Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн книгу.Er ist so voll Sorge um Deine Gesundheit, daß er den ganzen Tag nicht von der Küchentür weicht und sich mit kleinen Brocken hinhält. Er wird kleben bleiben. Wir werden ihn nicht wieder los.«
»Schicke ihn mir, Mutter« – der Schelm kehrte in Kims Auge zurück – »ich will es versuchen.«
»Ich will ihn schicken, aber ihn abzuschütteln, ist vergebliche Mühe. Wenigstens war er so vernünftig, den Heiligen aus dem Wassergraben zu fischen; und dadurch, wie der Heilige nicht sagte, Verdienst zu erwerben.«
»Er ist ein sehr weiser Hakim. Schicke ihn zu mir, Mutter.«
»Priester, der einen Priester lobt? Ein Wunder! Wenn er aber Dein Freund ist (Ihr zanktet Euch bei Eurem letzten Zusammensein!), dann will ich ihn hier mit Pferdestricken anbinden und – ihm hinterher ein Kasten-Essen geben, mein Sohn … Stehe auf und sieh Dir die Welt an! Dies im Bett liegen ist die Mutter von siebzig Teufeln … mein Sohn! Mein Sohn!«
Sie trottete fort und beschwor einen Sturm im Kochhaus herauf und beinahe noch in ihrem Schatten rollte der Babu herein, bis an die Schultern wie ein römischer Imperator gekleidet, frisiert wie Titus, barhaupt, mit neuen Patent-Lederschuhen, im höchsten Stand von Fett, Freude und Begrüßungen ausschwitzend.
»Donnerwetter, Mister O’Hara, es ist eine flotte Freude, Euch wieder zu sehen. Ich will so höflich sein, die Tür zu schließen. Schade, daß Ihr krank seid. Seid Ihr sehr krank?«
»Die Papiere – die Papiere aus dem Zelt. Die Karten und der Murasla!« Er reichte ungeduldig den Schlüssel hin: seine Seele verlangte danach, den Raub los zu werden.
»Ihr habt recht. Es ist korrekt departementsmäßig, wie Ihr die Sache anfaßt. Habt Ihr auch alles?«
»Alles Geschriebene aus dem Zelt habe ich genommen. Das Übrige habe ich den Berg hinunter geworfen.« Er hörte den Schlüssel im Schloß sich drehen, das Schieben des schwer zu bewegenden Öltuchballens, das Rascheln von Papieren. Das Bewußtsein, daß all dieses während der Krankheit unter ihm lag, hatte ihn gequält – eine Last, die er nicht los werden konnte. Er fühlte sein Blut wieder leichter fließen, als Hurree, sich wie ein Elefant aufrichtend, ihm jetzt die Hand schüttelte.
»Das ist sein! Das ist vortrefflich, Mr. O’Hara! Ihr habt – ha! ha! den ganzen Sack voll diplomatischer Kniffe mit Stumpf und Stiel stibitzt. Sie sagten mir, die Arbeit von acht Monaten wäre zu Wasser geworden! Zum Teufel! wie sie mich geprügelt haben! … sieh da, der Brief von Hilás!« Er las eine oder zwei Zeilen höfisches Persisch, welches die Sprache autorisierter und nicht autorisierter Diplomatie ist. »Mister Rasch Sahib hat eben seinen Fuß in die Höhle gesetzt. Er wird offiziell zu erklären haben, wie, zum Kuckuck, er dazu kam, dem Zaren Liebesbriefe zu schreiben. Und da sind sehr künstlerische Karten … und da sind drei oder vier Premierminister dieser Gegenden in die Korrespondenz verwickelt. Bei Gott, Sar! Die britische Regierung wird die Thronfolge in Hilás und Benár ändern und neue Regenten einsetzen. Verrat – niedrigster … aber Ihr versteht nicht – he?« »Ist alles in Deinen Händen?« fragte Kim. Er wollte nur dieses wissen. »Ihr könnt darauf wetten, daß ich alles habe.« Er stopfte den ganzen Fund an seinem Körper herum, wie nur Orientalen es können. »Soll alles an das Departements-Bureau gehen! Die alte Dame meint, ich wäre nun ein bleibendes Inventarstück geworden, aber ich werde nun mit allem geradewegs abmarschieren. Mr. Lurgan wird ein stolzer Mann werden. Offiziell seid Ihr mit untergeben, aber meinem mündlichen Rapport werde ich Euren Namen einverleiben. Schade, daß wir keine schriftlichen Rapporte geben dürfen! Wir Bengalen excellieren gerade in der Kunst.« Er warf den Schlüssel zurück und zeigte den leeren Koffer. »Gut. Es ist gut. Ich war sehr müde. Auch mein Heiliger war krank. Und fiel er in –« »Och, ja. Ich bin sein guter Freund, sage ich Euch. Er benahm sich höchst sonderbar, als ich Euch nachkam. und ich dachte, er hätte vielleicht die Papiere. Ich folgte ihm deshalb in seinen Meditationen und verhandelte auch ethnologische Fragen mit ihm. Ihr müßt wissen, ich bin jetzt hier nur eine sehr unbedeutende Persönlichkeit im Vergleich zu seinen Zaubermitteln. Donnerwetter, O’Hara! wißt Ihr, daß er mit Krämpfen behaftet ist? Katalepsie – wenn nicht Epilepsie! Ich fand ihn in solchem Zustand unter einem Baum, in articulo mortem, und er sprang auf und lief in einen Graben, und ohne mich wäre er ertrunken. Ich zog ihn heraus.
