Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль


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den Husaren und dermaleinst Pair von Frankreich. Kommen Sie mir hinterher nicht mit Klagen!«

      Julian hatte einen feuerroten Kopf bekommen.

      »Ich bin der Meinung«, erwiderte er, »einem Menschen, der einen verächtlich behandelt, antwortet man am besten überhaupt nicht.«

      »Da haben Sie nicht die richtige Vorstellung von aristokratischer Verachtung«, wandte Pirard ein. »Sie dürfte sich kaum anders denn in übertriebenen Komplimenten äußern. Ein Dummkopf nimmt das für bare Münze. Einer, der sein Glück machen will, muß so tun.«

      »Wird man mich für undankbar halten«, fragte Julian, »wenn ich an dem Tage, da mir dies alles nicht mehr gefällt, in meine kleine Zelle Nummer 103 zurückkehre?«

      »Allerdings«, entgegnete der Abbé. »Alle Schmeichler des Hauses werden Sie verleumden. Aber dann werde ich auf dem Posten sein. Adsum, qui feci. Ich werde sagen, ich hätte Sie dazu veranlaßt.«

      Julian war verletzt durch den bitteren, beinahe bösen Ton, den Pirard während der ganzen Unterredung anschlug. Das brachte ihn um den Inhalt der letzten Worte des Abbé. In Wirklichkeit machte sich Pirard schwere Vorwürfe ob seiner Vorliebe für Julian. Auch war es ihm contre cœur, sich so unmittelbar in das Geschick eines Mitmenschen zu mischen.

      Mit der nämlichen Mißlaune, als entledige er sich einer unangenehmen Pflicht, fuhr er fort: »Sie werden auch die Frau Marquise von La Mole kennenlernen, eine stattliche Blondine, eine fromme, hochmütige, äußerst verbindliche Dame, aber eine Frau ohne die geringste Bedeutung. Sie ist eine Tochter des alten Herzogs von Chaulnes, der wegen seines Adelsstolzes allbekannt ist. Diese Grande-dame ist sozusagen der Extrakt ihrer sämtlichen Ranggenossinnen. Sie macht kein Hehl daraus, daß der einzige Vorzug, den sie anerkennt, der ist, Ahnen zu haben, die die Kreuzzüge mitgemacht haben. Reichtum steht tief unter dem. Das wundert Sie? Ja, mein Lieber, wir sind nicht mehr in der Provinz.

      Sie werden in den Salons des Hauses von La Mole manchen hohen Herrn in sonderbar leichtfertigem Tone von unserm Herrscherhause reden hören. Die Frau Marquise hingegen zerfließt in Verehrung des Gottesgnadentums. Ich rate Ihnen nicht, in ihrer Gegenwart zu behaupten, Philipp der Zweite oder Heinrich der Achte seien Unmenschen gewesen. Diese Herren waren Majestäten! Das gibt ihnen ewige Rechte auf die Ehrerbietung sämtlicher Menschen, insbesondere sämtlicher Menschen ohne Ahnen, wie wir welche sind, Sie und ich. Allerdings sind wir beide Priester. Als solcher werden Sie von ihr behandelt werden. Wir sind sozusagen die Kammerdiener ihres Seelenheils.«

      »Herr Abbé«, erklärte Julian, »ich glaube, ich werde nicht lange in Paris bleiben.«

      »Wir werden ja sehen. Aber vergessen Sie nicht, daß unsereiner nur durch die großen Herren Karriere machen kann. Sie haben, zum mindesten für mich, in Ihrem Wesen etwas Geheimnisvolles und Seltsames. Darum bilde ich mir ein, entweder werden Sie sehr hoch kommen oder sehr viel zu leiden haben. Ein Zwischending gibt es für Sie nicht. Des seien Sie sich immer klar. Die Leute merken, daß Sie am liebsten nicht angeredet sein wollen. In einem sozialen Lande wie Frankreich sind Sie verloren, wenn Sie nicht vor jedermann Respekt zeigen, der Anspruch darauf erhebt. Was wäre in Besançon aus Ihnen geworden, wenn die Laune des Marquis nicht auf Sie geraten wäre? Eines Tages werden Sie begreifen, wie außergewöhnlich das ist, was er für Sie tut, und wenn Sie nicht gerade ein Ungeheuer sind, werden Sie ihm und seiner Familie ewig dankbar sein. Wie viele arme Abbés, gelehrtere Köpfe als Sie, haben lange, lange Jahre ihr Leben in Paris gefristet von den paar Groschen, die einem wissenschaftliche Arbeiten einbringen.

      Ich spreche nur deshalb so ausführlich mit Ihnen, um Sie ein wenig vorsichtig zu stimmen. Noch eins: ich bin leider ein jähzorniger Mensch, und so könnte es sich ereignen, daß wir uns eines Tages entzweien. Wenn Ihnen der Hochmut der Marquise oder die schlechten Späße ihres Sohnes den Aufenthalt in diesem Hause ein für allemal verleiden sollten, so gebe ich Ihnen den Rat: beenden Sie Ihre Studien in einem Seminar nicht allzu weit entfernt von Paris, und zwar lieber im Norden denn im Süden. Im Norden herrscht feinere Kultur, und …«, das Folgende flüsterte er, » … ich muß sagen, die Nähe der Pariser Zeitungen hält die kleinen Tyrannen im Zaume.

