Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.teils durch milde Behandlung, teils durch Freilassung (manumissio). Die Sklaverei an und für sich galt nicht als unrecht; selbst Klöster durften noch viel später Sklaven besitzen; doch wurde es schon frühe als ein gutes Werk betrachtet, zu manumittieren, wie denn unter Diocletian der römische Stadtpräfekt Chromatius 1400 Sklaven freiliess. Am Ende des vierten Jahrhunderts kommen in dem andächtigen Kreise des heiligen Hieronymus noch viel massenhaftere Freilassungen vor, allerdings bei solchen, welche der Welt überhaupt entsagten; doch verlangte bereits gleichzeitig Chrysostomus die unbedingte Abschaffung der Sklaverei. Martin von Tours, als er in seiner Jugend Soldat war, behielt zwar seinen einzigen Sklaven, übte sich aber in der Demut, indem er demselben oft die Schuhe auszog und ihn bei Tisch bediente742. Bereits Constantin hatte durch Gesetze743 das Recht der Herrn über Leben und Tod der Sklaven aufzuheben gesucht, obwohl die rechtliche Distinktion zwischen dem Tod des Sklaven »nach« Misshandlungen und »infolge« von Misshandlungen dem Herrn immer eine leichte Ausflucht gewährte. Wird doch selbst der Fall gesetzt, dass ein Sklave unter den Schlägen eines natürlichen Todes »durch Schicksalsnotwendigkeit« sterben könne! – Die Heiden blieben theoretisch bei ihrer alten Anschauung des Sklavenwesens stehen; Themistius will den geborenen Sklaven keine Fähigkeit zu höhern menschlichen Gesinnungen zutrauen, und Macrobius verhandelt ganz ernstlich darüber, ob sie überhaupt Menschenrang hätten und ob die Götter sich auch um sie bekümmerten744. Faktisch war aber ihre Behandlung bei den meisten Heiden wohl keine schlimmere.
Die Wohltätigkeit im engern Sinne, welche teils auf der Ansicht von der Nichtigkeit der irdischen Güter, teils auf der Pflicht zur Linderung von Armut und Elend beruhte, hat wohl, so wie sie sich äusserte, grosse staatsökonomische Bedenken gegen sich. Bisher innerhalb der Kirche einem besondern Amte, den Diakonen, anvertraut, war sie seit jeher von vielen Unwürdigen gemissbraucht worden, allein in jenem Kriegszustande der ecclesia pressa hat es etwas sehr Grossartiges, dass man nicht näher zusah; es war das Ergebnis einer hohen, auf alles gefassten Stimmung. Überdies konnten die Diakonen bei dem lokalen Charakter ihrer Aufgabe den einzelnen eher prüfen und kennenlernen. Jetzt dagegen wurde ohne weitere Rücksicht das Almosen massenweise in allen Gestalten verteilt. Unsere Zeit mit ihrem Ruf nach Arbeit kann dies nicht verstehen noch billigen, es ist aber die Frage, ob (abgesehen von einem agrarischen Gesetz) ein anderer Ausweg offenstand in einem Reiche, welches fast ausschliesslich Agrikulturstaat war und dabei die Verteilung des Grundbesitzes zu einer so grossen Ungleichheit hatte gedeihen lassen, in einem Reiche, dessen Städte grossenteils mit besitzlosem Proletariat angefüllt, dessen Landbevölkerungen dagegen so geschwunden waren, dass allerorten mit Barbarenkolonien nachgeholfen werden musste. Ein kolossales Almosen an die Stadtbewohner, das aber nicht als solches betrachtet wurde, war schon seit Jahrhunderten im Gebrauch, nämlich die Lebensmittelverteilungen, zuerst beschränkt auf die Stadtrömer, welche die Herrn des Reiches zu sein vorgaben, dann in Gestalt kaiserlicher Gnade ausgedehnt auf eine Menge der wichtigern, endlich auch auf kleinere Städte. Das Reich, dessen Einnahmen grossenteils in Naturalien eingeliefert wurden, speist die Städte mit dem Ertrag des platten Landes. Einzelne Bewilligungen dieser Art werden auch in der constantinischen Zeit neu erteilt.
