Schöne Gedichte. Joachim Ringelnatz

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Schöne Gedichte - Joachim  Ringelnatz


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Züge nahn.

      Der arme Sauerampfer

      Sah Eisenbahn um Eisenbahn,

      Sah niemals einen Dampfer.

      Spielball

      Es weint ein Kind.

      Ein Luftballon mit dünnem Zopf

      Und kleiner als des Kindes Kopf

      Entflieht im Wind.

      Und reist und steigt verwegen.

      Ein Nebel wallt.

      Ein Fehlschuß knallt.

      Dann fällt ein sanfter Regen.

      Rundrote Riesenbeere

      Rollt müde und verschrumpft

      In einem Wipfelmeere,

      Hat austriumpht.

      Witziger Kräherich

      Bringt seinem Bräutchen

      Ein hohles Häutchen,

      Die aber ärgert sich.

      Das scheue Wort

      Es war ein scheues Wort.

      Das war ausgesprochen

      Und hatte sich sofort

      Unter ein Sofa verkrochen.

      Samstags, als Berta das Sofa klopfte,

      Flog es in das linke, verstopfte

      Ohr von Berta. Von da aus entkam es.

      Ein Windstoß nahm es,

      Trug es weit und dann hoch empor,

      Wo es sich in das halbe, bange

      Gedächtnis eines Piloten verlor.

      Fiel dann an einem Wiesenhange

      Auf eine umarmte Arbeiterin nieder,

      Trocknete deren Augenlider.

      Wobei ein Literat es erwischte

      Und, falsch belauscht,

      Eitel aufgebauscht,

      Mittags dann seichten Fressern auftischte.

      Und das arme, mißbrauchte,

      Zitternde scheue Wort

      Wanderte weiter und tauchte

      Wieder auf, hier und dort.

      Bis ein Dichter es sanft einträumte,

      Ihm ein stilles Palais einräumte. –

      Kam aber sehr bald ein Parodist

      Mit geschäftlich sicherem Blick,

      Tauchte das Wort mit Speichel und Mist

      In einen Aufguß gestohlner Musik.

      So ward es publik.

      So wurde es volkstümlich laut.

      Und doch nur sein Äußeres, seine Haut,

      Das Klangliche und das Reimliche.

      Denn das Innerste, Heimliche

      An ihm war weder lauschend noch lesend

      Erreichbar, blieb öffentlich abwesend.

      Am Sachsenplatz: Die Nachtigall

      Es sang eine Nacht …

      Eine Nachti …

      Ja Nachtigall am Sachsenplatz

      Heute morgen. – Hast du in Berlin

      Das je gehört? – Sie sang, so schien

      Es mir, für mich, für Ringelnatz.

      Und gab mir doch Verlegenheit,

      Weil sie dasselbe Jauchzen sang,

      Das allen Dichtern früherer Zeit

      Durchs Herz in ihre Verse klang.

      In schöne Verse!

      Nachtigall,

      Besuche bitte ab und zu

      Den Sachsenplatz;

      Dort wohne ich. – Ich weiß, daß du

      Nicht Verse suchst von Ringelnatz.

      Und hatten doch die Schwärmer recht,

      Die dich besangen gut und schlecht.

      Im Park

      Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum

      Still und verklärt wie im Traum.

      Das war des Nachts elf Uhr zwei.

      Und dann kam ich um vier

      Morgens wieder vorbei,

      Und da träumte noch immer das Tier.

      Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –

      Gegen den Wind an den Baum

      Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.

      Und da war es aus Gips.

      Der Globus

      »Wo sitzt«, so frug der Globus leise

      Und naseweise die weise, weiße,

      Unübersehbar weite Wand,

      »Wo sitzt bei uns wohl der Verstand?«

      Die Wand besann sich eine Weile,

      Sprach dann: »Bei dir – im Hinterteile!«

      Nun dreht seitdem der Globus leise

      Sich um und um herum im Kreise –

      Als wie am Bratenspieß ein Huhn,

      Und wie auch wir das schließlich tun –,

      Dreht stetig sich und sucht derweil

      Sein Hinterteil, sein Hinterteil.

      »Oh«, rief ein Glas Burgunder

      »Oh«, rief ein Glas Burgunder,

      »Oh, Mond, du göttliches Wunder!

      Du gießt aus silberner Schale

      Das liebestaumelnde, fahle,

      Trunkene Licht wie sengende Glut

      Hin über das nachtigallige Land – –«

      Da rief der Mond, indem er verschwand:

      »Ich weiß! Ich weiß! Schon gut! Schon gut!«


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