Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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wie hier. Da sind die Menschen, die sich begegnen, aufeinander angewiesen.« Sie begann in der Schatulle Ordnung zu machen. »Mein kleines Kästchen hat sich schon oft auftun müssen. Nicht nur für einen leidenden Touristen wie heute. Viel häufiger noch für die Sennleute.«

      Ettingen hatte sich wieder auf die Bank gesetzt. »Und da leben Sie hier so allein den ganzen Sommer?«

      »Den ganzen Sommer nicht, aber doch jede Woche ein paar Tage.«

      »Aber in diesen paar Tagen sind Sie doch immer allein?«

      »Heuer, ja, heuer bin ich allein.« Sie beugte sich tiefer über die Schatulle.

      »Daß Ihnen die Tage nicht zu lang werden, das begreif ich. Es ist so schön hier. Jede Stunde muß Ihnen eine Fülle tiefer Eindrücke bringen. Aber so einsam hier auszuhalten, dazu gehört für ein junges Mädchen ein seltener Mut.«

      Das schien sie nicht zu verstehen. »Mut? Ist man nicht am sichersten, wenn man allein ist? Und was sollte ich hier zu fürchten haben? Der Sommer in den Bergen hat keine Gefahr, wenigstens hier in dieser Höhe nicht. Und der Platz, auf dem mein Häuschen steht, ist sicher gegen Wildwasser. Lawinen und Schneestürme gibt es im Sommer nicht. Und eine Gewitternacht? Da sitz ich am liebsten dort auf der Türschwelle und schaue hinaus in das Toben und Leuchten.«

      »Aber die Menschen, die der Zufall vor Ihre Tür führt! Und alle Menschen, mein liebes Fräulein, alle sind nicht gut!«

      »Die Bauern in der Gegend kennen mich, und ich weiß mit ihnen umzugehen. Von ihnen hab ich nur Gefälligkeiten zu erwarten, keine Roheit zu fürchten. Und die fremden Touristen, die manchmal vor meine Tür kommen? Das sind nette, manierliche Leute, mit denen ich gerne plaudere. Wenn ich auch keine Sehnsucht habe nach der Stadt, so hör ich doch gerne von ihr erzählen. Wer Freude an der Natur hat, der hat auch immer ein gutes Herz. Und wenn manchmal einer kam, der ein bißchen übermütig und zudringlich wurde, weil er sah, daß ich allein war und jung bin und nicht häßlich –«

      »Sehen Sie!« rief Ettingen, wie von einer bangen Sorge um das schöne, einsame Geschöpf befallen, »sehen Sie, das ist also doch schon geschehen!«

      »Nicht oft.« Sie blickte freundlich zu ihm auf, als hätte sie gefühlt, was aus dem Klang seiner Stimme redete. »Ich habe dann immer das rechte Wort gefunden, auf das sie hörten.« Sie lächelte. »Nein! Ich habe nichts zu fürchten hier. Die einzige Sorge, die ich habe, geht nur meinen Garten an. Den haben sie mir manchmal bös geplündert, wenn ich ein paar Tage fort war. Wenn ihnen die Blumen nur Freude machten, in Gottes Namen! Ich hab mir wieder neue geholt von da draußen. Nur das Edelweiß – sehen Sie, dort auf dem Steinhügel hab ich ein paar Stöckchen eingepflanzt – das Edelweiß ist im Wettersteingebirge selten, und ich bekomme nur manchmal von den Jägern einen Setzling –, aber da kann ich mit aller Pflege kein Blümchen aufbringen. Kaum guckt ein Sternchen heraus, da ist es schon wieder weg, mitgenommen von einem, der's gefunden hat. Da muß ich mir eben denken: wer drunten im Tal das weiße Sternchen auf seinem Hut herumträgt, hat an ihm noch größere Freude, als ich sie gehabt hätte. Nein! Sonst hab ich nichts zu fürchten. Und es ist so schön hier! Ich bin auch nicht allein. Hier wohnt mein Erinnern mit mir, als wär es noch immer ein Wirkliches, und jeder neue Tag ist für mich eine neue Freude, die mein Leben reich macht.«

      Ettingen betrachtete sie schweigend, gefesselt von dem Reiz dieses ruhigen Lächelns, von dem reinen Glanz der stillen, tiefen Mädchenaugen. Dann sagte er: »Wie glückliche sind Sie in Ihrem guten Glauben, in Ihrer furchtlosen Freude, in Ihrer reichen Einsamkeit!«

      »Glücklich? Ja, ich war es. Und ich bin es.«

      Ein leichter Windhauch, wie sanftes Sonnenatmen, strich über den blühenden Garten hin, und durch die Zweige des Harfenbaumes ging ein leises Flüstern. Doch die Glocken schwiegen.

      Ettingen sah zu den Wipfeln hinauf, als hätte er sich gefragt: »Warum klingen sie nicht?« Und da gewahrte er, was er noch nicht gesehen hatte: daß an einem der Stämme ein kleines Bild mit hölzernem Dächlein angebracht war, nach Art jener Martertäfelchen, die das Landvolk zu frommem Gedächtnis an Stellen errichtet, an denen ein Unglück geschah oder eine fromme Rettung sich vollzog.

