Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.In Unruh und dennoch geduldig wartete er fast eine halbe Stunde, bis sich die schmachtenden Pflänzchen wieder erholt hatten und frisch erschienen. Dann erhob er sich und stieg zum See hinunter. Als er den Waldsaum erreichte, schlug ihm brennende Röte über das bleiche Gesicht. Hastig lehnte er Bergstock und Büchse an einen Baum
Am Ufer einer seicht verlaufenden Seebucht saß Lolo Petri auf einem Stein. Vor ihr stand eine leichte Feldstaffelei mit kleiner Leinwand, deren frische Farben eine begonnene Studie zeigten: ein Stück des Ufers mit dem Spiegelbild der überhängenden Blumen und einem halb versunkenen Wurzelstock. Die Skizze war nur erst in den Grundtönen angelegt, und dennoch verriet sie schon, mit welcher Treue die klaren ruhigen Mädchenaugen alle Farben der Natur zu erfassen wußten. Aber sie schien mit ihren Gedanken nicht bei der Arbeit zu sein. Der Arm mit der Palette hing lose nieder, und während sie lächelte wie in freundlichem Erinnern, glitt ihr Blick über den stillen See.
Da weckte sie der Schritt des Jägers. Als sie Mazegger erkannte, glitt ein Schatten des Unbehagens über ihr Gesicht. Doch als er sie mit seiner rauhen, erregten Stimme grüßte, dankte sie ruhig. Dann nahm sie die Arbeit auf, als wäre sie allein.
Er stand hinter ihr und umklammerte mit der Hand so fest den Wurzelballen der kleinen Pflanze, daß die Erde zu Boden bröselte. »Schauen Sie doch her, Fräulein, was ich Ihnen gebracht hab!«
Sie hob das Gesicht, und der Anblick der seltenen Pflanze schien ihr Freude zu machen. »Ein Edelweiß! Wo haben Sie das gefunden?« Schon wollte sie die Blume nehmen. Da begegnete ihr Blick seinen heißen Augen. Sie zog die Hand zurück. »Ich danken für Ihren guten Willen, Mazegger, aber ich kann diese Blume nicht nehmen.«
Aus dem Gesicht des Jägers war alles Blut gewichen. »Nicht nehmen? So? Und warum nicht?«
»Weil – weil die Pflanze in der Blütezeit ausgegraben ist und verwelken muß. Sie gewöhnt sich nicht mehr an neuen Boden.«
»Das ist eine Ausred! Vorige Woche hat Ihnen der Förster ein Edelweiß gebracht. Das hat doch auch schon geblüht. Warum soll das meinige nicht fortkommen? Oder wollen Sie es nur nicht nehmen, weil es von mir ist?«
Sie schwieg und mischte auf der Palette eine Farbe.
»Fräulein?« Die Stimme des Jägers zitterte. »Ich bin um das Blüml einen harten Weg gestiegen. Schauen S' hinauf zur Tejawand! Von da droben hab ich's heruntergeholt. Weil ich gemeint hab, das Blüml macht Ihnen Freud. Jetzt frag ich in allem Ernst: wollen Sie das Edelweiß nehmen?«
»Nein!« erwiderte sie ruhig.
Mit ersticktem Fluch zerquetschte er die Pflanze in der Faust und schleuderte sie weit in den See hinaus.
Da sah sie zu ihm auf. Dann rückte sie die Staffelei beiseite, um das Motiv, das sie begonnen hatte, breiter überschauen zu können.
Mit geballten Fäusten stand er hinter ihr und wartete, als müßte sie ihm noch ein Wort zu sagen haben. »Also wirklich?« unterbrach er die Stille mit heiseren Worten. »Das einzige kurze Wörtl ist alles gewesen? Alles für mich?«
Sie schwieg und setzte die gemischte Farbe mit sicheren Pinselstrichen auf die Leinwand.
»Und vor den anderen hat man sich hinstellen können eine geschlagene Stund, daß ein End schier nicht zu erleben war?«
Sie schien nicht zu hören, was er sagte.
»Aber der! Natürlich! Der ist halt was Feineres als unsereiner! Ein Fürst! Da rentiert sich's freilich, daß man 's Göscherl aufmacht! Aaah! So ein gnädiger Herr Fürst!«
Nun blickte sie doch verwundert auf. »Ein Fürst? Wer?«
Mazeggers Antwort war ein Lachen, das sein ganzes Gesicht verzerrte. »Gut verstellen können Sie sich auch, das muß ich sagen! Aber Sie wissen schon, wen ich mein'! Er hat sich ja so gnädig bei Ihnen verhalten, daß er schier aufs Fortgehn vergessen hat!«
Da huschte eine leichte Röte über ihre Wangen. »Das war der Fürst? Der die Jagd im Geißtal gepachtet hat?«
»Geh, Fräulein, tun S' nur nicht, als ob Sie das nicht gewußt hätten!«
»Nein, das hab ich nicht gewußt.« Sie wandte sich wieder zu ihrer Arbeit.
