Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert - Гюстав Флобер


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das Verhältnis abzubrechen, wenn nicht im eignen Interesse, so doch in seinem, des Notars.

      Leo gab zu guter Letzt sein Ehrenwort, Emma nicht wiederzusehen. Er hielt es nicht. Aber sehr bald bereute er diesen Wortbruch, indem er sich klar ward, in welche Mißhelligkeiten und in was für Gerede ihn diese Frau noch bringen konnte, ganz abgesehen von den Anzüglichkeiten, die seine Kollegen allmorgendlich losließen, wenn sie sich am Kamine wärmten. Er sollte demnächst in die erste Adjunktenstelle rücken. Es ward also Zeit, ein gesetzter Mensch zu werden. Aus diesem Grunde gab er auch das Flötespielen auf. Die Tage der Schwärmereien und Phantastereien waren für ihn vorüber! Jeder Philister hat in seiner Jugend seinen Sturm und Drang, und wenn der auch nur einen Tag, nur eine Stunde währt. Einmal ist jeder der ungeheuerlichsten Leidenschaft und himmelstürmender Pläne fähig. Den spießerlichsten Mann gelüstet es einmal nach einer großen Kurtisane, und selbst im nüchternen Juristen hat sich irgendwann einmal der Dichter geregt.

      Es verstimmte Leo jetzt, wenn Emma ohne besondre Veranlassung an seiner Brust schluchzte. Und wie es Leute gibt, die Musik nur in gewissen Grenzen vertragen, so hatte er für die Überschwenglichkeiten ihrer Liebe kein Gefühl mehr. Die wilde Schönheit dieser Herzensstürme begriff er nicht.

      Sie kannten einander zu gut, als daß der gegenseitige Besitz sie noch zu berauschen vermochte. Ihre Liebe hatte die Entwicklungsfähigkeit verloren. Sie waren beide einander überdrüssig, und Emma fand im Ehebruche alle Banalitäten der Ehe wieder.

      Wie sollte sie sich aber Leos entledigen? So verächtlich ihr die Verflachung ihres Glückes auch vorkam: aus Gewohnheit oder Verderbtheit klammerte sie sich doch daran. Der Sinnengenuß ward ihr immer unentbehrlicher, so sehr sie sich auch nach höheren Wonnen sehnte. Sie warf Leo vor, er habe sie genarrt und betrogen. Sie wünschte sich eine Katastrophe herbei, die ihre Entzweiung zur Folge hätte, weil sie nicht den Mut hatte, sich aus freien Stücken von ihm zu trennen.

      Sie hörte nicht auf, ihn mit verliebten Briefen zu überschütten. Ihrer Meinung nach war es die Pflicht einer Frau, ihrem Geliebten alle Tage zu schreiben. Aber beim Schreiben stand vor ihrer Phantasie ein ganz anderer Mann: nicht Leo, sondern ein Traumgebilde, die Ausgeburt ihrer zärtlichsten Erinnerungen, eine Reminiszenz an die herrlichsten Romanhelden, das leibhaft gewordne Idol ihrer heißesten Gelüste. Allmählich ward ihr dieser imaginäre Liebling so vertraut, als ob er wirklich existiere, und sie empfand die seltsamsten Schauer, wenn sie sich in ihn versenkte, obgleich sie eigentlich gar keine bestimmte Idee von ihm hatte. Er war ihr ein Gott, in der Fülle seiner Eigenschaffen unsichtbar. Er wohnte irgendwo hinter den Bergen, in einer Heimat romantischer Abenteuer, unter Rosendüften und Mondenschein. Sie fühlte, er war ihr nahe. Er umarmte und küßte sie….

      Nach solchen Traumzuständen war sie kraftlos und gebrochen. Die Raserei dieses Liebeswahnes erschlaffte sie mehr als die wildeste Ausschweifung.

      Mehr und mehr verfiel sie in dauernde Mattheit. Gerichtliche Zustellungen und Vorladungen kamen. Es war ihr unmöglich, sie zu lesen. Leben war ihr eine Last. Am liebsten hätte sie immerdar geschlafen.

      Am Fastnachtsabend kam sie nicht nach Yonville zurück. Sie nahm am Maskenballe teil. In seidnen Kniehosen und roten Strümpfen, eine Rokokoperücke auf dem Kopfe und einen Dreimaster auf dem linken Ohr, tollte und tanzte sie durch die laute Nacht. Es bildete sich eine Art Gefolge um sie, und gegen Morgen stand sie unter der Vorhalle des Theaters, umringt von einem halben Dutzend Masken, Bekannten von Leo: Matrosen und Fischerinnen. Man wollte irgendwo soupieren. Die Restaurants in der Nähe waren alle überfüllt. Schließlich entdeckte man einen bescheidenen Gasthof, in dem sie im vierten Stock ein kleines Zimmer bekamen.

