Römische Geschichte. Cassius Dio

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Römische Geschichte - Cassius Dio


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damals nicht gehabt, wessen du nicht bedurftest, oder du besitzest jetzt noch, was du nicht nötig hast. Denn das meiste davon hast du nicht von deinen Vätern ererbt, dass seine Erhaltung dir teuer sein müsste, sondern durch deine Zunge und deine Reden gewonnen und verloren. 4 Wie kannst du dich also deshalb grämen? – Wie gewonnen, so zerronnen! Auch die Schiffsherren veranschlagen selbst bedeutende Verluste nicht so hoch, weil sie sich vernünftigerweise sagen müssen: Das Meer hat’s gegeben, das Meer hat’s genommen.

      (21) Doch darüber genug! Der Mensch, glaube ich, bedarf zu seiner Glückseligkeit nichts, als dass er hat, was er braucht, und dass es seinem Körper an dem Nötigen nicht gebricht. Aller Überfluss erzeugt nur Sorgen, Mühe und Neid. 2 Wenn du aber sagst, dass leibliche Güter keinen Genuss gewähren, wofern nicht auch die Seele sich wohlfühle, so gebe ich dir vollkommen recht, denn wenn diese leidet, so muss der Körper notwendig auch mit ihr leiden; aber ich glaube, dass man die Seele viel leichter als den Körper im Wohlbefinden erhält. 3 Denn dieser, von irdischem Bestand, unterliegt an sich schon vielen Unfällen und bedarf vielfacher Hilfe der Gottheit, jene aber, göttlichen Wesens, wird leicht in Gleichgewicht und Ordnung erhalten. Sehen wir nun, welche Güter der Seele du besitzest und welche Übel dich betroffen haben, die nicht zu beseitigen wären.

      (22) Erstens bist du der verständigste Mann, den ich kenne; denn wie oft hast du nicht Senat und Volk zur Befolgung deiner Ratschläge überredet! Wie oft nicht einzelnen Bürgern durch deine Reden aus der Not geholfen! 2 Sodann halte ich dich auch für den Gerechtesten. Du bist jederzeit für Vaterland und Freunde wider ihre Nachsteller in die Schranken getreten und hast selbst deine gegenwärtigen Leiden aus keinem anderen Grund erduldet, als dass du für Gesetze und Staat durch Rede und Tat unablässig gewirkt hast. 3 Dass du aber auch im höchsten Grad mäßig gewesen bist, bestätigt deine ganze Lebensweise; denn unmöglich kann einer, der den sinnlichen Lüsten frönt, immer vor dem Volk erscheinen, auf dem Markt sich umtun und die Taten des Tages zu Zeugen seiner nächtlichen Arbeiten machen. 4 So hielt ich dich auch für den Tapfersten, da du solche Stärke des Geistes, solche Kraft der Rede bewiesen hast. Durch dein unerwartetes und unverdientes Schicksal aber außer Fassung gebracht, hast du von deiner Tapferkeit eingebüßt; doch wirst du dich bald wieder ermannen. Bei solchen Vorzügen, da du nach Geist und Leib dich wohlbefindest, sehe ich nicht ein, was dich also berücken sollte.«

      (23) Auf diese Rede entgegnete Cicero: »So scheint dir also Schande und Verbannung kein großes Übel? Dem Schoß der Familie, dem Kreis der Freunde entrissen, mit Hohn aus dem Vaterland verstoßen, in der Fremde zu leben und als ein Flüchtling, ein Spott der Feinde, eine Schmach der Freunde, umherzuirren?« – 2 »Keineswegs«, erwiderte Philiscus, »wenn wir aus zwei Teilen, aus Leib und Seele bestehen und beiden von der Natur bestimmte Güter und Übel zugeteilt sind, so kann, wenn man in Beziehung auf diese etwas versieht, dies mit Recht für schädlich oder schimpflich gehalten werden, wenn aber beide in gutem Stand sind, so wird dies nur um so vorteilhafter sein. 3 Dies ist jetzt bei dir der Fall. Denn alles, Verunglimpfungen und was dergleichen mehr ist, erscheinen nur durch Satzung und Vorurteil als schimpflich und übel, schadet aber weder dem Leib noch der Seele. Denn wo findest du einen Körper, erkrankt oder umgekommen, wo eine Seele ungerechter oder unwissender geworden durch Schande, Verbannung oder Ähnliches? 4 Ich wenigstens finde nichts der Art, und zwar deshalb, weil keines an und für sich ein Übel ist. So sind auch der Vollgenuss der Bürgerrechte und der Aufenthalt im Vaterland nicht an sich ein Gut, sie haben nur insoweit einen Wert, als jeder von uns sie dafür erachtet. 5 Auch haben die Menschen über Schande oder Ehre nicht immer dieselbe Ansicht; Handlungen, die den einen schuldhaft erscheinen, werden von anderen gelobt. Was der eine schätzt, das bestraft der andere. 6 Ja es gibt gar Leute, welche die Schande weder dem Namen noch dem Wesen nach kennen, und zwar nicht mit Unrecht; denn was die natürlichen Güter des Menschen nicht berührt, das geht ihn eigentlich auch gar nichts an. Wie ein Urteilsspruch oder ein Volksbeschluss, dass der und der krank oder hässlich sein solle, höchst lächerlich wäre, so verhält es sich auch mit der Schande.

