mit ihrem Vater lebte sie hier? Sieben Sommer? Sieben schöne Sommer, so schön und reich, daß ihre Freude sich in die Rinde dieses Baumes grub, um ein Zeichen der Dauer zu haben? Und weshalb war dieses jüngste Jahr noch nicht eingeschnitten? Zählte es nicht mehr? War die Hand erkaltet, welche die anderen Zeichen eingegraben? Hatte sie den Vater verloren im vergangenen Jahr? Deshalb diese Blumen um die letzte Zahl?

      Da weckte ihn ein leises Klirren aus seinen Gedanken.

      Drüben, beim Blockhaus, ging das Mädchen langsam an der Holzwand entlang, um den Efeu zu begießen.

      Ettingen hatte überhört, daß sie aus der Hütte getreten war. Nun trug sie die Haare aufgesteckt, nur lose über dem Scheitel zu einem Knoten geschlungen. Das stand ihr noch besser zu Gesicht als das offene ungezügelte Gelock. Wie der Knoten die Fülle des Haares nicht bändigen wollte, wie die kleinen widerspenstigen Ringel sich lösten und bei jedem Schritt um Stirn und Schläfen zitterten gleich zartem Goldgespinst, wie fein das anzusehen war!

      Sie hatte die letzten Wassertropfen über den Efeu gesprengt und stellte die Kanne nieder, um einige der langen Grasschmelen zu brechen, die bei der Hecke wuchsen. Achtsam zog sie die zarten Halme durch die Finger, um sie geschmeidig zu machen, und begann mit ihnen die herabhängenden Efeuranken an der Hüttenwand anzubinden.

      »Wie gut sie das verstehen!« sagte Ettingen. »Als ob Sie eine gelernte Gärtnerin wären!«

      »Ach nein! Meine Gärtnerkünste sind recht bescheiden. Daheim, in unserem Gemüsegärtchen, ist mir die Mutter über. Aber hier, was der kleine Garten da verlangt, das hab ich gelernt in sieben Jahren. Das versteh ich.« So plauderte sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Sehr viel Mühe verlangen diese Beete nicht. Das sind keine verzärtelten Gartenpflänzchen. Das sind kräftige, dauerhafte Bergblumen. Nur der Efeu – den haben wir aus dem tieferen Walde heraufgebracht, und drum hält er im Hochsommer die Hitze nicht gut aus und will immer Wasser haben. Anfangs glaubten wir nicht, daß er durchzubringen wäre. Erst sei drei Jahren ist er so kräftig in die Höhe gegangen und hat die großen vollen Blätter bekommen, deren saftiges Grün mit dem rötlichen Holzton der Balken so warm zusammenstimmt.«

      Sie trat ein paar Schritte zurück, wie um die Harmonie dieser leuchtenden Farben besser genießen zu können.

      »Sie sind Künstlerin, Fräulein?«

      »Ich Künstlerin?« sagte sie fast erschrocken. Sie schüttelte den Kopf. Und schweigend nahm sie die Arbeit wieder auf.

      Ettingen saß zu entfernt, um sehen zu können, daß ihre Hände zitterten. »Verzeihen Sie meine Frage! Sie kam mir so, weil Ihre letzten Worte mich an die Sprache erinnerten, die ich manchmal von Malern habe reden hören. Und weil mit der erste Eindruck, den dieser entzückende Fleck Erde mit seiner blühenden Schönheit auf mich macht, den Gedanken eingab: das kann nur ein Künstler geschaffen haben!«

      Der Ernst ihrer Züge wandelte sich in ein stilles Lächeln. Und so leise, daß Ettingen es kaum noch hören konnte, fragte sie: »Weshalb glauben Sie das?«

      »Der wunderbare Baum! Steht er nicht schon ein paar hundert Jahre hier? Und der schöne Bergsee da drunten hat wohl im Laufe der Zeiten schon viele Besucher aus dem Tale heraufgelockt. Mancher von ihnen mag diesen Baum gefunden haben. Und blieb eine Minute stehen, betrachtete den Baum und schüttelte den Kopf und dachte: Merkwürdig, was für sonderbare Bäume wachsen! Aber dann kam einmal ein anderer, keiner mit Alltagsgedanken unter der Stirn, einer mit träumerischer Künstlerseele, die sich von der Natur um so inniger angezogen fühlt, je unbehaglicher ihr der Lärm des Marktes ist. Der sah den Baum. Und da muß er in seiner bilderschauenden Art doch gleich gedacht haben: Wie eine Harfe! Und diesen Gedanken spann er fort: Eine Harfe soll tönen, ich will ihr Stimme geben! Vielleicht war es zuerst nur eine heitere, naive Künstlerlaune, welche die sieben Glocken dort hinaufhängte in die Wipfel. Dann aber, als er hier im Schatten saß, an einem Tag wie heute, als über ihm die Zweige der grünen Harfe rauschten und die Glocken klangen – wieviel schöne, reine Künstlerträume mögen da in seinem Herzen erwacht sein, schnell reifend in der Stille, die ihn umgab, ins Große wachsend beim Anblick der Steinriesen dort oben, beim Anblick dieser herrlichen Natur. Wie selbstverständlich, daß er denken mußte: Hier möchte ich bleiben, hier träumen und schaffen, hier wohnen, nur mir gehören und die Welt vergessen! So baute er sich diese Hütte. Und da gefiel ihm der kahle Grund nicht mehr, auf dem sie stand. Er hatte Augen, die nach Farbe dürsteten, und muß wohl ein Freund der wilden Bergblumen gewesen sein. So begann er den Schmuck dieser Beete zu sammeln...«

      »Nein, das kann man nicht so erraten!« unterbrach sie ihn plötzlich. Mit der einen Hand sich an die Hüttenwand stützend, stand sie in der leuchtenden Sonne und sah zu ihm hinüber mit einem Blick, dessen Glanz ihm verriet, daß seine Worte ihr Freude bereitet hatten. »Jemand muß Ihnen das erzählt haben! Draußen in der Leutasch? Oder einer von den Jägern? Die haben meinen Vater gekannt. Sagen Sie mir, wer hat Ihnen das erzählt?«

      »Niemand, Fräulein! Das hab ich mir so gedacht, vorhin, als ich da draußen stand und über den Zaun hereinschaute in dieses blühende Idyll. Und wirklich? Ich habe erraten, wie es war?«

      »Ja! So war es!« Langsam kam sie einige Schritte näher. Ihre Augen glitten über die Wände der Hütte, über die Blumen hin und hinauf zu den Wipfeln des klingenden Baumes. »So war es! So hat mein Vater den Baum gefunden. So hat er die Hütte gebaut. Aber das mit den Glocken, nein, das haben Sie nicht erraten. Das war keine Spielerei, keine Künstlerlaune. Das war eine Freude, die seine Liebe sich ausdachte – für mich. Ich war damals noch ein Kind. Aber der Baum


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