In Purpurner Finsterniß. Michael Georg Conrad

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In Purpurner Finsterniß - Michael Georg Conrad


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sie den Fuß hob und senkte in wachsender Ermüdung. Es waren keine Schritte mehr. Die Gelenke zitterten vor Ueberanstrengung.

      Jala war heute mehr Meilen gewandert, als gestern und ehegestern, von jagender Sehnsucht gepeinigt, endlich an’s Ziel zu gelangen.

      Grege, der Getreue, warum war er um Hochmittag zurückgeblieben? Bis zum Abend versprach er sie einzuholen, wenn er seine Wunde gepflegt. Jala konnte ja des Weges nicht fehlen, in der geraden Linie des übersandeten Kanales mit der leichten dünenartigen Böschung auf beiden Seiten. War das nicht seine feste Meinung?

      Nun kam ihr doch der Gedanke, sie möchte irre gegangen sein. Ihr tastender Stab fühlte keinerlei Erhöhung mehr am Wege.

      Jala hielt an, lauschend, den Kopf zurückgelegt, das Gesicht in der Richtung der scheidenden Sonne, die Lider tief über den blinden Augensternen. Keines Dinges wurden ihre Sinne im Verweilen inne, außer ihrer brechenden Müdigkeit.

      So beschloß sie, zu rasten, bevor volle Erschöpfung sie zwänge, und Grege’s, des Getreuen, zu harren.

      Ausgestreckt, in seitlicher Lage, die aufeinandergepreßten Handflächen unter die linke Wange geschoben, ruhte sie am Wege, wie entseelt.

      Auf ihre Schulter senkte sich, leicht wie ein Hauch, mit bebenden Flügeln ein gelber Schmetterling.

      — Wenn Grege jetzt mich so fände, seine muthige Jala! dachte sie. Dann verwehte ihr Bewußtsein, bis sich’s wieder verdichtete im Traum.

      Ihr lichtgraues Wanderkleid, überstaubt, hatte die Farbe des Sandbodens, ihr aschblondes Haar, in ungeordneten Locken aus der Kapuze hervorquillend, die Farbe der verdorrten Gräser und Halme.

      Das Gesicht, sonst mattweiß, hatte auf der langen Wanderung in freier Luft und Sonne sich ins Bernsteinfarbige gedunkelt. Um die weichen Umrisse der Nase, des Mundes und des Kinns wie über die geschmeidige Fläche der Wange schwebte ein Lächeln der Ergebenheit jungheißer Leibeslust in den leidvollen Sieg der Seele, gemischt mit der Erinnerung an die tiefwühlenden, schauerlich-süßen Wonnen, die sie im Zauber ihrer ersten wildfreien, sich selbstbejahenden Liebe genossen.

      Immer tiefer, immer inniger schien der ausgestreckt rastende Körper in den warmen Boden zu versinken, abgeflacht zu Schemen und Schatten.

      Wie eine große, selige Mattigkeit war die Dämmerung über die Welt gekommen, wie ein tiefausholendes Verschwingen in langen, lauen Rhythmen.

      Am Horizonte das Meer in weingelben Streifen, veilchenblau geädert, letzte, verklingende Liebkosung aus der strahlenfeurigen Zärtlichkeit der versunkenen Sonne.

      Jala sah es im Traum, ganz so. Und ihr Herz erfüllte es wie heiliger Rausch beim Kusse des Geliebten. Und wie von stummer Musik getragen, schwebte sie mit Grege im lichten Gefilde, zwischen feierlichen Sonnenblumen, um deren hohe Stengel zierliche Schlingrosen rankten, in süßen Düften die seidenweiche Luft gebadet.

      Nun sah sie dies: Heilig, aus nächtiger Finsterniß tauchend, die Insel, das Ziel der Pilgerschaft, die Heimath, das freie, ungetrübte Glück, Grege’s Himmelreich und das ihre.

      Ausland und Fremde war ihr die weite, feste Erde gewesen, wo die Vielzuvielen und Zusammenhängenden wohnen, der dichte, drückende Schwarm der Gleichmäßigen, die traurigen Völker, verblödet im Glück des Niemalsunglücklichseins und des stumpfgewordenen Willens.

      Nie, seit sie wußte, hatte sie sich Mensch mit solchen Menschen gefühlt.

      Wie war das gekommen, daß sie anders war? Ein Trotz für sich und ein Widerspruch allen Anderen? Ein drohendes Aufbäumen in ihrem Fürsichsein und eine beständige Gefahr? Ein Verdacht, der zur herrischen Ueberzeugung wuchs, daß die Ordnung rings nur ein feiges Elend sei, dem ein Held erstehen müsse, der Alles erlöse, indem er Alles aus den Fugen schlägt? Und sie die Heldin des Helden?

