Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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Mensch tut oft etwas und stellt danach fest, dass er etwas Falsches getan hat«, sagte er in seiner ruhigen Art. Dann zwinkerte er der jungen Frau väterlich zu. »Wollte man bei jedem Fehler gleich von Schuld sprechen, käme wohl keiner von uns ins Himmelreich.«

      Julia senkte den Kopf. Oma Winter seufzte. Sie kannte ihre Enkelin und wusste nur zu gut, wie stolz sie war. Und wie stur.

      *

      »Herr Schubert hat angerufen als Sie unterwegs waren«, informierte Schwester Gertrud ihren Chef, als dieser die Praxis betrat.

      »Leon Schubert?« Matthias sah sie mit großen Augen an.

      Gertrud nickte. »Der mit den Heuballen und dem Steißbein.«

      Der Landarzt lachte leise. »Haben wir seine Telefonnummer in unserer Kartei?«

      »Nein.«

      Mist. Er presste die Lippen fest aufeinander. Wie sollte er jetzt zurückrufen?

      »Aber sie stand auf dem Display. Ich habe sie notiert.« Mit schelmisch blitzenden Äuglein reichte seine Sprechstundenhilfe ihm einen Zettel über die Rezeption. »Hier.«

      »Gertrud, Sie sind die Beste.«

      »Nun übertreiben Sie mal nicht, Doktor«, erhielt er die barsche Antwort, obwohl sich Gertruds Apfelbacken vor Freude über das Kompliment noch roter färbten. »Kann ich den nächsten Patienten ins Sprechzimmer führen?«

      »Geben Sie mir noch ein paar Minuten, ich muss noch schnell telefonieren«, antwortete Matthias und eilte mit wehenden Mantelschößen zu seinem Büro.

      *

      Die Reparatur der Telefonleitung erfolgte erst drei Tage später. Drei Tage, in denen Julia einen harten Kampf mit sich austrug. Jetzt wusste sie ja, dass Leon sie nicht erreichen konnte, selbst wenn er es wollte.

      Ihre Großmutter nahm den Namen des geliebten Mannes nicht mehr in den Mund. Nur Vera. Mehrmals am Tag rief ihre Freundin auf dem Handy an und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge.

      »Im Internet habe ich nichts mehr über das Unternehmen gefunden«, erzählte sie. »Was heißt, dass Leon seine neue Tätigkeit bis jetzt nicht dementiert hat.«

      So viel wusste auch Julia. Natürlich surfte auch sie durchs weltweite Netz, auf der Suche nach Informationen über Leon sowie Brandt und Söhne. Es gab jedoch nichts Neues von dem Reiseveranstalter und schon gar keine Information über Leon.

      Wie der Sommer über Nacht gegangen war, so kehrte er auch ohne lange Ankündigung zurück. Seine angenehme Wärme, das helle Licht, seine Gerüche machten Julia nur noch trauriger, erinnerten sie sie doch nur allzu sehr an die Tage mit Leon.

      Jedes Mal, wenn die Sehnsucht nach ihm sie zu ersticken drohte, versuchte sie, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen; versuchte, sich nicht an die zärtlichen Berührungen, den Klang seines Lachens zu erinnern. Inzwischen hatte sie mit einem Handwerker aus Ruhweiler, den Dr. Brunner ihnen geschickt hatte, die Schäden am Haus ausgebessert. Doch sogar diese für sie ungewöhnlich schwere körperliche Arbeit hatte ihre Gedanken nicht zur Ruhe kommen lassen, und sie war wütend auf sich selbst, weil für sie nichts mehr wirklich von Bedeutung zu sein schien. Immer wieder horchte sie auf Motorengeräusch. Vielleicht würde Leon ja kommen, da er sie telefonisch nicht erreichen konnte.

      Natürlich kam er nicht. Am dritten Abend nach dem Unwetter fällte sie eine Entscheidung. Sie schrieb Leon eine SMS mit dem Inhalt, ihn aus tiefer Enttäuschung über sein Verhalten nie mehr wiedersehen zu wollen. Danach schlief sie weinend ein.

      *

      Die schlimmsten Schäden des Sturms im Tal waren inzwischen behoben. Die Sonne hatte die Wiesen getrocknet, und die Steinache gurgelte und plätscherte wieder munter durchs Ruhweiler Tal.

      »Ich werde heute eine Annonce ins Internet stellen«, sagte Julia beim Mittagessen zu ihrer Großmutter, deren Augen zu leuchten begannen.

