Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke von Gustave Flaubert - Гюстав Флобер


Скачать книгу
soll ich das?«

      »Du willst bloß nicht!« sagte sie aufgeregt.

      Er stellte sich dumm:

      »Es wird nicht so gefährlich sein! Mit tausend Talern wird der Biedermann schon zufrieden sein!«

      »Vielleicht. Schaff sie mir nur!« sagte sie. Dreitausend Franken seien allemal aufzutreiben! Leo möge sie doch einstweilen auf seinen Namen aufnehmen.

      »Geh! Versuchs! Es muß sein! Schnell! Schnell! Ich will dich dafür auch recht liebhaben!«

      Er ging und kam nach einer Stunde zurück. Mit einem Gesicht, als ob er wer weiß was zu verkünden hätte, sagte er:

      »Ich war bei drei Personen … umsonst!«

      Darauf saßen sie einander gegenüber am Kamin, regungslos, ohne zu sprechen. Emma zuckte mit den Achseln und trippelte vor Ungeduld mit den Füßen. Er hörte, wie sie ganz leise sagte:

      »Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich wüßte, wo ich das Geld auftriebe!«

      »Wo denn?«

      »In eurer Kanzlei!«

      Sie sah ihn starr an.

      Aus ihren fiebernden Augen sprach ein wilder Dämon. Zwischen ihren sich berührenden Wimpern lockten Sinnlichkeit und Sünde so stark, daß der junge Mann unter der stummen Verführungskraft dieses Weibes, das ihn zum Verbrecher machen wollte, nahe daran war, zu erliegen. Er fühlte seine Schwachheit. Jähe Furcht ergriff ihn, und um jeder weiteren Erörterung zu entgehen, schlug er sich vor die Stirn und rief aus:

      »Morel kommt ja heute nacht zurück!« Morel war ein Freund von ihm, der Sohn eines sehr wohlhabenden Kaufmanns. »Der schlägts mir nicht ab! Ich werde dir das Geld morgen vormittag bringen.«

      Offenbar machte seine Zuversicht auf Emma einen viel weniger freudigen Eindruck, als er erwartet hatte. Durchschaute sie seine Lüge?

      Errötend fuhr er fort:

      »Wenn ich morgen bis drei Uhr nicht bei dir sein sollte, dann warte nicht länger auf mich, Schatz! Jetzt muß ich aber wirklich fort! Entschuldige mich! Lebwohl!«

      Er drückte ihr die Hand, die schlaff in der seinen lag. Emma hatte alle Kraft verloren….

      Als es vier Uhr schlug, stand sie auf, um nach Yonville zurückzufahren. Nichts mehr trieb sie als die Gewohnheit.

      Das Wetter war prächtig. Ein klarer kalter Märztag. Die Sonne strahlte auf einem kristallreinen Himmel. Sonntäglich gekleidete Bürger gingen mit zufriedenen Gesichtern spazieren. Als Emma den Notre-Dame-Platz überschritt, war die Vesper gerade zu Ende. Die Menge strömte aus den drei Türen des Hauptportals wie ein Strom aus einer dreibogigen Brücke.

      Emma dachte zurück an den Tag, da sie mit Hangen und Bangen in das Mittelschiff eingetreten war, das sich so hoch vor ihr wölbte und ihr damals doch klein erschien im Vergleich zu ihrer grenzenlosen Liebe … Sie ging weiter. Unter ihrem Schleier strömten die Tränen über ihre Wangen. Sie war wie betäubt, sie schwankte und war einer Ohnmacht nahe.

      »Vorsehen!« rief eine Stimme aus einem Torwege.

      Sie blieb stehen, um einen hochtretenden Rappen vorbeizulassen, der, in der Gabel eines Dogcarts, aus dem Hause herauskam. Ein Herr in einem Zobelpelz kutschierte….

      »Wer war das doch?« fragte sie sich. Er kam ihr bekannt vor Das Gefährt fuhr im Trabe fort und war bald verschwunden.

      »Aber das war doch der Vicomte!«

      Emma wandte sich um, aber die Straße war leer. Sie fühlte sich so niedergeschlagen, so traurig, daß sie sich an die Wand eines Hauses lehnen mußte, um nicht umzusinken. Sie grübelte darüber nach, ob es wirklich der Vicomte gewesen war. Vielleicht, vielleicht auch nicht! Was lag daran? Sie war eine Verlassene, vor sich selber und vor andern! Eine Verlorene, vom Geratewohl gegen die Klippen des Lebens getrieben … Und so empfand sie beinahe Freude, als sie, am »Roten Kreuz« angelangt, den trefflichen Homais traf, der das Aufladen einer großen Kiste voll Apothekerwaren in die Post überwachte. In der Hand hielt er, in ein Halstuch eingewickelt, sechs Stück Pumpernickel, die er seiner Frau mitbringen wollte.

