Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach
Читать онлайн книгу.zur Verfügung stehenden Gefäßen. So war er letzten Endes doch eher Fluch als Segen, denn er machte ihre Situation noch ungemütlicher, als sie es ohnehin schon war. So schnell, wie er begonnen hatte, hörte er dann auch wieder auf, ohne dass es ihnen gelungen war, eine nennenswerte Menge an Flüssigkeit aufzufangen. Immerhin reichte es, um die Lippen des Verletzten und ihre eigenen wieder ein wenig zu befeuchten.
Ganz plötzlich wurde Togo noch unruhiger als zuvor, obwohl er jetzt an einer Stelle stehen blieb. Aber er winselte und bellte, als wollte er jemanden auf sich aufmerksam machen.
»Hörst du was, Togo?«, fragte Anna aufgeregt.
Der Hund bellte weiter, und so fingen sie an zu rufen und zu schreien. Doch eine Antwort bekamen sie nicht. Da Togo jedoch keine Ruhe gab, riefen sie weiter, bis Annas Handy klingelte. »Ja?«, rief sie.
»Wir müssen in eurer Nähe sein, Anna«, sagte die Stimme ihres Vaters, »aber wir können euch nicht sehen.«
»Ich glaube, Togo hört euch«, erwiderte sie. »Er bellt die ganze Zeit, könnt ihr ihn nicht hören?«
»Bisher nicht.« Er beschrieb ihr, wo sie sich befanden.
»Dann ist es nicht mehr weit bis zu der Stelle, an der wir den Weg verlassen haben, Papa! Wenn ihr noch etwas weiter geht, müsstet ihr Togo eigentlich hören. Oder Chris und mich, wir geben uns Mühe, möglichst laut zu sein.«
»Gut, bis gleich. Ich melde mich wieder.«
»Wo sind sie jetzt?«, fragte der kleine Fürst.
Sie beschrieb es ihm. Er machte ein sorgenvolles Gesicht. »Wenn sie so lange brauchen wie wir, bis sie vom Weg aus hier sind«, murmelte er, »dann müssen wir noch ziemlich lange warten.«
»Sie werden viel schneller hier sein, Chris! Sie haben doch Werkzeuge dabei und schlagen ziemlich schnell eine Schneise ins Dickicht, glaub mir.«
»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe«, murmelte der kleine Fürst. Er entdeckte ein großes gebogenes Blatt, in dem sich eine richtige kleine Wasserpfütze gebildet hatte. Vorsichtig schob er den Becher darunter und fing das Wasser auf. Damit benetzte er erneut die Lippen des Mannes. Der leckte die Flüssigkeit gierig auf und schluckte. Gleich danach stöhnte er wieder.
Togo bellte jetzt ununterbrochen, ab und zu unterstützten sie ihn, indem sie laut schrien.
Antwort bekamen sie noch immer nicht.
*
»Sie sind in der Nähe«, stellte der Baron fest, nachdem er mit seiner Tochter gesprochen hatte. »Wir müssen noch ein Stück weitergehen, Anna meinte, es müsste eigentlich gut zu sehen sein, wo sie den Weg verlassen haben.«
Die Wagen hatten sie schon vor geraumer Zeit abstellen müssen. Robert Wenger, der junge Stallmeister, ging vor, gefolgt von einigen Pferdepflegern. Baron Friedrich und sein Sohn Konrad bildeten das Ende der kleinen Karawane.
»Togo bellt offenbar die ganze Zeit, die beiden wollen versuchen, uns durch Rufen und Schreien bei der Orientierung zu helfen«, setzte der Baron hinzu.
Nach etwa achthundert Metern blieb Robert Wenger stehen. »Das hier könnte die Stelle sein«, sagte er. »Du liebe Güte, was für ein Dickicht. Wenn sie sich da wirklich durchgeschlagen haben …«
»Hier ist ein Zeichen!«, rief Konrad. »Hier, an diesem Baum – ein kleines Kreuz.«
»Chris hat Zeichen hinterlassen, damit sie zurückfinden«, erklärte der Baron. »Aber ich frage vorsichtshalber noch einmal nach.« Erneut wählte er Annas Nummer, die ihm jubelnd bestätigte, dass sie die richtige Stelle gefunden hatten.
»Vorwärts, Männer!«, sagte Robert Wenger. Er hatte eine Sense mitgenommen, die er jetzt mit erstaunlicher Geschicklichkeit benutzte. Als er die Blicke der anderen sah, erklärte er mit verlegenem Lächeln: »Meine Eltern hatten eine große Wiese, da habe ich den Umgang mit der Sense gelernt.« Er schlug, unterstützt von den anderen, die mit Äxten und großen Astscheren arbeiteten, eine Schneise, wobei er sich an den Zeichen orientierte, die Christian hier und da in eine Rinde geritzt hatte.