»Weil ich nicht da war!« sagte Kim. »Er hätte sterben können.«
»Ja, er hätte sterben können. Aber nun ist er trocken und er behauptet, Transfiguration erlebt zu haben.« Der Babu tickte bezeichnend an seine Stirn. »Ich machte Notizen über seine Behauptungen für die Akademie der Wissenschaften –. Ihr müßt bald gesund werden und nach Simla kommen. Bei Lurgan will ich Euch meine Geschichte erzählen. Es war köstlich. Der Rand ihrer Hosen war ganz zerfetzt, und der alte Rahan Rajah hielt sie für europäische desertierte Soldateska.«
»Oh, die Russen? Wie lange waren sie mit Dir zusammen?«
»Einer war ein Franzose. Oh, Tage und Tage und Tage! Jetzt meint alles Bergvolk, daß alle Nüssen Bettler sind. Verflucht! Nicht einen verdammten Lappen hatten sie, wenn ich ihnen nicht dazu half. Und ich erzählte dem gemeinen Volk – oah! solche Geschichten und Anekdoten. Bei Lurgan will ich Euch alles erzählen. Wir wollen – ah! eine lustige Nacht haben. Es ist Wasser auf Euer beider Mühle! Ja, und sie schrieben mir ein Zeugnis. Das war ein köstlicher Spaß. Ihr hättet sie auf der Vereinsbank sehen sollen, wie sie sich identifizierten! Dank dem allmächtigen Gott, daß Ihr ihre Papiere so gut verwahrtet! Ihr lacht jetzt nicht; aber wenn Ihr wieder gesund seid, werdet Ihr lachen. Nun will ich direkt nach der Eisenbahn und fort. Ihr werdet alle Anerkennung für Euer Spiel finden. Wann kommt Ihr mir nach? Wir sind sehr stolz auf Euch, wenn Ihr uns auch viel Sorge machtet. Und besonders Mahbub.«
»Ah, Mahbub! Und wo ist er?«
»Verkauft Pferde – hier in der Nachbarschaft natürlich.«
»Hier! Warum? Sprich langsam. Es ist mir noch immer dumpf im Kopf.«
Der Babu schielte scheu an seiner Nase herab. »Wohl, Ihr wißt, ich bin furchtsamer Mann und Verantwortlichkeiten vermeide ich. Ihr waret krank, seht Ihr, und ich wußte nicht, wo. Zum Kuckuck, alle die Papiere steckten und wie viele da waren. Als ich nun hier ankam, schickte ich heimlich eine Drahtung an Mahbub – er war in Meerut bei den Rennen – und meldete ihm, wie die Dinge hier standen. Er kommt an mit seinen Leuten; er berät mit dem Lama, und dann schimpft er mich einen Narren und ist sehr grob. –«
»Aber warum? Warum?«
»Das frage ich auch. Ich regte nur an, daß, wenn jemand die Papiere gestohlen hätte, ich irgend einen guten, starken, braven Mann haben möchte, um sie wieder zu stehlen. Ihr wißt, wie wichtig die Papiere sind und Mahbub Ali wußte nicht, wo Ihr waret.«
»Mahbub Ali sollte stehlen im Hause der Sahiba? Du bist toll, Babu!« sagte Kim mit Entrüstung.
»Ich mußte die Papiere haben. Nimm an, sie hätten sie gestohlen? Es war nur praktische Suggestion, denke ich. Es gefällt Euch nicht, he?«
Ein einheimisches – nicht zu wiederholendes – Sprichwort zeigte Kims Mißbilligung.
»Nun wohl,« – Hurree zuckte mit den Schultern – »über den Geschmack läßt sich nicht streiten. Mahbub war auch ärgerlich. Er hat hier herum Pferde verkauft, und er sagt, die alte Dame ist durchaus »pukka« (tadellos) und würde solche unnoble Dinge nicht tun. Es geht mich nichts mehr an. Ich habe die Papiere und die moralische Stütze durch Mahbub hat mich erfreut. Ich sage Euch, ich bin ein furchtsamer Mann, aber, wie es auch zugehen mag, je furchtsamer ich bin, je mehr gerate ich in verdammt kritische Situationen. Ich war froh, daß Ihr mit mir nach Chini ginget und bin froh, daß Mahbub hier in der Nähe war. Die alte Dame ist zuweilen sehr ungehalten auf mich und meine wundervollen Pillen«
»Allah, Hab Erbarmen!« rief Kim belustigt, »welch ein Wunder von Tier ist ein Babu! Und der Mann ging allein – wenn er gehen konnte – mit beraubten, wütenden, fremden Leuten!«
»Och, das war nichts, als sie erst mit Prügeln fertig waren: wenn aber die Papiere verloren gegangen wären, hätte es flotter Ernst werden können. Mahbub hat mich ja beinahe auch geprügelt und ohne Ende mit dem Lama