      Um das hoch hängende Bildchen besser betrachten zu können, erhob sich Ettingen.

      Das kleine Gemälde war von Schnee und Regen schon übel zugerichtet, doch in Zeichnung und Farbe noch deutlich zu erkennen. Man merkte gleich, daß die Hand eines geschulten Malers dieses Bildchen geschaffen hatte, obwohl es ganz den steifen, naiven Stil und die grellen Farben der ländlichen Marterbildchen zeigte – es sprach beabsichtigter Humor aus dieser Anlehnung an den bäuerlichen Kunstgeschmack. Die Landschaft war trotz aller Karikaturen unverkennbar: dieser blaue Kreis, das war der Sebensee, diese giftgrünen Zungen, das waren die Almgehänge und Latschenfelder, diese gelben Zuckerhüte stellten die beleuchtete Sonnenspitze und ihre Nachbarberge vor, und die sieben grün gefransten Spieße, die an die Bäumchen eines Nürnberger Spielbaukastens erinnerten, das waren die sieben Wipfel des Harfenbaumes. In seinem Schatten kniete ein bärtiger Mann mit steif gefalteten Händen und einem schwebenden Kreuzlein über dem Scheitel. Vor ihm stand, mit segnend ausgestreckten Händen und von einem Heiligenschein umgeben, die Gestalt eines Weibes, das an Genoveva denken ließ, denn die gelösten Haare umhüllten gleich einem Mantel den streng gezeichneten Leib, dessen einziger Schmuck ein grünes Kränzlein war. Die Erscheinung dieser heiligen Frau, die auf den betenden Mann erlösend und friedlich wirkte, schien zwei abenteuerliche Spukgestalten in entsetzte Flucht zu jagen: eine üppige Teufelin in bedenklich dekolletierter Balltoilette und einen schmerbäuchigen Faun, der ein Schwein am Stricklein führte und einen Kranz von Würsten um den Leib geschlungen trug. Die beiden Unholde schnitten in ihrem Schreck so drollige Gesichter und waren mit so heiterer Laune karikiert, daß Ettingen lachen mußte.

      »Ein köstlicher Scherz!« sagte er. »Und der Humor dieses Bildchens wirkt auf mich, obwohl ich das Wunder, das hier verherrlicht ist, nicht recht verstehe. Darf ich wissen, was es bedeutet? Aber da steht ja auch eine Inschrift! Und gar eine lateinische!« Er übersetzte: »Ich bete dich an und singe mein Lob dir, göttliche Mutter Natur, deren schönes Wunder mich erlöste aus den Klauen des Teufels, die da heißen: Unverstand des Pöbels und eitle Torheit der Menschen! Mein Leben soll dir, o heilige Mutter, zum Dank geopfert sein wie ein Lämmlein mit schneeigem Fell, und meine Kunst, die vor die Säue geworfen war, soll einsam und sorglos blühen zu deinen Füßen, frei und schön wie eine Blume deiner Berge!«

      Der Klang seiner Stimme war ernst geworden. Die seltsame Inschrift ließ ihn vermuten, daß hinter dem Scherz dieser Farben sich ein tiefes Weg verbarg. Und als er aufblickte, sah er, daß die Augen des Mädchens in Tränen schwammen.

      »Fräulein?«

      Sie wandte sich schweigend ab. Seine Frage schien in ihrer Seele ein Heiliges berührt zu haben, das sie dem Fremden nicht preisgeben wollte. Und als möchte sie auch ihre Bewegung vor ihm verbergen, nahm sie die Schatulle vom Tisch, um sie in die Hütte zu tragen.

      Ettingen vertrat ihr den Weg. »Nein, Fräulein, so dürfen Sie nicht gehen. Mag ich für Sie auch ein Fremder sein, an den Sie schon morgen nicht mehr denken – aber ich habe hier eine so schöne Stunde verlebt, daß ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich Ihnen Ursache zu einer Verstimmung gegeben hätte. Ich fühl es, daß ich Sie durch meine Neugier und durch mein Lachen verletzt habe. Aber ich wußte nicht, daß ich es tat. Seien Sie mir nicht böse!«

      Da reichte sie ihm die Hand. »Ich bin Ihnen nicht böse. Dazu hätte ich kein Recht. Sie konnten nicht wissen, daß Ihr Lachen mir weh tat. Das Bildchen muß doch auch so heiter auf jeden wirken, der nicht weiß, was es bedeutet. Ehe mein Vater das lustige Ding da malen konnte, mußte er alle Enttäuschungen seines Lebens überwinden. Als er das Bildchen an den Baum hängte, das bedeutete für ihn, daß er jede Hoffnung begrub, für sein Talent die Anerkennung der Welt zu gewinnen. Deshalb dürfen Sie nicht glauben, daß ihm der Mut oder die rechte Kraft gefehlt hätte.«

      »Nein, liebes Fräulein! Was ich hier sehe und was ich von Ihnen hörte, läßt mich vom Wesen Ihres Vaters manchen Zug erraten. Er muß als Mensch und Künstler gesucht haben, was abseits von der Landstraße und ihren ausgefahrenen Geleisen liegt. Alles


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