      Die männlichen Masken tuschelten in einer Ecke; wahrscheinlich einigten sie sich über die Kosten. Es waren zwei Studenten der medizinischen Hochschule, ein Adjunkt und ein Verkäufer. Was für eine Gesellschaft für eine Dame! Und die weiblichen Wesen? An ihrer Ausdrucksweise merkte Emma gar bald, daß sie fast alle der untersten Volksschicht angehören mußten. Nun begann sie sich zu ängstigen. Sie rückte mit ihrem Sessel beiseite und schlug die Augen nieder.

      Die andern begannen zu tafeln. Emma aß nichts. Ihre Stirn glühte, ihre Augenlider zuckten, und ein kalter Schauer rieselte ihr über die Haut. In ihrem Hirn dröhnte noch der Lärm des Tanzsaals; es war ihr, als stampften tausend Füße im Takte um sie herum. Dazu betäubte sie der Zigarrenrauch und der Duft des Punsches. Sie wurde ohnmächtig. Man trug sie ans Fenster.

      Der Morgen dämmerte. Hinter der Sankt-Katharinen-Höhe stand ein breiter Purpurstreifen auf dem bleichen Himmel. Vor ihr rann der graue Strom, im Winde erschauernd. Kein Mensch war auf den Brücken. Die Laternenlichter verblichen.

      Sie erholte sich allmählich und dachte an ihre Berta, die fern in Yonville schlief, im Zimmer des Mädchens. Ein Wagen voll langer Eisenstangen fuhr unten vorüber; das Metall vibrierte in eigentümlichen Tönen….

      Da stahl sie sich in plötzlichem Entschlusse fort. Sie ließ Leo und kam allein zurück in den Boulogner Hof. Alles, selbst ihr eigner Körper war ihr unerträglich. Sie hätte fliegen mögen, sich wie ein Vogel hoch emporschwingen und sich rein baden im kristallklaren Äther.

      Nachdem sie sich ihres Kostüms entledigt hatte, verließ sie den Gasthof und ging über den Boulevard, den Causer Platz, durch die Vorstadt, bis zu einer freien Straße mit Gärten. Sie ging rasch. Die frische Luft beruhigte sie. Nach und nach vergaß sie die lärmende Menge, die Masken, die Tanzmusik, das Lampenlicht, das Souper, die Dirnen. Alles war weg wie der Nebel im Winde. Im »Roten Kreuz« angekommen, warf sie sich aufs Bett. Es war in demselben Zimmer des zweiten Stocks, wo ihr Leo damals seinen ersten Besuch gemacht hatte. Um vier Uhr nachmittags ward sie von Hivert geweckt.

      Zu Haus zeigte ihr Felicie ein Schriftstück, das hinter der Uhr steckte. Emma las:

      »Beglaubigte Abschrift. Urteilsausfertigung …« Sie hielt inne. »Was für ein Urteil?« Sie besann sich.

      Etliche Tage vorher war ein andres Schriftstück abgegeben worden, das sie ungelesen beiseitegelegt hatte. Erschrocken las sie weiter:

      » Im Namen des Königs!…« Sie übersprang einige Zeilen. »… binnen einer Frist von vierundzwanzig Stunden … achttausend Franken …« Und unten: »Vorstehende Ausfertigung wird … zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt …«

      Was sollte sie dagegen tun? Binnen vierundzwanzig Stunden!

      »Die sind morgen abgelaufen!« sagte sie sich. »Unsinn! Lheureux will mir nur angst machen!«

      Mit einem Male aber durchschaute sie alle seine Machenschaften, den Endzweck aller seiner Gefälligkeiten. Das einzige, was sie etwas beruhigte, war gerade die enorme Höhe der Schuldsumme. Durch ihre fortwährenden Käufe, ihr Nichtbarbezahlen, die Darlehen, das Ausstellen von Wechseln, die Zinsen, die Prolongationen, Provisionen usw. waren ihre Schulden bis zu dieser Höhe angelaufen. Lheureux wartete auf dieses Geld ungeduldig. Er brauchte es zu neuen Geschäften.

      Mit unbefangener Miene trat Emma in sein Kontor.

      »Wissen Sie, was mir da zugefertigt worden ist? Das ist wohl ein Scherz!«

      »Bewahre!«

      »Wieso aber?«

      Er wandte sich ihr langsam zu, verschränkte die Arme und sagte:

      »Haben Sie sich wirklich eingebildet, meine Verehrteste, daß ich bis zum Jüngsten Tage Ihr Hoflieferant und Bankier bliebe? Für nichts und wieder nichts? Es ist vielmehr die höchste Zeit, daß ich mein Geld zurückkriege! Das werden Sie doch einsehen!«

      Sie bestritt die Höhe der Schuldsumme.

      »Ja, das tut mir leid!« erwiderte der Händler. »Das Gericht hat die Forderung anerkannt. Gegen den Schuldtitel ist nichts zu machen. Sie haben ja die Vorladung bekommen! Übrigens bin ich nicht der Kläger, sondern Vinçard.«

      »Könnten Sie denn nicht….«

      »Ich kann gar nichts!«

      »Aber … sagen Sie … überlegen wir uns einmal….«

      Sie redete hin und her. Sie habe nicht gewußt, sie sei überrascht Worden….


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