In Purpurner Finsterniß. Michael Georg Conrad

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In Purpurner Finsterniß - Michael Georg Conrad


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Wieso das?

      — Wir wissen, oder auch nicht, je nachdem, Bim, daß die Erde nichts ist als ein erstarrter winziger Sonnenabfall, ein kleiner Dreckspritzer, ein Sandkorn in der unendlichen Wüste der Welten. Wir wissen, welche Gase an der Fläche der fernsten Sterne glühen. Macht das Dein Herz größer? Dein Leben fröhlicher? Wir wissen, daß man vor tausend Jahren, bevor die Chinesenherrschaft in Europa triumphirte, Welträthsel zu lösen im Begriffe war, von denen wir heute keine Ahnung haben. Daß man damals fast das Problem gelöst hatte, aus dem Dunstkreis der Erde hinaus und in die Sphäre des Mondes hineinzufahren. Hat dieser Aufschwung gehindert, daß dennoch ganz Europa in die Brüche gegangen? Daß all’ die großen Reiche des Kontinents verschwunden und wir nur armselige Reste sind? Wie viele Jahre noch?

      — O, Hoheit.

      — Wie viele Jahre giebst Du mir und Dir noch?

      — Wie kommst Du auf solche Gedanken, Minus? Wir sind beide in guter Verfassung.

      — Wir sind zwar die ältesten Mitglieder noch nicht im hohen Rath, Bim. Bei der nächsten Musterung, wer weiß? Dem Volke schmecken mit einem Male die Alten nicht mehr, stell’ Dir das vor! Es geht wie ein Traum der Verjüngung durch die Herzen der kleinen Teutawelt. Meine Späher und Zeichendeuter wollen sich nicht geirrt haben. Hast Du noch nichts bemerkt?

      — Keinen Schimmer, hauchte der Oberphysikus ermüdet.

      — Fehlt Dir etwas, Oberphysikus? Deine Lippen zittern. Hast Du Zahnweh?

      — Aber, ich bitte.

      — Wie viele Zähne hast Du noch? Hast Du überhaupt noch Zähne?

      — Die sitzen noch ganz solide.

      — Sind Deine Kiefer noch stark genug, das Gebiß zu tragen?

      — Ich begreife nicht, Hoheit.

      — Richtig, ich vergesse, daß man in Deinen Jahren wohl auf diesen Zierat verzichtet.

      — Zierat, Minus? Zähne sind ein Instrument der Gesundheit. Erinnere Dich, daß ich einst ein vielgepriesenes Mittel erfunden, dieses Instrument zu schärfen.

      — Hast Du das, Bim? Ich erinnere mich nicht. Nach Dir kam aber einer, der Speiseformen erfand, wodurch die Arbeit dieses Instruments überhaupt überflüssig wurde. Haben die Teutaleute Deiner Erfindung Ehre erwiesen, wirklich, Bim?

      Der Oberphysikus biß die Zähne zusammen — es war keine vollständige Garnitur, und griff sich mit der Hand an die Stirn. Dann warf er einen hilflosen Blick auf den unbegreiflichen Frager.

      Der aber fuhr unerbittlich in seiner starren Weise fort:

      — Wie ein Traum der Verjüngung. Meine Späher und Zeichendeuter sind zuverlässig. Hast Du nie einen ähnlichen Traum geträumt?

      — Nie, Minus.

      — Hättest Du’s doch. Vielleicht hätte Dein Scharfsinn einen Sporn mehr erhalten. Du hättest uns ein durchgreifendes Verjüngungsmittel erfunden, Bim. Warum läßt Du uns sterben?

      — Sterben wir? Hoheit, noch leben wir.

      — Nein, wir sterben. Du irrst, Oberphysikus. Wir sterben — wir sterben an der Jugend der Anderen. Grausame Todesart. Sie macht lächerlich.

      — Du quälst Dich und mich, Minus. Warum quälen wir uns mit solchen Fragen?

      — Weil sie zeitgemäß sind.

      — Aber sie stehen heute nicht auf der Tagesordnung, Minus, Hoheit.

      — Das ist nicht ihr Fehler. Das ist unser Fehler.

      — Du verschwendest Deinen Geist, Minus.

      — Verschwende ich ihn?

      — O, sicher an keinen Unwürdigen. Aber immerhin — —

      — Bist Du so sicher, Bim? Ich habe oft zu Thoren geredet, wenn ich vermeinte, zu Weisen zu sprechen. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht. Daher die schleichende Gefahr. Aber vorläufig ganz unter uns. Oberphysikus, Amtsgeheimniß!

      Bim wußte nicht mehr, was er denken sollte. Irgendwo und bei irgendwem stand’s nicht richtig.

