Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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und es ist dir peinlich, von mir auch nur das geringste Geschenk anzunehmen. Du willst sogleich dafür bezahlen, es abarbeiten, wie wenn ich Frau Bubnowa wäre und dir Vorwürfe machte. Wenn es so ist, mußt du dich schämen, Jelena.«

      Sie antwortete nicht; ihre Lippen zuckten. Sie schien mir etwas erwidern zu wollen; aber sie bezwang sich und schwieg. Ich stand auf, um zu Natascha zu gehen. Diesmal ließ ich Jelena den Schlüssel da und bat sie, wenn jemand komme und klopfe, zu antworten und zu fragen, wer da sei. Ich war fest davon überzeugt, daß bei Natascha etwas sehr Schlimmes vorgefallen sei, was sie mir aber vorläufig verheimliche, wie das schon mehrmals zwischen uns vorgekommen war. Jedenfalls nahm ich mir vor, nur für einen Augenblick zu ihr zu gehen, um sie nicht durch meine Aufdringlichkeit aufzubringen.

      So war es denn auch. Sie empfing mich wieder mit unzufriedener, finsterer Miene. Ich hätte daraufhin sofort wieder weggehen sollen; aber die Beine wankten unter mir.

      »Ich bin nur auf einen Augenblick zu dir gekommen, Natascha«, begann ich, »um dich um Rat zu fragen, was ich mit dem Mädchen, das jetzt bei mir ist, anfangen soll.« Ich erzählte ihr in Kürze alles, was Jelena betraf. Natascha hörte mir schweigend zu.

      »Ich weiß nicht, was ich dir raten soll, Wanja«, antwortete sie. »Aus alledem ist zu ersehen, daß sie ein ganz seltsames Wesen ist. Vielleicht ist sie sehr schlecht behandelt und sehr verschüchtert worden. Laß sie wenigstens erst wieder gesund werden! Du willst sie zu den Unsrigen bringen?«

      »Sie sagt immer, sie wolle nicht von mir fortgehen, nirgendshin. Und Gott weiß, wie sie da aufgenommen werden würde; ich wenigstens bin mir darüber nicht klar. Nun, und du, liebe Freundin? Wie geht es dir? Du schienst gestern nicht wohl zu sein?« fragte ich schüchtern.

      »Ja… und ich habe auch heute Kopfschmerzen«, antwortete sie zerstreut. »Hast du jemand von den Unsrigen gesehen?«

      »Nein, ich werde morgen hingehen. Morgen ist ja Sonnabend…«

      »Nun, und?«

      »Am Abend kommt der Fürst…«

      »Nun, und? Ich habe es nicht vergessen.«

      »Ich meinte nur so…«

      Sie blieb gerade vor mir stehen und sah mir lange unverwandt in die Augen. In ihrem Blick lag eine gewisse Entschlossenheit, eine gewisse Hartnäckigkeit, etwas Aufgeregtes, Fieberhaftes.

      »Weißt du was, Wanja«, sagte sie, »sei so gut und verlaß mich jetzt; du störst mich sehr.«

      Ich stand von meinem Stuhl auf und sah sie mit unaussprechlichem Erstaunen an.

      »Nataschenka! Was ist dir? Was ist geschehen?« rief ich erschrocken.

      »Nichts ist geschehen! Morgen wirst du alles, alles erfahren; aber jetzt möchte ich allein sein. Hörst du, Wanja: geh jetzt sogleich fort! Es ist mir peinlich, furchtbar peinlich, dich anzusehen!«

      »Aber sage mir wenigstens …«

      »Morgen sollst du alles erfahren, alles! O mein Gott! Wirst du denn nicht fortgehen?«

      Ich ging. Ich war so bestürzt, daß ich ganz von Sinnen war. Mawra kam mir auf den Flur nachgelaufen.

      »Nun? Ist sie ärgerlich?« fragte sie mich. »Ich fürchte mich schon, ihr nahe zu kommen.«

      »Aber was hat sie denn eigentlich?«

      »Der Grund ist: Unserer hat sich schon seit drei Tagen bei uns nicht blicken lassen.«

      »Seit drei Tagen, sagst du?« fragte ich erstaunt. »Aber sie hat mir ja gestern selbst gesagt, er sei vormittags dagewesen und wolle abends wiederkommen…«

      »Gestern abend wiederkommen? Bewahre! Auch am Vormittag war er gar nicht da! Ich sage Ihnen, seit drei Tagen haben wir ihn nicht zu sehen bekommen. Hat sie Ihnen gestern wirklich selbst gesagt, er wäre am Vormittag dagewesen?«

      »Ja, das hat sie mir selbst gesagt.«

      »Nun«, sagte Mawra nachdenklich, »dann muß es ihr sehr nahegehen, wenn sie sogar Ihnen gegenüber es nicht eingestehen mag, daß er nicht dagewesen ist. Na, er ist schon ein netter Patron!«

      »Aber was hat denn das zu bedeuten?« rief ich.

