Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
Читать онлайн книгу.sich ja gar niemand mehr hinein! Ich will nichts mehr mit der Sache zu tun haben!«
Emma fing an zu weinen, nannte ihn sogar ihren lieben guten Lheureux, aber er verschanzte sich immer wieder hinter »diesen Schweinehund, den Vinçard«. Übrigens verfüge er selber über keinen roten Heller in bar. Kein Mensch bezahle ihn. Man zöge ihm das Fell über die Ohren. Ein armer Händler, wie er, könne nichts borgen.
Emma schwieg. Lheureux nagte an einem Federhalter. Durch ihr Schweigen sichtlich beunruhigt, sagte er schließlich:
»Na, vielleicht … wenn dieser Tage was einkommt….«
Sie unterbrach ihn:
»Wenn ich die letzte Rate für das Grundstück in Barneville bekomme….«
»Wieso?«
Er tat so, als sei er sehr überrascht, daß Langlois noch nicht gezahlt habe. Mit honigsüßer Stimme sagte er:
»Na, da machen Sie mal einen Vorschlag!«
»Ach, den müssen Sie machen!«
Er schloß die Augen, als ob er sich etwas überlegte. Hierauf schrieb er ein paar Ziffern, und dann erklärte er, er käme sehr schlecht dabei weg, die Geschichte sei faul und er schneide sich in sein eignes Fleisch. Schließlich füllte er vier Wechsel aus, jeden zu zweihundertundfünfzig Franken, mit Fälligkeitstagen, die je vier Wochen auseinanderlagen.
»Vorausgesetzt natürlich, daß Vinçard darauf eingeht!« sagte er. »Mir solls ja recht sein! Ich fackle nicht lange! Bei mir gehr alles wie geschmiert!«
Er zeigte ihr im Vorbeigehen schnell noch ein paar Neuigkeiten.
»Es ist aber nichts für Sie darunter, gnädige Frau!« meinte er. »Wenn ich bedenke: dieser Stoff, das Meter zu drei Groschen und angeblich sogar waschecht! Die Leute reißen sich drum! Man sagt ihnen natürlich nicht, was wirklich dran ist…. Sie könnens sich ja denken!«
Durch derlei Geständnisse seiner Unreellität andern gegenüber sollte er sich bei ihr als desto ehrlicher hinstellen. Emma war bereits an der Tür, als er sie zurückrief und ihr drei Meter Brokatstickerei zeigte, einen »Gelegenheitskauf«, wie er sagte.
»Prachtvoll! Nicht?« sagte er. »Man nimmt es jetzt vielfach zu Sofabehängen. Das ist hochmodern!«
Mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers hatte er den Spitzenstoff bereits in blaues Papier eingeschlagen und Emma in die Hände gedrückt.
»Ich muß doch aber wenigstens wissen, was …«
»Ach, das eilt ja nicht!« unterbrach er sie und wandte sich einem andern Kunden zu.
Noch an dem nämlichen Abend bestürmte sie Karl, er solle doch seiner Mutter schreiben, daß sie den Rest der Erbschaft schicke. Es kam die Antwort, es sei nichts mehr da. Nach Erledigung aller Verbindlichkeiten verblieben ihm – abgesehen von dem Grundstück in Barneville – jährlich sechshundert Franken, die ihm pünktlich zugehen würden.
Nunmehr verschickte sie an ein paar von Karls Patienten Rechnungen; und da dies von Erfolg war, machte sie das häufiger. Der Vorsicht halber schrieb sie darunter: »Ich bitte, es meinem Manne nicht zu sagen. Sie wissen, wie stolz er in dieser Beziehung ist. Verzeihen Sie gütigst. Ihre sehr ergebene….« Hie und da liefen Beschwerden ein, die sie unterschlug.
Um sich Geld zu verschaffen, verkaufte sie ihre alten Handschuhe, ihre abgelegten Hüte, altes Eisen. Dabei handelte sie wie ein Jude. Hier kam ihr gewinnsüchtiges Bauernblut zum Vorschein. Auf ihren Ausflügen nach Rouen erstand sie allerhand Trödel, den Lheureux an Zahlungs Statt annehmen sollte. Sie kaufte Straußenfedern, chinesisches Porzellan, altertümliche Truhen. Sie lieh sich Geld von Felicie, von Frau Franz, von der Wirtin vom »Roten Kreuz«, von aller Welt. Darin war sie skrupellos. Mit dem Geld, das sie noch für das Barneviller Haus bekam, bezahlte sie zwei von den vier Wechseln. Die übrigen fünfzehnhundert Franken waren im Handumdrehen weg. Sie ging neue Verpflichtungen ein und immer wieder welche.
Manchmal versuchte sie allerdings zu rechnen, aber was dabei herauskam, erschien ihr unglaublich. Sie rechnete und rechnete, bis ihr wirr im Kopfe wurde. Dann ließ sie es und dachte gar nicht mehr daran.