      Er starrte seinen hohen Kollegen vom hohen Rathe an.

      Nein, da war wirklich guter Rath theuer. Aus diesen Mienen war keine Erklärung für die sonderbaren Worte zu schöpfen.

      — Sollen wir uns die grausame Todesart gefallen lassen, Bim? Weißt Du? Die den Sterbenden lächerlich macht, weil er sein Gestorbenwerden nicht merkt? Die Anderen aber, an denen er stirbt, die merken’s, Bim! und lachen und weinen, die Unerbittlichen.

      — Niemand stirbt so im Lande der Teutaleute. Ich fasse Deine Besorgniß nicht, Minus.

      — Sie lachen und weinen, die Unerbittlichen. Mit ihren Thränen verhöhnen sie den Unglücklichen. Ihre Thränen sind Salz in offene Wunden.

      — Minus, nie habe ich Jemand von unserem Volke weinen sehen. Im edlen Lande der Teutaleute kennt man keine Thränen. Man kennt sie nicht. In alten Zeiten, ja, wo es noch Fürsten gab und Soldaten, Tyrannen und Knechte. Da kam’s zu blutigen Thränen. Im Staat des Kapitalismus, der folgte, noch schlimmer. Dann der Zusammenbruch, dann die sozialistischen Quälereien. Das besserte wenig. Die Menschen verlernten das Weinen nicht. Aber in unserem Weltalter der gemeinsamen Güte! Thränen, Minus! Das ist vorbei. Das ist die Auszeichnung der Teutaleute, ihr besonderes Wesen. Ihr Gleichmuth, denke doch, ihre Sittsamkeit, ich bitte Dich, ihre Geduld. Wir können ruhig sterben, Minus.

      — Warum thun wir’s nicht? So stirb doch, Bim! Schaffe Platz der Jugend! Was zögerst Du? Ich will sehen, ob Du ein Ende machst. Bestelle Dir wenigstens einen Gehilfen, wie Titschi sich einen Gehilfen bestellt hat. Nimm Dir einen Soundso. Die einzige Form, die unser Gesetz gestattet, in Staatsgeschäften unser Leben zu dehnen. Aber Alles das thust Du nicht, Du wartest ab. Du greifst nicht vor. Du läßt’s drauf ankommen. Du willst gestorben werden. Deine Feigheit wählt die grausamste Todesart.

      — Minus!

      — Ja, so sind wir. So seid ihr. Ich nicht. Ich mache ein Ende. Heute noch. Ich habe Sehnsucht, loszukommen, ohne Hohn.

      Diese Wendung überraschte Bim mehr, als Alles Uebrige. Also darauf spielten die krausen Wendungen und Worte. Aus sich selbst heraus kam dem edlen Minus der Ueberdruß, der Unmuth.

      — Bedenke doch, Minus, wer uns auf den Posten gestellt. Und da sollen wir flüchten, ohne Noth, aus trauriger Laune? Des Volkes Wohl ist uns anvertraut — —

      — Des Volkes Wohl! Ich mache ihm meine Reverenz — —

      — Gut denn. So sagen wir (und kost’ es mir den Kragen, wenn’s ein Späher hört), die Beherrschung des Volkes, was dasselbe ist, befriedigt Dich das nicht?

      — Beherrschung? Fühlst Du das Zeug zu einem Herrscher, zu einem Gott in Dir, Bim? Ich hänge an meiner Schwäche. Ich rühme mich meiner Unvollkommenheit. Nicht die kleinste Herrgöttlichkeit reizt mich.

      — Des Volkes Wohl liegt in seiner Beherrschung, Minus.

      — Aber nicht mein Wohl. Und warum können wir das Volk beherrschen? Weil wir ihm die Flügel gestutzt und den Sinn verwirrt haben. Ein geistvolles Geschäft, über ein solches Volk zu herrschen!

      — Das Volk ist mündig und frei in seinen Entschlüssen, Minus.

      — Ist’s das? Bestellt sich der Mündige einen Vormund? Duldet der Freie Obere, die sich mit „Hoheit“ anreden lassen? Ein mündiges freies Volk jagte Dich und mich und alle Hoheiten zum Kuckuck, kröche aus der Erde heraus und liefe frei in die Sonne und allen Winden nach, wie die Thiere des Waldes, wie die Vögel des Himmels.

      — Darauf sage ich, der Oberphysikus, Dir dieses: Deine Gelehrsamkeit ist Dir zu Kopf gestiegen. Das sind Alles transszendentale Theorien, die Du aus alten Poeten, Philosophen und anderen Narren aufgelesen. Ich weiß mich frei davon, drum kann ich


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