      »Ja, es ist arg; ich weiß gar nicht mehr, was ich mit ihr anfangen soll«, fuhr Mawra, die Hände zusammenschlagend, fort… »Gestern hat sie mir zweimal befohlen, zu ihm zu gehen, und mich beidemal zurückgerufen, als ich schon unterwegs war. Und heute will sie auch mit mir gar nicht mehr reden. Wenn Sie wenigstens einmal zu ihm gingen! Ich wage schon gar nicht mehr, sie zu verlassen.«

      Ganz außer mir lief ich die Treppe hinunter.

      »Werden Sie am Abend zu uns kommen?« rief mir Mawra nach.

      »Ich will einmal sehen«, antwortete ich, mich umwendend. »Vielleicht werde ich nur bei dir vorbeikommen und fragen, wie die Sache steht. Wenn ich überhaupt selbst noch am Leben sein werde.«

      Ich hatte in der Tat eine Empfindung, als ob ich einen tiefen Stich mitten ins Herz bekommen hätte.

      Zehntes Kapitel

      Ich begab mich geradenwegs zu Aljoscha. Er wohnte bei seinem Vater in der Kleinen Morskaja. Der Fürst hatte eine recht große Wohnung inne, obwohl er allein lebte. Aljoscha hatte in dieser Wohnung zwei schöne Zimmer für sich. Ich kam nur sehr selten zu ihm und war bisher, glaube ich, nur einmal dagewesen. Er dagegen war häufiger bei mir gewesen, besonders anfangs, in der ersten Zeit seiner Verbindung mit Natascha.

      Er war nicht zu Hause. Ich ging geradenwegs in seine Zimmer und schrieb ihm folgendes Billett:

      »Aljoscha, Sie scheinen den Verstand verloren zu haben. Da Ihr Vater am Dienstagabend Natascha selbst gebeten hat, Ihnen die Ehre zu erweisen, Ihre Frau zu werden, und Sie Ihrerseits über diese Bitte erfreut waren, wovon ich Zeuge war, so werden Sie selbst zugeben müssen, daß Ihr gegenwärtiges Benehmen einigermaßen sonderbar ist. Wissen Sie, was Sie Natascha antun? Jedenfalls wird dieses mein Billett Sie daran erinnern, daß Ihr Verhalten gegen Ihre künftige Frau im höchsten Grad unwürdig und leichtfertig ist. Ich weiß sehr wohl, daß ich keinerlei Recht habe, Ihnen Strafpredigten zu halten; aber darum kümmere ich mich nicht.

      P. S. Von diesem Brief weiß sie nichts; sie hat nicht einmal von Ihnen zu mir gesprochen.«

      Ich siegelte den Brief und ließ ihn auf seinem Tisch liegen. Der Diener antwortete auf meine Frage, Alexei Petrowitsch sei fast nie zu Hause und werde auch diesmal erst in der Nacht, kurz vor Tagesgrauen, zurückkommen.

      Nur mühsam schleppte ich mich nach Hause. Der Kopf war mir schwindlig, die Beine waren mir schwach und zitterten. Die Tür zu meiner Wohnung war nicht verschlossen. Drinnen saß Nikolai Sergejewitsch Ichmenew und wartete auf mich. Er saß schweigend am Tisch und blickte erstaunt Jelena an, die ihn mit nicht geringerem Erstaunen ansah, obgleich sie hartnäckig schwieg. ›Hm‹, dachte ich, ›da muß sie ihm wohl sonderbar vorkommen.‹

      »Ich warte schon eine ganze Stunde auf dich, lieber Freund«, sagte er, »und ich muß gestehen, ich hätte nicht erwartet … dich so zu finden«, fuhr er fort, indem er sich im Zimmer umsah und mit kaum merklichem Augenzwinkern auf Jelena hindeutete.

      In seinen Augen prägte sich sein Erstaunen aus. Aber als ich ihn näher ansah, bemerkte ich an ihm eine starke Unruhe und Traurigkeit. Sein Gesicht war ungewöhnlich blaß.

      »Setz dich hin, setz dich hin!« fuhr er mit sorgenvoller, bekümmerter Miene fort. »Ich bin eilig zu dir gekommen, in einer ernsten Angelegenheit. Aber was ist dir? Du siehst ja ganz entstellt aus!«

      »Ich bin nicht wohl. Schon seit heute früh habe ich Schwindel.«

      »Na, da nimm dich in acht; so etwas darf man nicht vernachlässigen. Du hast dich wohl erkältet?«

      »Nein, es ist einfach ein nervöser Anfall. Das kommt bei mir manchmal vor. Und Sie, befinden Sie sich wohl?«

      »Es geht, es geht! So leidlich; ein bißchen Fieberhitze. Ich habe mit dir zu reden. Setz dich hin!«

      Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich ihm gegenüber. Der alte Mann beugte sich zu mir und begann leise, fast flüsternd:

      »Sieh


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