Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring

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Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring - Franz  Mehring


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verspottet oder im günstigsten Falle auch bemitleidet hat als »ehrliche Leute, die den Umsturz des abscheulichsten Gebäudes von Unsinn nicht anders als unter dem Vorwand, es neu zu unterbauen, befördern können«. Indem sie die friderizianische Legende zwar von den größten Albernheiten säubern, aber im Kern doch nicht preisgeben wollen, übersehen sie, daß sich dies »abscheuliche Gebäude von Unsinn« nicht neu unterbauen läßt, ohne daß es ihnen über dem Kopfe zusammenbricht. Dadurch, daß die neueren preußischen Historiker einmütig die Mär der Sybel und Treitschke zurückweisen, wonach Friedrich den Siebenjährigen Krieg aus deutschnationalen Gründen begonnen haben soll, sind sie in einen sachlich und noch weit mehr symptomatisch interessanten Streit darüber geraten, weshalb er ihn denn nun eigentlich begonnen habe.

      Die einen halten an dem fest, was Friedrich selbst stets behauptet hat: Er habe sich gegen eine übermächtige Koalition wehren müssen, die sich ohne seine Schuld gegen ihn zusammengerottet habe. Zu diesen Historikern gehört Koser. Aber dem widersprechen die diplomatischen Vorspiele des Krieges, über die nunmehr die eingehendsten Aufklärungen vorliegen. Gefährlich wurde die Angriffslust des Wiener und Petersburger Hofes erst dadurch für Friedrich, daß diese Höfe den Pariser Hof für sich gewannen, und Friedrich stieß den Pariser Hof, mit dem er seit sechzehn Jahren verbündet war, gewissermaßen mit Gewalt auf die Seite seiner Gegner, indem er mit England am 16. Januar 1756 die Westminsterkonvention abschloß. Koser begnügt sich damit, diese Konvention eine »falsche Rechnung« zu nennen; Bailleu, ein anderer preußischer Archivbeamter, geht rücksichtsloser ins Zeug und schreibt über die Haltung Friedrichs in den diplomatischen Vorspielen des Siebenjährigen Krieges: »Was die Zeitgenossen an der Veränderlichkeit und Unzuverlässigkeit der friderizianischen Politik zu tadeln wußten, scheint mir nur zu wohlbegründet ... Sie war argwöhnisch und leichtgläubig, kurzsichtig und überstürzend ... Wo zwei fremde Staatsmänner die Köpfe zusammensteckten, vermutete Friedrich das Werden einer Koalition; wo man von Truppenmärschen hörte, argwöhnte er einen Angriff auf Preußen.« Und ähnlich läßt sich auch Naudé aus, ebenfalls ein preußischer Archivbeamter, der sich eingehend mit der friderizianischen Geschichte beschäftigt hat.

      Gegen dies vernichtende Urteil über die friderizianische Diplomatie haben sich nun andere preußische Historiker erhoben, in erster Reihe Max Lehmann und Hans Delbrück. Sie sind dabei vollkommen vor dem Verdacht irgendeiner liebedienerischen Beflissenheit geschützt. Lehmann hat sich durch seine ehrlichen und gründlichen Biographien Scharnhorsts und Steins, Delbrück aber durch seine bedeutende Geschichte der Kriegskunst wirkliche Verdienste um die historische Wissenschaft erworben. Lehmann hat den preußischen König Friedrich Wilhelm III., aus dem Treitschke eine Art von nationalem Heros gemacht hatte, in seiner bodenlosen Nichtigkeit enthüllt, und Delbrück hat einen jahrelangen und schließlich siegreichen Feldzug gegen die selbst von Offizieren des Großen Generalstabs verteidigte Legende geführt, wonach der alte Fritz schon die napoleonische Strategie und Taktik angewandt haben soll. Auch Lehmanns Schrift über den Ursprung des Siebenjährigen Krieges, die im Jahre 1894, bald nach Erscheinen meines Buches, veröffentlicht wurde, richtete sich zunächst gegen die friderizianische Legende der Ranke, Treitschke, Sybel. Lehmann wies nach, daß Friedrich in keiner Weise von deutschnationalen Gesichtspunkten geleitet gewesen sei, als er den Siebenjährigen Krieg begann. Er schrieb: »Während des Krieges wurde Deutschland von Österreich, aber auch von Preußen verleugnet. War es eine Schädigung Deutschlands, daß die Kaiserin, um Schlesien zu bekommen, Ostpreußen den Russen, ansehnliche Stücke der westlichen Marken den Franzosen opfern wollte, so werden wir auch Friedrich nicht loben dürfen, daß er der Annexion Sachsens den Vorzug gab vor der Befestigung seiner Grenzlande im Osten und im Westen.« Die Annexion Sachsens war der Grund, der nach Lehmanns Auffassung den König in den Krieg trieb. Lehmann gibt zu, daß Friedrich bedroht gewesen sei, aber doch nicht so, daß er schon das Schwert hätte ziehen müssen; vielmehr seien »zwei Offensiven aufeinandergestoßen«; Friedrich habe, um Sachsen zu erobern, den Krieg ebenso gewollt wie seine Gegner, um ihm Schlesien abzunehmen; erst durch sein aggressives Vorgehen habe er die europäische Koalition zusammengeschweißt.

