Der selbstsüchtige Riese und andere Märchen (Mit Illustrationen). Oscar Wilde

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Der selbstsüchtige Riese und andere Märchen (Mit Illustrationen) - Oscar Wilde


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ist etwas Wundervolles. Sie ist kostbarer als Smaragde und wertvoller als echte Opale. Für Perlen und Granatäpfel kann man sie nicht kaufen, noch ist sie auf dem Marktplatz ausgestellt. Man kann sie bei keinem Händler erstehen, noch läßt sie sich in einer Wagschale für Gold auswiegen.«

      »Die Musiker werden auf ihrer Galerie sitzen«, sagte der junge Student, »und auf ihren Saiteninstrumenten spielen, und meine Geliebte wird zur Musik der Harfe und der Violine tanzen. Sie wird so leicht dahintanzen, daß ihre Füße nicht den Boden berühren, und die Höflinge in ihren glänzenden Kleidern werden sich um sie drängen. Aber mit mir wird sie nicht tanzen, denn ich habe ihr keine rote Rose zu geben,« und er warf sich auf das Gras hin und verbarg sein Gesicht in seinen Händen und weinte.

      »Warum weint er?« fragte eine kleine grüne Eidechse, als sie mit dem Schwanz in der Luft an ihm vorbei rannte.

      »Ja, warum?« sagte ein Schmetterling, der hinter einem Sonnenstrahl dahinflatterte.

      »Ja, warum?« flüsterte ein Gänseblümchen mit sanfter, leiser Stimme zu seiner Nachbarin.

      »Er weint um eine rote Rose,« sagte die Nachtigall.

      »Um eine rote Rose!« riefen sie; »wie unendlich lächerlich!« und die kleine Eidechse, die so etwas wie ein Zyniker war, lachte aus vollem Halse.

      Aber die Nachtigall verstand im Innersten den Schmerz des Studenten, und sie saß schweigend auf dem Eichbaum und dachte nach über das Geheimnis der Liebe.

      Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel zum Fliegen aus und schwang sich in die Luft. Wie ein Schatten glitt sie durch den Hain, und wie ein Schatten segelte sie über den Garten. Im Mittelpunkte des Rasenplatzes stand ein schöner Rosenstrauch, und als sie ihn sah, flog sie zu ihm hin und setzte sich auf einen Zweig.

      »Gib mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich will dir mein süßestes Lied singen.«

      Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf.

      »Meine Rosen sind weiß,« antwortete er; »so weiß wie der Schaum des Meeres und weißer als der Schnee auf dem Berge. Aber geh' zu meinem Bruder, der rings um die alte Sonnenuhr wächst, und vielleicht wird er dir geben, was du wünschest.«

      Da flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch, der rings um die alte Sonnenuhr wuchs.

      »Gib mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich will dir mein süßestes Lied singen.«

      Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf.

      »Meine Rosen sind gelb,« antwortete er; »so gelb wie das Haar der Seejungfer, die auf einem Thron von Bernstein sitzt, und gelber als die gelbe Narzisse, die auf der Wiese blüht, bevor der Mäher kommt mit seiner Sense. Aber geh' zu meinem Bruder, der unter des Studenten Fenster wächst, und vielleicht wird er dir geben, was du wünschest.«

      Da flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch, der unter des Studenten Fenster wuchs.

      »Gib mir eine rote Rose,« rief sie, »und ich will dir mein süßestes Lied singen.«

      Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf.

      »Meine Rosen sind rot,« antwortete er; »so rot wie die Füße der Taube und röter als die großen Wedel der Koralle, die in der Tiefe des Meeres hin und her wogen. Aber der Winter hat meine Adern erkältet, der Frost hat meine Knospen zerstört, der Sturm hat meine Zweige gebrochen, und so werde ich dieses Jahr überhaupt keine Rosen haben.«

      »Eine rote Rose ist alles, was ich brauche,« rief die Nachtigall, »nur eine rote Rose! Gibt es denn keine Möglichkeit, eine zu erlangen?«

      »Es gibt eine Möglichkeit,« antwortete der Strauch; »aber sie ist so schrecklich, daß ich es nicht wage, sie dir zu nennen.« »Nenne sie mir,« sagte die Nachtigall, »ich fürchte mich nicht.« »Wenn du eine rote Rose wünschest,« sagte der Strauch, »dann mußt du sie bei Mondschein aus Musik bilden und sie mit deinem eigenen Herzblut färben. Du mußt vor mir singen, deine Brust gegen einen Dorn gedrückt. Die ganze Nacht durch mußt du mir singen, und der Dorn muß dein Herz durchbohren, und dein Lebensblut muß in meine Adern fließen und mein Blut werden.«