      Frau Homais liebte diese kleinen schweren Brote sehr, die in der Normandie seit uralten Zeiten in Form eines Turbans gebacken und in der Fastenzeit mit gesalzner Butter gegessen werden. Man buk sie bereits zur Zeit der Kreuzzüge. Die wetterfesten alten Normannen stopften sich voll davon, und wenn sie diese Brote beim gelben Fackellicht vor sich auf dem Tische liegen sahen, zwischen riesigen Beefsteaken und Methumpen, mochten sie sich einbilden, Sarazenenköpfe zu vertilgen. Die Apothekersfrau verzehrte sie mit nicht geringerem Heldenmute; sie hatte nämlich abscheulich schlechte Zähne.

      »Bin entzückt, Sie zu sehen!« rief Homais, bot Emma die Hand und half ihr beim Einsteigen in die Postkutsche.

      Dann legte er seine Pumpernickel hinauf in das Gepäcknetz, nahm seinen Hut ab und setzte sich mit verschränkten Armen und einer napoleonischen Denkermiene in die Ecke. Als unterwegs wie immer der Blinde am Straßengraben auftauchte, bemerkte er:

      »Es ist mir unverständlich, daß die Behörde nach wie vor dieses schandbare Gewerbe duldet! Solche Vagabunden sollte man einsperren und zur Arbeit zwingen! Auf Ehre, die Kultur schleicht bei uns im Schneckengange vorwärts! Wir waten noch in Barbarei!«

      Der Blinde steckte seinen Hut so durchs Wagenfenster, daß er wie eine halb abgerissene Wagentasche auf und nieder wippte.

      »Er hat eine skrofulöse Affektion«, dozierte der Apotheker.

      Obgleich er den armen Schelm schon längst kannte, tat er doch, als sähe er ihn zum ersten Male. Er murmelte etwas von Hornhaut, Star, Sklerotika, Facies vor sich hin. Dann riet er ihm in salbungsvollem Tone:

      »Hast du dieses schreckliche Gebrechen schon lange, mein Sohn? Du solltest vor allem Diät halten, statt dich in der Kneipe zu betanken! Gut essen und gut trinken ist immer die Hauptsache.«

      Der Blinde leierte sein Lied ab. Er war zweifellos geistig beschränkt.

      Schließlich zog Homais seine Börse.

      »Hier hast du einen Fünfer, gib mir einen Dreier wieder raus und vergiß nicht, was ich dir verordnet habe! Es wird dir gut bekommen!«

      Hivert erlaubte sich, ganz laut die Wirksamkeit seines Rezepts zu bezweifeln. Da versicherte Homais dem Manne, lediglich eine »antiphlogistische Salbe eignen Fabrikats« könne ihn heilen. Er gab ihm seine Adresse:

      »Apotheker Homais, am Markt, allgemein bekannt!«

      »So, nun zeig mal zum Dank den Herrschaften, was du Schönes kannst!« rief ihm Hivert zu.

      Der Blinde ließ sich in die Knie nieder, warf den Kopf zurück, rollte mit seinen grünlichen Augen und streckte die Zunge heraus. Dazu rieb er sich die Magengegend mit den Händen und stieß ein dumpfes Geheul aus wie ein halbverhungerter Hund.

      Emma ward übel. Sie warf ihm über die Schulter ein Fünffrankenstück zu. Es war ihr ganzes Geld. Es kam ihr edel vor, es so wegzuwerfen.

      Der Wagen war schon ein ziemliches Stück weiter, als sich Homais plötzlich aus dem Fenster lehnte und hinausrief:

      »Und keine Mehlspeisen und keine Milch! Wolle auf dem Leibe tragen! Und Wacholderdämpfe auf die kranken Teile!«

      Der Anblick der wohlbekannten Gegend, die an Emma vorüberzog, lenkte sie ein wenig von ihrem Schmerz ab. Eine unbezwingliche Müdigkeit überkam sie. Ganz erschöpft, lebensmüde und verschlafen langte sie in Yonville an.

      »Mag nun kommen, was will!« dachte sie beim Aussteigen. »Zu guter Letzt, wer weiß? Kann nicht jeden Augenblick ein unerwartetes Ereignis eintreten? Sogar Lheureux kann sterben …«

      Am andern Morgen wurde sie durch ein Geräusch auf dem Markt wach. Es war ein Gedränge um ein großes Plakat entstanden, das an einem der Pfeiler der Hallen angeschlagen war. Sie sah, wie Justin auf einen Prellstein stieg und es abriß. Aber im selben Moment faßte


Скачать книгу