      Hilde freute sich, dass ihre Enkelin ein neues Ziel ins Auge gefasst hatte, welches es auch immer sein würde. Nach den vergangenen Tagen konnte sie Julias Schweigen kaum mehr ertragen.

      »Erzähl, was hast du vor?«, forderte sie die junge Frau auf.

      »Den Wald als Jagdrevier zu verpachten. Auf die Idee hat mich Dr. Brunner gebracht. Er hat heute Vormittag angerufen, als du Beeren pflücken warst.«

      Oma Winter räusperte sich.

      »Als Jagdgebiet verpachten?«, wiederholte sie mit hörbarem Misstrauen in der Stimme.

      »Verpachten, nicht verkaufen, Oma. Er wird weiterhin unser Eigentum bleiben. Der Jagdpächter bezahlt uns nur eine gewisse Geldsumme für das Recht, bei uns jagen zu dürfen. Darüber hinaus kümmert er sich um die Hege und Pflege der Tiere, was auch Opa früher immer gemacht hat. Wie lange wir den Wald verpachten, obliegt ganz allein uns. Vielleicht erst einmal nur für ein Jahr?« Julia sah ihre Großmutter abwartend an. »Von dem Geld, das wir dadurch einnehmen, können wir aber schon einiges am und im Haus sanieren«, fügte sie mit bedeutsamen Blick hinzu.

      »Hält der Herr Doktor das für eine gute Idee?«

      »Ja, und ich auch«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Du musst nur noch einwilligen, und wir müssen natürlich einen Jagdpächter finden. Aber das dürfte nicht so schwer sein bei unserer wildreichen Gegend.«

      Ein lautes Hupen unterbrach das Gespräch der beiden Frauen.

      »Wer ist denn das?« Hilde stützte sich auf den Küchentisch und lugte durchs Fenster. Auf dem Hof parkte gerade ein Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben.

      »Vielleicht der erste Jäger?«, meinte Julia mit einem Anflug von Galgenhumor.

      Der Wagen besaß ein deutsches Kennzeichen, dass Großmutter und Enkelin nicht kannten. Die Fahrertür öffnete sich, und eine ältere Dame mit dunklem Pagenkopf stieg aus, aus der Beifahrertür ein weißhaariger Mann. Die beiden sahen sich auf dem Hof um.

      »Vielleicht doch Gäste?«, flüsterte Hilde voller Hoffnung.

      »Oma, das können wir vergessen. Wer einen solch teuren Wagen fährt, übernachtet nicht bei uns. Ich werde sie zum Hotel Wiesler schicken.« Julia stand auf, strich sich über das streng nach hinten gebundene Haar, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ging auf die Küchentür zu.

      Wie gut, dass sie ihren hübschen Rock noch nicht mit ihrem Arbeitsoverall getauscht hat, dachte Oma Winter.

      *

      »Grüß Gott«, sagte Julia zu den Fremden mit dem Lächeln, in das sich schon früher alle Jungen in der Schule verliebt hatten. »Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

      »Guten Tag.« Die ältere Frau mit den warm blickenden dunklen Augen sah sie an. Forschend, so, als wollte sie ihr in die Seele blicken. »Wir …« Sie räusperte sich, dann erschien ein Lächeln herzlicher Freude auf ihren harmonischen Zügen, die verrieten, dass sie die fünfzig längst erreicht hatte. »Wunderschön ist es hier. Das erwartet man gar nicht, wenn man durch den Wald fährt, in dem es ziemlich unaufgeräumt aussieht.«

      Wie ulkig das klang! Julia musste lachen.

      »Wir hatten vor ein paar Tagen ein schweres Unwetter. Aber unsere Forstleute tun ihr Bestes.«

      »Ja, das haben wir gesehen«, sprach die Fremde weiter.

      Sie war ein bisschen mollig und wirkte in den Jeans und dem dunkelblauen Blazer recht flott.

      »Wir haben eine Viertelstunde warten müssen, weil ein Laster gefallene Bäume auflud«, meldete sich nun der weißhaarige Mann zu Wort.

      Seine tiefe Stimme klang sympathisch. Seine schwarzen Augen lagen mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, aus dem sie lesen konnte, dass ihm gefiel, was er sah.

      »Bei uns muss man Zeit mitbringen«, erwiderte sie. »Hier gehen die Uhren langsamer.«

      »Die weltbekannten Kuckucksuhren?«, scherzte der Mann zwinkernd.

      Wieder lachte sie.


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