      Sollten wir aber, was ich hoffe, weiterhin Freude daran finden, miteinander zu verkehren, und das Haus des Marquis gefällt Ihnen eines Tages nicht mehr, so mache ich Ihnen den Vorschlag, mein Vikar zu werden. Wir teilen dann brüderlich, was mir meine Pfarre einbringt. Mein jetziges Einkommen beschämt mich sowieso. Es steht nicht recht im Verhältnis zu meiner Arbeit. Das bin ich Ihnen schuldig, das und noch mehr …«

      Julian beteuerte, daß er der zum Dank Verpflichtete sei.

      »… Erinnern Sie sich des sonderbaren Anerbietens, das Sie mir in Besançon gemacht haben, als ich mein Amt aufgab? Ich besaß einhundertfünfundsiebzig Taler Ersparnisse, keinen roten Heller mehr oder weniger. Hätte ich nicht einmal die gehabt – und nicht Herrn von La Mole, so wären Sie meine Zuflucht gewesen.«

      Der harte Ton des Abbés war verflogen. Zu seiner größten Verlegenheit vermochte Julian seine Tränen nicht zurückzuhalten. Am liebsten wäre er seinem Freunde um den Hals gefallen. Er nahm sich jedoch zusammen und begnügte sich, ihm so männlich wie möglich zu antworten: »Mein Vater hat mich bereits gehaßt, als ich noch in der Wiege lag. Damit fing das Unglück meines Lebens an. Fortan aber will ich dem Schicksal nicht mehr grollen, denn ich habe in Ihnen, Herr Abbé, einen wirklichen Vater gefunden …«

      »Schon gut! Schon gut!« unterbrach ihn Pirard verlegen. Just zur rechten Zeit fiel ihm etwas aus seiner Seminardirektorzeit ein. »Übrigens, mein lieber Sohn, dürfen Sie nie sagen: das Schicksal. Sagen Sie immer: die Vorsehung!«

      In diesem Augenblick hielt die Droschke. Der Kutscher hob den bronzenen Türklopfer eines mächtigen Tores. Man war vor dem Palais La Mole. Über dem Portal leuchteten auf schwarzem Marmor die Worte: Hôtel de la Mole.

      Die auffällige Schrift mißfiel Julian. »Diese Leute haben eine Heidenangst vor den Jakobinern. Hinter jeder Hecke sehen sie einen Robespierre mit seinem Henkerskarren. Das ist zum Totlachen. Und dann wieder hängen sie solche Firmen an ihre Paläste, damit der plündernde Mob bei einem Umsturz nicht erst lange zu suchen braucht.«

      Er teilte dem Abbé mit, was er eben gedacht hatte.

      »Ärmster«, entgegnete dieser, »Sie werden mein Vikar allzubald sein. Was haben Sie für schauderhafte Einfalle!«

      »Der Gedanke liegt aber doch nahe«, meinte Julian.

      Das würdevolle Benehmen des Pförtners und mehr noch die peinliche Sauberkeit des Hofes riefen seine Bewunderung hervor. Es war heller Sonnenschein.

      »Ein großartiger Bau!« sagte er zu seinem Freunde.

      Der Palast war eins jener langweiligen mächtigen Häuser der Vorstadt Saint-Germain, wie sie zur Zeit von Voltaires Tod erbaut wurden.

      32. Kapitel

      Voller Staunen blieb Julian mitten im Hofe stehen.

      »Seien Sie doch nicht so kindisch«, ermahnte ihn Pirard. »Erst haben Sie die gräßlichsten Einfalle, und dann stehen Sie da wie die Kuh vorm neuen Tore. Wo bleibt da das Nil admirari (das Nichtsbewundern) des Horaz? Bedenken Sie, daß sich der Schwarm der Lakaien über Sie lustig macht, wenn man Sie so dastehen sieht. Dann haben Sie es von vornherein bei den Leuten verspielt.«

      »Ich möchte es keinem raten, mich nicht zu respektieren«, sagte Julian, sich auf die Lippen beißend. All sein Mißtrauen war wieder da.

      Um in das Arbeitszimmer des Hausherrn zu gelangen, durchschritten sie die Säle des ersten Stockes, öde, unwohnliche, trübselige Prunkzimmer. Julians Bewunderung ward noch größer. »Wer hier wohnt, kann nie unglücklich sein«, dachte er bei sich.

      Endlich erreichten sie den schlichtesten, nicht einmal gut belichteten Raum des prächtigen Palastes. Drin befand sich ein kleiner schmächtiger Herr mit lebhaften Augen und einer blonden Perücke. Der Abbé wandte sich nach Julian um und stellte ihn vor. Es war der Marquis. Julian kannte ihn kaum wieder. Dieser so höfliche Herr war ein ganz andrer als der, den er in seiner Erinnerung hatte. Das war nicht wie damals in der Abtei Hohen-Bray der Grandseigneur mit der hochmütigen Miene. Julian kam es vor, als habe die Perücke des Marquis zu viel Haare. Diese ihn ablenkende


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