Und dann hörten sie endlich Togos Gebell und zweistimmige Rufe, die es ihnen ermöglichten, noch schneller voranzukommen, weil sie nun nicht mehr suchen mussten. »Da vorn sind sie!«, rief Konrad. »Ich kann sie sehen!«
Danach dauerte es nur noch wenige Minuten, bis sie die kleine Lichtung erreicht hatten. Der Baron schloss zuerst seine Tochter, dann seinen Neffen in die Arme.
Anna und Christian stürzten sich auf die mitgebrachten Getränke, und auch der verletzte Mann trank gierig den Tee, den ihm der Stallmeister einflößte. Sie versorgten notdürftig das verletzte Bein, dann legten sie den Mann auf die mitgebrachte Bahre und traten den Rückweg an. Er war weniger mühevoll, da der Weg jetzt dank Robert Wengers Sense erkennbar und einigermaßen gut passierbar war. Nach weniger als einer Stunde hatten sie die abgestellten Wagen erreicht.
Immer wieder gab jemand dem Mann zu trinken. Sie hatten ihn gut zugedeckt, da er angefangen hatte zu zittern. Außerdem fantasierte er, doch sprach er so undeutlich, dass niemand ein Wort verstand.
Als Schloss Sternberg in Sicht kam, atmeten sie auf.
*
»Manchmal verstehe ich deine Schwester nicht, Feli – wieso wollte sie jetzt auf einmal ins Büro? Wir hatten doch gerade so viel Spaß!«
»Sie denkt, wir sind ineinander verliebt«, erklärte Felicitas.
Nikos Augen wurden groß. »Hat sie das gesagt?«
»Das muss sie nicht sagen, das weiß ich auch so. Sie hält uns beide für krankhaft schüchtern und meint, sie müsste uns die Gelegenheit bieten, unsere Schüchternheit zu überwinden.«
Er starrte sie ungläubig an. »Glaubst du das – oder bist du sicher?«
»Ich bin hundertprozentig sicher.«
»Und seit wann weißt du, dass sie so denkt?«
»Oh, schon länger«, erklärte Felicitas.
»Wieso hast du mir das nie gesagt?«
»Warum sollte ich?«
Er suchte nach einer Antwort, musste aber schließlich passen. »Ich weiß nicht«, murmelte er.
Sie beugte sich vor und griff nach seiner Hand. »Ist doch nicht schlimm, Niko«, sagte sie. »Mir macht das nichts aus, ehrlich. Im Gegenteil, es ist sogar ganz praktisch gewesen bisher, weil sie sich deshalb nicht traut, das Thema anzuschneiden und mich also auch nicht in Versuchung bringt, ihr die Wahrheit zu sagen.« Sie seufzte. »Aber irgendwann wirst du dich ja hoffentlich mit deiner großen Liebe an die Öffentlichkeit trauen.«
»Wenn ich nicht so ein verdammter Feigling wäre!«, sagte er heftig. »Simone ist wundervoll, ich weiß wirklich nicht, warum sie sich ausgerechnet in mich verliebt hat.«
»Weil du auch wundervoll bist«, erklärte Felicitas ruhig. »Ich weiß nicht, ob du wirklich so ein Feigling bist. Eine geschiedene bürgerliche Frau, die fünf Jahre älter ist als du und zwei Kinder hat – da würden auch Eltern, die keine standesbewussten Adeligen sind, nicht unbedingt begeistert sein, das muss man einmal ganz nüchtern so sagen. Aber es nützt ja nichts: du musst ihnen deine Simone vorstellen und gucken, was passiert. Nimm sie mit zu deinen Eltern, ohne sie vorzubereiten – sie wird sie schon um den kleinen Finger wickeln.«
Er lächelte unwillkürlich. »Ich kenne wirklich niemanden, der sie nicht mag – ihren geschiedenen Mann ausgenommen. Der hat es ihr sehr übel genommen, dass sie nicht bei ihm bleiben wollte, als sie ihn mit einer anderen erwischt hat.«
»Ich finde Simone auch wunderbar«, versicherte Felicitas. »Also, worauf wartest du denn noch?«
»Und wenn meine Eltern mich aus der Firma werfen? Mich enterben? Mich nie wieder sehen wollen?«, fragte er kläglich. »Ich liebe sie, Feli, ich möchte in gutem Einvernehmen mit ihnen leben.«
»Sie lieben dich auch, und sie wollen dich sicherlich