      Diesen Gedanken hat dann Delbrück aufgenommen, um die »fürchterliche Deklassierung des großen Königs« durch Bailleu, Naudé usw. zu bekämpfen. Er macht ihnen das gefährliche Zugeständnis, daß ihr Urteil »eher zu milde als zu streng« sei, daß der König wie »ein kompletter Narr« gehandelt haben würde, wenn es ihm nur um defensive Zwecke zu tun gewesen sei, und er sucht dann an der Hand der Lehmannschen Hypothese aus dem »unklaren, schwächlichen Sanguiniker« ein »Bild von überwältigend furchtbarer Größe« zu machen: »den Staatsmann, der mit der gesetzlosen Verwogenheit des Genius die Welt, die sich ihm widersetzen will, in Trümmer schlagend, selber willens, eine neue Welt zu schaffen, auf Wegen tiefster Verborgenheit doch gerade auf sein Ziel zuschreitet«, »den großen König in seiner ganzen Majestät und Tragik: wie er, das große Ziel in seiner Notwendigkeit erkannt, mit der ganzen Kraft seiner gewaltigen Persönlichkeit darum gerungen und endlich doch ermattet davon hat ablassen müssen, weil der ausgemergelte, aus tausend Wunden blutende Körper seines Volkes gänzlich zusammenzubrechen drohte«. Dazu stimmt es dann freilich nicht recht, daß Friedrich selbst in seinen Schriften über den Krieg immer behauptet hat, er habe nur einen Angriff abwehren wollen; das würde doch gar sehr, um auch ein Bild zu gebrauchen, an den Fuchs erinnern, der einen Sprung nach dem Taubenschlage macht und, wenn er dabei eine gewaltige Tracht Prügel bezieht, nichts getan haben will.

      Man sieht jedoch: Wer heute ein »Pamphlet« gegen den König Friedrich schreiben will, wie mir die Sauer und Konsorten nachreden, der hat höchstens die Qual der Wahl. Er kann mit einem Teile der preußischen Historiker den König für einen »kompletten Narren«, oder er kann ihn mit dem anderen Teile für einen ruchlosen Eroberer erklären, der Europa an allen vier Ecken angezündet hat, um Pläne auszuführen, zu deren Ausführung ihm die Macht fehlte. Wäre das eine richtig oder auch das andere, so würde die Auffassung, die dies Buch von Friedrich entwickelt, allerdings grundfalsch sein. Allein ich halte sie vollkommen aufrecht, auch in dem, was ich über den Ursprung des Siebenjährigen Krieges sage, und will sie hier nur etwas ausführlicher begründen, um zugleich die Ursache aufzudecken, woraus der Streit entstanden ist, der nun schon manches Jahr im Lager der preußischen Historiker tobt.

      Um es mit einem Worte vorwegzunehmen, so wurzelt dieser Streit in der Unmöglichkeit, in der sich jeder preußische Historiker befindet, anzuerkennen oder vielmehr – da bei den preußischen Historikern, um die es sich hier handelt, nur von einer objektiven Befangenheit gesprochen werden darf – überhaupt zu erkennen, daß die preußische Macht und Herrlichkeit als Werk der Fremdherrschaft entstanden ist. Friedrich hätte Schlesien nie erobert ohne die französische Hilfe, wie Max Lehmann wiederholt mit Recht hervorgehoben hat, aber die französische Hilfe wurde ihm nicht um seiner schönen Augen willen gewährt, sondern weil ihn die Franzosen als Pfahl im österreichischen Fleische haben, weil sie durch den habsburgisch-hohenzollernschen Dualismus ihre eigene Herrschaft über Deutschland stärken wollten. Sie behandelten den preußischen König als ihren Vasallen, als einen »Filigrankönig«, der von ihren Gnaden existiere, und als sie im Jahre 1756 in einen großen Kolonialkrieg mit England gerieten, verlangten sie von Friedrich, daß er nun als Gegendienst für die Eroberung Schlesiens in ihrem Interesse Hannover besetzen solle, den einzigen Punkt, wo England auf dem Kontinent verwundet werden konnte.

      Hierauf konnte und wollte sich Friedrich nicht einlassen. Er hatte zwar nichts dagegen, daß die Franzosen selbst sich Hannovers bemächtigten, und hat sie sogar dazu ermuntert, aber er wußte auch, daß er nicht nur die Engländer, sondern auch die Österreicher und Russen auf dem Halse haben würde, wenn er dem französischen Wunsche nachgab. Er war längst darüber unterrichtet, daß der österreichische Hof die Rückeroberung Schlesiens plane und an dem russischen Hofe einen Bundesgenossen gewonnen hatte. Beide waren einstweilen lahmgelegt, namentlich durch Mangel an Geld, aber wenn Friedrich durch einen Angriff auf Hannover die englischen Subsidien für sie lockermachte, dann hatte er sie unfehlbar auf dem Halse, und mit welchem Gleichmut ihm dann die Franzosen die ganze Last des kontinentalen Krieges auf dem Nacken gelassen hätten, das konnte er sich nach den fatalen Erinnerungen des Zweiten Schlesischen Krieges von selbst sagen. An der von seinem Standpunkt aus durchaus berechtigten Weigerung, im französischen Interesse sich Hannovers zu bemächtigen, scheiterte die Erneuerung seines im Jahre 1756 ablaufenden Bündnisses mit Frankreich.

      Nun


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