Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch). Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch) - Arthur Conan Doyle


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Von diesem Tage an wurden sie nicht mehr in London gesehen, überhaupt nicht in England. Ungefähr sechs Monate später wurden der Marchese von Montalva und Signor Rulli, sein Sekretär, zusammen in ihrem Zimmer im Hotel Escorial in Madrid ermordet. Das Verbrechen wurde mit der nihilistischen Propaganda in Verbindung gebracht, die Mörder nie entdeckt. Inspektor Baynes besuchte uns in der Bakerstraße mit einer gedruckten Beschreibung des dunkeln Gesichtes des Sekretärs und des herrischen Gesichtes, der magnetischen schwarzen Augen und der buschigen Brauen seines Herrn. Wir konnten kaum bezweifeln, daß es sich um Murillo und Lopez handelte, die von ihrer gerechten Strafe endlich ereilt waren.

      »Ein chaotischer Fall, mein lieber Watson«, sagte Holmes bei einer abendlichen Pfeife. »Es wird dir diesmal nicht möglich sein, ihn in der zusammengefaßten Form, die dir so am Herzen liegt, der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Der Fall Murillo-Garcia umfaßt zwei Erdteile, zwei Gruppen geheimnisvoller Persönlichkeiten und ist weiterhin kompliziert infolge der hochehrenwerten Anwesenheit unseres Freundes Scott Eccles, dessen Hereinspielen in den Fall mir zeigt, daß Garcia einen gut entwickelten Selbsterhaltungstrieb hatte und einen scharfen Geist, verbunden mit Menschenkenntnis. Der Fall ist für mich deshalb bemerkenswert, weil wir inmitten eines wahren Dschungels von Möglichkeiten zusammen mit unserm Freund Baynes doch das Wesentliche richtig erkannten und so durch alle Wirrnisse hindurch auf den gewundensten Pfaden an unser Ziel geführt wurden. Ist irgendein Punkt dir noch nicht ganz klar?«

      »Ja, der Grund, weswegen der Koch zweimal zur Villa Wisteria zurückkam.«

      »Ich denke mir, daß der Homunkulus in der Küche die Erklärung bietet. Der Koch war ein primitiver Wilder aus dem Innern von Mittelamerika, und das fremdartige menschenähnliche Ding war sein Fetisch. Nachdem er und sein Genosse in ein vorbereitetes Versteck – das ein weiterer Verbündeter sicher schon bewohnte – entflohen waren, vermißte der Koch seinen Fetisch, den er in der Überstürzung der Flucht zurückgelassen, so sehr, daß es ihn am andern Tag zu der Villa zurücktrieb. Hier fand er das Haus von dem Konstabler Walters bewacht. Er wartete drei Tage länger, dann trieb es ihn abermals zu seinem Idol. Inspektor Baynes, der mit seiner gewöhnlichen Verschmitztheit den Vorfall mir gegenüber als unwesentlich hingestellt hatte, war sich in Wirklichkeit über seine Bedeutung im klaren, und er stellte dem Fetischanbeter eine Falle, in die er denn auch prompt hineinging. Noch etwas unklar?«

      »Der zerrissene Hahn, der Napf mit Blut, die verkohlten Knochen, der ganze Hexenzauber in der Küche.«

      Holmes lächelte, als er in seinem Taschenbuch eine Notiz suchte.

      »Ich verbrachte deswegen einen Vormittag im Britischen Museum und blätterte die einschlägige Literatur durch. Da finde ich ein Zitat aus Eckermann, Voduismus und verwandte Neger-Religionen: ›Der echte Voduanbeter unternimmt nichts von Bedeutung ohne gewisse Opfer, die den Zweck haben, seine unreinen Götter zu reinigen. In extremen Fällen nehmen diese Opfer die Form von Menschenopfern an, oft mit nachfolgendem Kannibalismus. Häufig sind die Opfertiere ein weißer Hahn, der lebend in Stücke gerissen wird, oder eine junge schwarze Ziege, der der Hals durchschnitten wird; der Körper wird dann verbrannt.‹ Du siehst also, der Koch war sehr orthodox. Es ist – grotesk, Watson.« Holmes fügte hinzu, als er langsam sein Taschenbuch mit einem roten Gummiband verschloß: »Wie ich schon früher Gelegenheit hatte zu bemerken, ist es vom Grotesken zum Entsetzlichen nur ein Schritt.«

       Englisch

      Der rote Kreis

       Inhaltsverzeichnis

      »Nun, Frau Warren, ich kann wirklich keinen Grund zu irgendwelcher Beunruhigung für Sie sehen, noch verstehe ich, weshalb ich, dessen Zeit wertvoll ist, mich in diese Angelegenheit mischen soll.« So sprach Sherlock Holmes und wandte sich wieder dem Briefordner zu, in welchen er die Aufzeichnungen über seine letzte Tätigkeit einreihte und registrierte.