»Aber gefallen hat er Ihnen, gelt? Natürlich, wenn so einer kommt, mit seinem hochfeinen Spinnwebengsicht und seinen glanzigen Frauenzimmeraugen, aaah, da springen gleich alle verriegelten Türen auf!«
Ohne die Arbeit zu unterbrechen, sagte sie mit kaum merklicher Erregung in der Stimme: »Wenn es der Fürst ist, von dem Sie sprechen, dann ist es auch Ihr Herr, dem Sie Achtung schulden. Ich will mir danken, daß Sie nicht wissen, was Sie da geredet haben. Und jetzt gehen Sie, Mazegger! Sie sehen, ich arbeite.«
Sein rauhes Lachen unterbrach sie. Er würgte an Worten, die ihm nicht über die Zunge wollten, und plötzlich faßte er mit rohem Griff ihren Arm. Aus ihren Augen traf ihn ein so ruhig stolzer Blick, daß ihm die Hand hinunterfiel wie gelähmt. Schweigend legte sie den Farbenkasten zu und stellte ihn mit der Staffelei in den Schatten eines nahen Baumes. Prüfend betrachtete sie noch einmal ihre Arbeit, nahm den Basthut ab und strich die Haare von den Wangen zurück. Dann stieg sie gegen die Hütte hinauf.
Mazegger stand wie versteinert, solange er sie noch sehen konnte. Als sie verschwunden war, reckte er seine Gestalt, wie von einem Bann erlöst, und brach in ersticktes Lachen aus. Das Gesicht von Blässe überzogen, ging er zu dem Baum zurück, an den er seine Büchse gelehnt hatte. Zitternd klammerten sich seine Hände um die Waffe, während sein Blick die Höhe suchte, über deren Büsche das von Efeu umsponnene Dächlein herunterblickte. Eine wilde Drohung flammte aus den brennenden Augen des Jägers.
Er warf die Büchse auf den Rücken und schritt in den Wald hinein. Jeden Pfad vermeidend, kletterte er zwischen dem Gewirr der bemoosten Blöcke an der Lehne des Berges hin. Und plötzlich warf er sich ins Moos und grub das Gesicht in die Arme. Fast eine Stunde lag er so. Müd, als wären ihm alle Glieder wie gebrochen, richtete er sich endlich auf. Sein Gesicht brannte, und die Falten des Ärmels hatten ihm Striemen auf die Wangen gedrückt.
Er zog die Uhr. Es war Mittag geworden. Da konnte er ins Tal hinuntersteigen, ohne fürchten zu müssen, daß ihm der Förster oder einer der Jäger auf dem Weg begegnen könnte, der ihm verboten war.
Siebentes Kapitel
Es ging auf ein Uhr mittags, als Praxmaler im Tempo eines Wettläufers bei den Jagdhäusern eintraf. Auf halbem Wege war er vorausgegangen unter dem Vorwand, die Heimkehr des Fürsten anzumelden, damit der »Herr Kammerdiener« alle Bequemlichkeiten für seinen Herrn in Bereitschaft halten könnte. Ettingen hatte dem etwas auffälligen Diensteifer des Jägers gerne zugestimmt, da es ihm lieb war, mit seinen Gedanken allein zu sein. Da hatte nun Pepperl, sobald er seinem Herrn aus dem Gesicht gekommen war, einen Dauerlauf angeschlagen, bei dem er schließlich das letzte »Bröserl« seines Atems auspumpte.
Als er die Tillfußer Lichtung erreichte, schnappte er nach Luft, wie ein aufs Trockene geratener Fisch nach Wasser. Die Faust auf die arbeitende Brust drückend, spähte er nach allen Seiten, ohne was Verdächtiges zu gewahren. Friedlich lagen die Jagdhäuser mitsamt der Sennhütte in der weißen Mittagssonne, kein Mensch war zu sehen, nur ein paar Kühe grasten mit bimmelnden Glocken über das Almfeld hin. Das Bild dieses sonnigen Friedens wirkte wie Öl auf die erregten Wogen in Pepperls Seele. Er atmete auf und stieg zum Jagdhaus hinauf. »He! Herr Kammerdiener!« Keine Antwort. Er wird wohl in der Kuchl sein! dachte Pepperl und ging auf die Tür zu, aus der ihm so wundersame Düfte entgegenquollen, daß er schnuppernd die Nase hob. »Sakra! Sakra! Da gibt's was Nobels!« Er stellte Büchse und Bergstock nieder, nahm das Hütl ab und trat in die Küche. Sein erster Blick suchte den Kammerdiener, und da er ihn nicht fand, vergaß er, die Jungfer Köchin zu grüßen, und fragte nur: »Wo is er denn?«
»Wer?«
»Der Herr Martin.«
»Wahrscheinlich