      (24) Dasselbe gilt, glaube ich, auch von der Verbannung. Sie ist ein mit Schande verbundener Aufenthalt im Ausland. Wenn nun die Schande an sich kein Übel ist, so kann sie auch wohl die Verbannung nicht zu einem Übel machen. 2 Denn viele sind ja die meiste Zeit teils gezwungen, teils freiwillig außer Landes, andere wandern ihre Lebtage umher, als würden sie überall ausgestoßen, und es geht ihnen doch nicht schlecht dabei. 3 Ob man dies nun freiwillig oder unfreiwillig tut, was liegt daran? Einer, der wider Willen seinen Körper übt, kräftigt sich ebenso gut wie der, der es freiwillig tut, und wer unfreiwillig in die See geht, hat denselben Vorteil wie der andere. Zu dem sehe ich nicht, wie ein kluger Mann in die Lage kommen kann, etwas wider seinen Willen zu tun. 4 Wenn darin, dass nur das, was wir gern tun, leicht, was wir wider Willen tun, schwer ankommt, der Unterschied zwischen Glück und Unglück liegt, so ist dem leicht zu helfen. Denn wenn wir alles, was das Schicksal heischt, gerne hinnehmen und uns dadurch nicht niederdrücken lassen, so ist darin auch alles das begriffen, was einer sonst wohl zum Unfreiwilligen gerechnet hätte. 5 Ein alter und wahrer Spruch sagt: »Wir dürfen nicht verlangen, dass das, was wir wollen, geschähe, sondern sollen wollen, was das Schicksal will. Wir leben nicht nach eigener Wahl, hängen nicht von uns selbst ab, sondern müssen uns zu dem bequemen, was das Schicksal und der Dämon will, der jedem von uns als Vollstrecker seines Loses zugeteilt ist. Dies bleibt dasselbe, wir mögen wollen oder nicht.

      (25) Wenn dich aber nicht so sehr diese Schande, diese Verbannung betrübt, sondern der Gedanke, dass du keiner Schuld gegen dein Vaterland dir bewusst bist, vielmehr, als dessen Wohltäter, entehrt und verstoßen wurdest – so bedenke, dass, wenn dies dir einmal vom Schicksal beschieden war, es am schönsten und besten für dich ist, dass es ohne dein Verschulden über dich verhängt wurde. 2 Du hast nicht als Privatmann, sondern als Konsul, nicht unbefugt, sondern den Beschlüssen des Senats gehorchend, nicht aus Parteisucht, sondern zum Wohle des Staates durch Rat und Tat deine Pflicht als Bürger erfüllt. 3 Wenn nun der und jener, aus Sucht zu herrschen und zu kränken, wider dich Ränke schmiedeten, so wird diese wegen ihres Unrechts ihr Gewissen strafen, dir aber ist es rühmliche Pflicht, in die Schickung der Gottheit dich männlich zu ergeben. 4 Denn du würdest doch wohl nicht lieber als Genosse Catilinas, als Mitverschwörer des Lentulus, als ein Mann, der in allem seinem Vaterland zum Verderben geraten hat, seinem Ruf ungehorsam ist, als ein Verräter zu Hause bleiben, statt als Retter desselben zu fliehen! 5 Ist es, wenn du an den Ruhm denkst, nicht um vieles wünschenswerter, schuldlos in der Verbannung, als schuldig unter den Deinen zu wohnen? Denn von allem anderen abgesehen, trifft Schande diejenigen, die einen ungerecht aus dem Vaterland verstoßen haben, und nicht den, der durch Hinterlist vertrieben wurde.

      (26) Wie ich höre, hast du dich nicht gezwungen oder infolge einer Verurteilung entfernt, sondern freiwillig den Umgang mit diesen Menschen aufgegeben, unfähig sie zu bessern und nicht gewillt, mit ihnen unterzugehen. Nicht das Vaterland, nur dessen Feinde hast du gemieden. Jene vielmehr sind die Entehrten, die Verbannten, welche alles Gefühl für das Gute aus der Seele verbannt haben, 2 du aber bleibst der Geehrte und Glückliche, der es verschmäht, sich zum Sklaven zu erniedrigen und alles hat, was er braucht, mag er in Makedonien oder irgendwo sonst auf dem Erdkreis wohnen. Der Ort gibt weder Glück noch Unglück. Jeder schafft sich immer und überall sein Vaterland und seine Glückseligkeit. 3 So dachte Camillus und lebte zufrieden in Ardea, so Scipio und fand sein Linternum erträglich. Nicht bedarf es, einen Aristides, einen Themistokles zu nennen, welche die Verbannung noch berühmter gemacht hat. Was einen Annius,116 einen Solon? Der Letztere lebte freiwillig zehn Jahre außerhalb des Vaterlands? 4 Halte somit auch du, was weder die Seele, noch den Körper berührt, nicht für unerträglich und hadere mit dem Schicksal nicht wegen der Sache, die dich betroffen hat. Denn es steht nicht bei uns zu leben, wie wir wollen, wir müssen uns fügen in das, was die Gottheit über uns verhängt; 5 tun wir es freiwillig, so ersparen mir uns Kummer; wenn nicht, so entfliehen wir doch dem Verhängnis nicht und haben


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