      Aber Frau Warren besaß die Beharrlichkeit und Schlauheit ihres Geschlechts. Sie ließ sich nicht beirren.

      »Voriges Jahr halfen Sie einem meiner Mieter in einer schwierigen Frage«, sagte sie –»Herrn Fairdale Hobbs.«

      »Ach ja – eine einfache Sache.«

      »Und doch wird er nie aufhören, davon zu sprechen, – von Ihrer Güte, Herr Holmes, und wie Sie Licht in die dunkle Angelegenheit brachten. Ich erinnerte mich seiner Worte, als ich selbst jetzt auf einmal voll Zweifel und Sorge war. Ich weiß, Sie könnten, wenn Sie nur wollten.«

      Holmes war der Schmeichelei zugänglich und auch – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – der Liebenswürdigkeit. Mit einem Seufzer der Ergebenheit legte er seine Feder auf den Tisch und schob den Stuhl zurück.

      »Gut, Frau Warren, lassen Sie also Ihre Geschichte hören, Sie gestatten doch, daß ich rauche? Danke sehr! Watson – Zündhölzer! Sie fühlen sich unbehaglich, soviel ich verstanden habe, weil Ihr neuer Mieter in seinen Zimmern bleibt und Sie ihn nie sehen. Aber ich bitte Sie, Frau Warren, wenn ich Ihr Mieter wäre, würden Sie oft wochenlang nichts von mir sehen.«

      »Zweifellos, Herr Holmes; aber hier liegen die Dinge anders. Es beängstigt mich. Ich kann aus Furcht nicht schlafen. Immer seinen raschen Schritt über mir hin-und hergehen zu hören, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht, und niemals auch nur einen Schimmer von ihm zu sehen, – das ist mehr, als ich ertragen kann. Mein Mann ist so erregt darüber wie ich; aber er ist den ganzen Tag fort bei seiner Arbeit, während ich nie davon los komme. Was hat er zu verbergen? Was hat er getan? Außer dem Dienstmädchen bin ich ganz allein mit ihm im Hause, und das halten meine Nerven nicht mehr lange aus.«

      Holmes beugte sich vor und legte seine langen, mageren Finger auf die Schulter der Frau. Wenn er wollte, konnte er eine beinahe hypnotische Kraft der Beruhigung ausüben. Der gequälte Ausdruck wich aus ihren Augen, und ihr aufgeregtes Gesicht zeigte allmählich wieder mehr Fassung. Sie setzte sich auf den Stuhl, welchen er ihr anbot.

      »Wenn ich mich damit beschäftigen soll, muß ich jede Einzelheit wissen«, sagte er. »Überlegen Sie in Ruhe. Der kleinste Punkt ist vielleicht der wichtigste. Sie sagten, der Mann sei vor zehn Tagen gekommen und hätte Ihnen Wohnung und Verpflegung für vierzehn Tage vorausbezahlt?«

      »Er fragte mich nach meinen Bedingungen. Ich sagte fünfzig Schilling die Woche. Es ist ein kleines Wohn-und Schlafzimmer im Giebel des Hauses, und volle Verpflegung.«

      »Nun?«

      »Er sagte: ›Ich zahle Ihnen fünf Pfund in der Woche, wenn Sie auf gewisse Bedingungen eingehen.‹ Ich bin eine arme Frau, Herr Holmes, und mein Mann verdient wenig; dies Geld bedeutet eine große Summe für uns. Er zog eine Zehnpfundnote heraus und hielt sie mir unter die Augen. ›Dasselbe können Sie für lange Zeit alle vierzehn Tage haben, wenn Sie die Bedingungen erfüllen‹, sagte er. ›Wenn nicht, so will ich nichts mehr mit Ihnen zu tun haben.‹«

      »Worin bestanden diese Bedingungen?«

      »Erstens wollte er einen Hausschlüssel haben. Das ist ganz in der Ordnung; viele Mieter haben Hausschlüssel. Ferner will er vollständig sich selbst überlassen bleiben und darf niemals und aus gar keinem Grund gestört werden.«

      »Das ist doch wirklich nichts Merkwürdiges?«

      »An und für sich nicht, Herr Holmes. Und doch ist seine Lebensweise ohne Sinn und Verstand. Er wohnt nun zehn Tage bei uns, und weder ich noch mein Mann oder das Mädchen haben je das Geringste von ihm erblickt. Wir können diesen schnellen Schritt ruhelos über uns hören, hin und her, hin und her. Nachts, morgens und abends; aber den ersten Abend ausgenommen, ist er nicht ein einziges Mal ausgegangen.«

      »Oh, in der ersten Nacht ging er also aus?«

      »Ja, Herr Holmes, und kam sehr spät zurück, als wir schon alle zu Bett waren. Als er die Zimmer mietete, hatte er mir schon gesagt, daß er das tun würde und mich gebeten, die Haustüre nicht zu verriegeln. Ich hörte ihn nach Mitternacht heimkommen.«


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