      Wie war das gekommen?

      War’s eine verborgene Erbschaft aus ihrem Stammlande Friska, die jetzt in gesammelter Kraft aus ihrem stillen Herzensschrein hervorbrach, ihre Gedanken zu feurigen Pfeilen spitzte, ihre Empfindungen mit sprengenden Elementen lud?

      Oft hatte Jala nach Zeichen gesucht, sich’s zu deuten in gegenständlichen Bildern, da die erklärenden Worte versagten.

      War es ihre Blindheit, darin sie das neue Sehen fand?

      War das eine Deutung, daß in jener Sturmnacht des jauchzenden Frühlings, als die Reife des Weibes im Wunder der Liebe ihren Leib verwandelte, das Licht aus ihren Augen floh und die Seele so hellsichtig wurde, als schwämme sie in Blitzen?

      Schuf Grege, der Heiße, Treue, Unvergleichliche, den Unterschied zur dauernden Gestalt, daraus die neue Menschheit wachsen mußte? Konnte sie darum nimmer von ihm lassen?

      — Auf der Insel die Erfüllung! seufzte Jala im Traume.

      So verging die Zeit.

      Plötzlich erwachte Jala in süßer Erschütterung.

      Langsam richtete sich ihr Oberleib vom Boden auf.

      — Nicht versinken, nicht unter die Erde! In die Höhe! Grege! Grege!

      Was war das Alles? Was?

      Ihre Hand tastete nach dem Stabe. Sie zog sich daran empor, sie straffte ihren Körper zu voller Höhe. Fremd. Allein.

      — Grege! Grege!

      Es war ein Nothschrei aus tiefster Seele. Ein Schrei in’s Leere.

      Das schwarze Schweigen der Nacht verschlang ihre Stimme.

       Inhaltsverzeichnis

      Kaspe und Ao saßen in ihrem geheimsten Berathungssaal, dreißig Klafter tiefer, als die übrigen Amtsstuben, unter der gemeinen Erde.

      Es war ein weiter, magisch erleuchteter und wie ein Treibhaus durchwärmter Raum, zeltartig mit Teppichen und seidenen Geweben ausgekleidet, so daß keine Wand zu sehen. Von der Decke hingen Reihen verschiedenfarbiger Schnüre für die Luft-, Licht- und Tonleitungen. Die Mitte nahm ein kleiner runder Tisch ein mit dem Tastwerk und dem Spiegel.

      Der oberste Diplomat von Teuta, Titschi und sein junger Gehilfe Soundso hielten ihnen abwechselnd den Wochenvortrag.

      Ein Theil war nunmehr erledigt, der auf die allgemeinmenschliche Stimmung der Teutaleute bezügliche.

      — Alle satt? fragte Ao, der dicke Oberpriester, sich auf dem fahrstuhlähnlichen Polstersitz streckend.

      — Alle ruhig? fragte Kaspe, der schmächtige Oberrichter.

      — Alle satt und ruhig, antwortete Titschi mit verbindlichem Lächeln.

      — Also Alle glücklich, nickte Ao.

      — Wie üblich, bestätigte Kaspe.

      — Ist es Euch, Hoheiten, nicht um einen Zehntel Grad zu warm? fragte Soundso. Ich meine, es müßte uns um einen Zehntel Grad zu warm sein.

      Ao drehte den Ring an seinem kleinen Finger der linken Hand, die mit einem feinen Faden umwickelt war, der magnetische Apparat spielte, mit einem zarten Ton entwich das Zehntel überschüssiger Wärme durch die Temperaturorgel.

      Alle nickten. Soundsos Hautempfindung war unfehlbar.

      — Ist es Euch, Hoheiten, nicht um eine Zehntausendstel Kerze zu hell? fragte wieder Soundso. Ich meine, es müßte uns um eine Zehntausendstel Kerze zu hell sein.

      Alle stimmten bei.

      Ao berührte den Ring an seinem kleinen Finger der rechten Hand, der Apparat spielte, mit einem feinen Duft kam die gewünschte Milderung der Helligkeit in den Raum. Die Talare der hohen Räthe schimmerten um die Idee einer Schattirung tiefer in ihrem purpurnen Seidenglanz. Der goldgelbe Ton der Zeltgewebe und Tücher stumpfte sich um ein kaum Merkliches. Aber die


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