Um ihr Haus war es traurig bestellt. Oft sah man Lieferanten mit wütenden Gesichtern herauskommen. Am Ofen trocknete Wäsche. Und die kleine Berta lief zum größten Entsetzen von Frau Homais in zerrissenen Strümpfen einher. Wenn sich Karl gelegentlich eine bescheidene Bemerkung erlaubte, antwortete ihm Emma barsch, es sei nicht ihre Schuld.
»Warum ist sie so reizbar?« fragte er sich und suchte die Erklärung dafür in ihrem alten Nervenleiden. Er machte sich Vorwürfe, daß er nicht genügend Rücksicht auf ihr körperliches Leiden genommen habe. Er schalt sich einen Egoisten und wäre am liebsten zu ihr gelaufen und hätte sie geküßt.
»Lieber nicht!« sagte er sich. »Es könnte ihr lästig sein!«
Und er ging nicht zu ihr.
Nach dem Essen schlenderte er allein im Garten umher. Er nahm die kleine Berta auf seine Knie, schlug seine Medizinische Wochenschrift auf und versuchte dem Kind das Lesen beizubringen. Es war noch gänzlich unwissend. Sehr bald machte es große, traurige Augen und begann zu weinen. Da tröstete er es. Er holte Wasser in der Gießkanne und legte ein Bächlein im Kies an, oder er brach Zweige von den Jasminsträuchern und pflanze sie als Bäumchen in die Beete. Dem Garten schadete das nur wenig, er war schon längst von Unkraut überwuchert. Lestiboudois hatte schon wer weiß wie lange keinen Lohn erhalten! Dann fror das Kind, und es verlangte nach der Mutter.
»Ruf Felicie!« sagte Karl. »Du weißt, mein Herzchen, Mama will nicht gestört werden!«
Es wurde wieder Herbst, und schon fielen die Blätter. Jetzt war es genau zwei Jahre her, daß Emma krank war! Wann würde das endlich wieder in Ordnung sein? Er setzte seinen Weg fort, die Hände auf dem Rücken.
Frau Bovary war in ihrem Zimmer. Kein Mensch durfte sie stören. Sie hielt sich dort den ganzen Tag auf, im Halbschlafe und kaum bekleidet. Von Zeit zu Zeit zündete sie eins der Räucherkerzchen an, die sie in Rouen im Laden eines Algeriers gekauft hatte. Um in der Nacht nicht immer ihren schnarchenden Mann neben sich zu haben, brachte sie es durch allerlei Grimassen so weit, daß er sich in den zweiten Stock zurückzog. Nun las sie bis zum Morgen überspannte Bücher, die von Orgien und von Mord und Totschlag erzählten. Oft bekam sie davon Angstanfälle. Dann schrie sie auf, und Karl kam eiligst herunter.
»Ach, geh nur wieder!« sagte sie.
Manchmal wieder lief sie, vom heimlichen Feuer des Ehebruchs durchglüht, schwer atmend und in heißer sinnlicher Erregung ans Fenster, sog die kühle Nachtluft ein und ließ sich den Wind um das schwere Haar wehen. Zu den Gestirnen aufblickend, wünschte sie sich die Liebe eines Fürsten….
Leo trat ihr vor die Phantasie. Was hätte sie in diesem Augenblick darum gegeben, ihn bei sich zu haben und sich von ihm sattküssen zu lassen.
Die Tage des Stelldicheins waren ihre Sonntage, Tage der Verschwendung! Und wenn Leo nicht imstande war, alles allein zu bezahlen, steuerte sie auf das freigebigste dazu bei, was beinahe jedesmal der Fall war. Er versuchte, sie zu überzeugen, daß sie ebensogut in einem einfacheren Gasthofe zusammen kommen könnten. Sie wollte jedoch nichts davon hören.
Eines Tages brachte sie in ihrer Reisetasche ein halbes Dutzend vergoldete Teelöffel mit, das Hochzeitsgeschenk ihres Vaters. Sie bat Leo, sie im Leihhause zu versetzen. Er gehorchte, obgleich ihm dieser Gang sehr peinlich war. Er fürchtete, sich bloßzustellen. Als er hinterher noch einmal darüber nachdachte, fand er, daß seine Geliebte überhaupt recht seltsam geworden sei und daß es vielleicht ratsam wäre, mit ihr zu brechen. Seine Mutter hatte übrigens einen langen anonymen Brief bekommen, in der ihr von irgendwem mitgeteilt worden war, ihr Sohn »ruiniere sich mit einer verheirateten Frau.« Der guten alten Dame stand sofort der konventionelle Familienpopanz vor Augen: der Vampir, die Sirene, die Teufelin, die im Hexenreiche der Liebe ihr Wesen treibt. Sie wandte sich brieflich an Leos Chef, den Justizrat Dübocage, dem die Geschichte längst schon zu Ohren gekommen war. Er nahm Leo dreiviertel Stunden lang ordentlich ins Gebet,