In Purpurner Finsterniß. Michael Georg Conrad

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In Purpurner Finsterniß - Michael Georg Conrad


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um sein linkes Knie geschnallt war, sofort spielte der Mechanismus, der die Hoheiten mit sammt ihren Polstersesseln durch die sich öffnenden Wände in die Gänge schob, wo ihrer die Fahrstühle für die privaten Gemächer in der höheren Region harrten.

      Soundso flüsterte seinem Meister ins Ohr:

      — Der Alte wird schwach.

      — Ein Idiot.

       Inhaltsverzeichnis

      Minus, der Oberlehrer, zog die winzigen Hörröhrchen aus der Ohrmuschel und schlenkerte sie nervös spielerisch an dem rothen Seidenfaden. Sein Blick war seltsam unruhig.

      — Na? fragte Bim, der Oberphysikus, und verzog sein längliches Gesicht zu einem neugierigen Lächeln.

      — Eine Mittheilung von Ao. Soundso hat ihn gekränkt. In der Wochensitzung. Heillose Worte sind gefallen. Ich soll prüfen.

      — Heillose Worte? Von Seite Aos?

      — Nein. Soundso versündigte sich am heiligen Wortschatz.

      — Schon wieder? Ich werde seinen Geisteszustand beobachten lassen. Mir ist er längst verdächtig. Also Frevelworte ausgestoßen?

      — Hm.

      Minus spitzte den Mund und blies in die hohle Hand.

      — Na, Hoheit?

      — Vor bald zweitausend Jahren sprach Einer das Sprüchlein: „Worte sind Schall und Rauch.“ Das wirkt fort, Bim. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht . . . Eine schleichende Gefahr. Auch bei uns. Gehörtes verführt . . .

      Bim nickte. Sein längliches Gesicht zeigte düstere Nachdenklichkeit.

      — Wie hat der vor bald zweitausend Jahren gesagt?

      — „Worte sind Schall und Rauch.“

      — Hab’ ich nie gehört. Ich verneige mich vor Deiner Gelehrsamkeit. Worte nicht bloß Schall? Worte auch Rauch? Also haben damals Worte geraucht, in jener primitiven Zeit? Einfach kanibalisch: Worte, die rauchen. Worte die nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen belästigen. Die brändeln und stänkeln. Puh, Minus, kehren solche Zeiten wieder? Glaubst Du, großer Wissender?

      — Wenn eine Jugend, wie dieser Soundso, in die Staatsgeschäfte hineinwächst, Bim. Gehörtes verführt, sei überzeugt.

      — Jawohl, Hoheit. Wort, Aetherschwingung, Seele, Alles in eins. Furchtbare Gewalt. Wenn nun Worte auch noch schallen und rauchen! Aufruhr, Umwälzung, Umsturz, ja wahrhaftig, Umsturz! Und was — —

      Bim bekam plötzlich seinen Hustenanfall und drehte seinen langen dünnen Hals verzweiflungsvoll, daß die Wirbel knackten.

      — Hm, machte Minus, indem er wieder die winzigen Hörröhrchen in die Ohrmuschel steckte.

      — Na? fragte Bim, nachdem er sich von seinem Anfall erholt hatte.

      — Eine Mittheilung von Kaspe. Soundso scheint ihm verdächtig. Seit der Wochensitzung. Worte, Worte, Worte.

      — Schon wieder? Was hab’ ich vorhin gesagt? Darf ich nun erfahren?

      — Der Gehilfe unseres Oberdiplomaten erregt Aergerniß auf allen Seiten.

      — Ich bitte um die Worte, zum Thatbestand.

      — Aber vorläufig ganz unter uns, Oberphysikus. Amtsgeheimniß.

      — Vertrauliche Mittheilung, versteht sich. Schätzbares Material unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

      Aug’ in Aug’, daß sich ihre Nasenspitzen fast berührten, dann den Mund am Ohr: Vernimm, Bim — Natur — angenehmere Pflichten im Sexualen, hörst Du? — Probleme, herrliche Probleme sogar.

      Dann blickten sie sich starr an.

      — Soundso?

      — Soundso. Und dieser Mensch, Minus, sollte er nicht des Schlimmsten fähig sein? Ist das nicht ein keimender Entartungstypus in unserem normalen Gemeinwesen? Ist das nicht ein stetig sich aufbauender Seuchenheerd in unserem musterhaft gesunden Land?

      — Ich ahne, Bim.