      »Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose,« rief die Nachtigall, »und Leben ist einem jeden sehr teuer. Es ist angenehm, im grünen Gehölz zu sitzen, die Sonne auf ihrem goldenen Wagen zu beobachten und den Mond auf seinem Perlenwagen. Süß ist der Duft des Weißdorns, und süß sind die Glockenblumen, die sich im Tal verbergen, und das Heidekraut, das auf dem Hügel blüht. Aber Liebe ist besser als Leben, und was ist das Herz eines Vogels, verglichen mit dem Herzen eines Menschen?«

      Da breitete sie ihre braunen Flügel zum Fliegen aus und schwang sich in die Luft. Wie ein Schatten glitt sie über den Garten, und wie ein Schatten segelte sie durch den Hain. Der junge Student lag noch auf dem Grase, wo sie ihn verlassen hatte, und die Tränen waren noch nicht getrocknet in seinen schönen Augen.

      »Sei glücklich,« rief die Nachtigall, »sei glücklich; du sollst deine rote Rose haben. Aus Musik will ich sie bei Mondschein bilden und sie färben mit meinem eigenen Herzblut. Alles, was ich zum Dank dafür verlange, ist, daß du ein wahrer Liebhaber bist, denn Liebe ist weiser als Philosophie, mag diese auch noch so weise sein, und stärker als Macht, mag diese auch noch so stark sein. Feuerfarben sind ihre Schwingen, und feuerfarben ist ihr Leib. Ihre Lippen sind süß wie Honig, und ihr Atem ist wie Weihrauch.«

      Der Student blickte auf von dem Gras und lauschte, aber er konnte nicht verstehen, was die Nachtigall zu ihm sprach, denn er kannte nur Dinge, die in Büchern niedergeschrieben sind.

      Aber der Eichbaum verstand und wurde traurig, denn er liebte die kleine Nachtigall, die ihr Nest in seinen Zweigen gebaut hatte.

      »Sing' mir noch ein letztes Lied,« flüsterte er; »ich werde mich sehr einsam fühlen, wenn du fort bist.«

      Da sang die Nachtigall zum Eichbaum, und ihre Stimme war wie Wasser, das aus einem silbernen Gefäß tropft.

      Als sie ihren Gesang beendet hatte, erhob sich der Student und zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus seiner Tasche. »Form hat sie,« sagte er zu sich selbst, als er durch den Hain davonwandelte, »das kann man ihr nicht abstreiten; aber hat sie Gefühl? Ich fürchte, nein. Natürlich ist sie wie die meisten Künstler; sie ist ganz Stil ohne innere Echtheit. Sie würde sich nicht für andere opfern. Sie denkt nur an Musik, und jeder weiß, daß die Künste selbstsüchtig sind. Trotzdem muß man zugeben, daß sie einige schöne Töne in ihrer Stimme hat. Wie schade, daß kein Sinn in ihnen steckt, und daß sie keinen praktischen Wert haben.« Und er ging in sein Zimmer, legte sich auf sein kleines Strohsackbett und begann, über seine Liebe nachzudenken; und nach einiger Zeit versank er in Schlummer.

      Und als der Mond am Himmel schien, flog die Nachtigall zu dem Rosenstrauch und drückte ihre Brust gegen den Dorn. Die ganze Nacht durch sang sie, ihre Brust gegen den Dorn gedrückt, und der kalte, kristallene Mond neigte sich hinab und lauschte. Die ganze Nacht durch sang sie, und der Dorn ging tiefer und tiefer in ihre Brust, und ihr Lebensblut ebbte hinweg von ihr.

      Sie sang zuerst von der Geburt der Liebe im Herzen eines Knaben und eines Mädchens. Und auf dem obersten Zweig des Rosenstrauchs da erblühte eine wunderbare Rose, Blumenblatt nach Blumenblatt, wie ein Lied dem andern folgte. Bleich war sie im Anfang wie der Nebel, der über dem Fluß hängt – bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Schwingen der Dämmerung. Wie der Schatten einer Rose in einem silbernen Spiegel, wie der Schatten einer Rose in einem Wasserpfuhl, so war die Rose, die auf dem obersten Zweig des Rosenstrauches erblühte.

      Aber der Strauch rief der Nachtigall zu, sich fester gegen den Dorn zu pressen. »Presse dich fester an, kleine Nachtigall,« rief der Strauch, »sonst kommt der Tag, bevor die Rose vollendet ist.«

      Da preßte sich die Nachtigall fester gegen den Dorn an, und lauter und lauter wurde ihr Singen, denn sie sang von der Geburt der Leidenschaft in der Seele eines Mannes und einer Jungfrau.

      Und ein zartes, rosiges Glühen kam in die Rosenblätter, wie das Erröten im Gesicht des Bräutigams, wenn er die Lippen der Braut küßt. Aber der Dorn hatte


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