      — Schon damals. Meine unglaubliche Entdeckung des Urstoffs, alle Geister hat sie erschüttert, ihn hat sie kalt gelassen. Mehr noch: er hat sie still verhöhnt. Und er wagt Worte, wie Natur, Probleme, angenehmere Pflichten vor dem Oberpriester auszusprechen.

      — Und vor dem Oberpriester!

      — Und vor dem Oberpriester. Gerade vor dem, der meine unglaubliche Entdeckung mit dem höchsten Lob auszeichnete. Weißt Du noch?

      — Das Lob ja. Sehr ergreifend. Wie lautete doch gleich Deine herrliche Entdeckung? Die Worte sind mir nicht gegenwärtig.

      — O Minus, Hoheit: Urstoff! Die Materie, aus welcher die Atome bestehen, ist nicht qualitativ verschieden, sondern die verschiedenen Atome sind nur verschiedene Qualitäten derselben Materie, und diese Materie ist der Urstoff.

      Minus zog die Augenbrauen hoch, daß sie wie ein schwarzes Runzel-Dreieck über den erstaunten Augen standen. In seinem Sinne dachte er: O du blöder, aufgeblasener Frosch, mit deinem dummen Gequake — aber seinem Munde entschlüpften klügere Worte.

      — Herrliche Entdeckung, herrliche Definition. Ja, das sind Ideen, nicht Schall und Rauch. Davon wird eine neue Entwicklung ausgehen. Neue Probleme werden hervorsprießen, neue —

      Bim spreizte erschreckt die fünf Finger der linken Hand in die Höhe und legte die rechte dem Sprecher auf den Mund.

      — Oh! Oh! Wenn uns ein sterbliches Wesen gehört hätte, Minus, Hoheit! Oh! Entwi— Entwicklung, gehört das nicht auch zu den verpönten Worten unseres staatlichen Sprachschatzes, so gut wie neue Probleme? Stehen wir nicht auf dem Gipfel? Wohin mit Entwi— Entwicklung? Wäre das nicht Schwindel eines Schwarmgeistes? Wir bauen aus, wir vertiefen, wir fügen hinzu, aber entwickeln? Nein. Wir haben einen Standpunkt, unser erreichtes Ziel, da ist nicht Raum für etwas Zielloses, Unübersehbares. Entwicklung — wem schauderte da nicht? Sturz in’s Bodenlose — wem — — —

      Bim bekam schon wieder seinen Hustenanfall, daß die Halswirbel knackten.

      Minus hatte sich bei Bim’s emphatischer Strafpredigt langsam umgewendet. Jetzt drehte er ihm das Gesicht wieder zu, mit unerschütterter Ruhe:

      — Bim, ich bitte, wem sagst Du das? Mein Amt gestattet mir, mich auch einmal über meinen Standpunkt zu stellen, um — Andere zu prüfen. Du hast die Prüfung bestanden. Glänzend. Wie vorauszusehen. Der Mann des Geistes beglückwünscht den Mann der Körperlichkeit.

      — Der Ebenbürtige verneigt sich, Hoheit.

      Sein längliches Gesicht versuchte durch ein säuerliches Lächeln den aufsteigenden Aerger zu dämpfen.

      Nein, es ist mehr als Fopperei von diesem obersten Gelehrsamkeitsverwalter, es ist ein Stich in’s Boshafte, fast in’s Größenwahnsinnige dabei, dem nichtsahnenden Oberphysikus mit solchen Scherzen zu kommen. Man könnte sich ordentlich fürchten, wenn unter Kollegen solche Neigungen herrschend werden. Das ist kein glücklicher Ton im hohen Rath des glücklichsten Volkes. Einem meuchlings mit Prüfungen zu kommen, mit hinterlistigen Gesinnungs-Erforschungen! Und gerade ihm, dem tadellosen Bim, dem unersetzlichen Physikus, der die Wissenschaften mit Fünden und Entdeckungen weitreichender Art beglückt und dabei über die Gesundheit der Teutaleute mit solchem Eifer wacht!

      Was weht denn jetzt für ein Wind in den auserlesensten Köpfen, wenn ein Mann von der Gelehrsamkeit und Würde eines Minus Schabernack treibt? Kommt damit nicht eine gefährliche Unsicherheit in alle Beziehungen derer, die der Wille des Volkes auf die wichtigsten Posten gestellt?

      — Ja, ich beglückwünsche Dich, Bim! begann plötzlich der


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