Mit der Einführung des Christentums werden dann zunächst der Kirche neben ihrer Staatsdotation ausserordentlich bedeutende Mittel durch Schenkungen zugewiesen; aus beiden Quellen ist sie fortan die Almosen zu bestreiten mehr oder weniger verpflichtet. Es wurden oben (S. 451) die verschiedenen Anstalten aufgezählt, welche nun von wohldenkenden Bischöfen und Gemeinden aus diesen Fonds gestiftet wurden, jene Xenodochien, Ptochotrophien, Gerokomien, Nosokomien und Orphanotrophien, als deren Ideal und Inbegriff die gegen Ende des vierten Jahrhunderts erbaute Basilias, die Gründung Basilius' des Grossen betrachtet werden kann745. Es waren überwiegendenteiles Anstalten für wirklich Hülfslose, und als solche eine wahrhaft herrliche Neuerung gegenüber der alten, heidnischen Welt, wenngleich auch diese längst angefangen hatte, von Staats wegen nach dieser Richtung hin einzulenken746.
Der Staat selber liess, wie oben bemerkt, die Kirche machen und gönnte ihr dieses Mittel des Einflusses; ja, Constantin gab zum Beispiel der Kirche von Alexandrien eine besondere Annona (Kornrente) zur Verteilung an die Armen747, neben welcher die allgemeine Annona, die noch Diocletian der Stadt bestätigt hatte, ohne Zweifel fortdauerte. Jenes war offenbar ein nicht ganz reines Mittel des Proselytismus, wie denn Constantins Vergabungen überhaupt das Ansehen von Konvertitenkassen haben. Als er zum Beispiel zu Heliopolis ein Bistum gegründet hatte und die Stadt doch fast ganz heidnisch blieb, spendete er reichlich zum Unterhalt christlicher Armen, »damit desto mehrere sich zum Worte bekehrten«748. Auch seine persönlichen Almosen und Unterstützungen waren gewiss vorherrschend politischer Natur und nur scheinbar planlos; später liess er sich wohl auch hier von den Priestern leiten. Als er sich nach dem Siege über Maxentius in Rom beliebt machen wollte, verteilte er mitgebrachtes oder vorgefundenes Geld in Masse an Reich und Arm; heruntergekommene Leute von Stand erhielten Geldsummen und Würden; Mädchen von gutem Hause bekamen Ehegatten aus seinem Gefolge nebst Heiratsgut; das zerlumpte Bettelvolk auf dem Forum wurde mit Almosen, Speise und anständiger Kleidung versehen, letzteres wahrscheinlich, weil die Blösse Ärgernis gab749. In den spätern Jahren war der Ostermorgen der grosse Schenkanlass750. Wenn der Hofbischof bei solchen Gelegenheiten pathetisch wird, so muss man das schneidende Wort Ammians751 daneben halten: »Wie klare Urkunden bewiesen haben, öffnete Constantin zuerst den Leuten seiner Umgebung den Rachen, dann fütterte sie Constantius vollends mit dem Mark der Provinzen.« Doch die Geschenke eines Herrschers liefern überhaupt keinen Maßstab, weil man selten genau belegen kann, warum er gibt und woher er nimmt. Selbst die Almosen der alten Helena752 haben etwas Politisches und Zweideutiges. Als sie den Orient durchreiste, schenkte sie grosse Summen an die Einwohner der einzelnen Städte und gab dann noch persönlich jedem, der ihr nahe kam; grosse Summen teilte sie auch an die Soldaten aus; ausserdem erhielten die Armen Geld und Kleider, andern half sie aus Schuldhaft, Verbannung und Vergewaltigung aller Art. Offenbar hatte Constantin eine solche Rundreise des einzigen ganz zuverlässigen Mitgliedes seiner Familie für passend und dem Geiste des Orients gemäss erachtet753. Von seinem Finanzsystem, auf welchem diese Freigebigkeit beruhte, wird noch weiter mit einigen Worten die Rede sein müssen.
Wenden wir uns ab von dem Egoisten im Purpurgewand, der alles, was er tut und geschehen lässt, auf die Erhöhung seiner eigenen Macht bezieht und berechnet. Mit dieser innerlich frivolen Staatsgewalt kontrastiert die grosse, rücksichtslose Hingebung so vieler, welche ihr ganzes Vermögen bei Lebzeiten wegschenkten, um sich »Gott zu widmen«; die Beneficenz vereinigt sich auf das innigste mit der Ascese. Männer und Frauen, zum Teil aus den höchsten Ständen, gewöhnt an alle Genüsse des Lebens, fassen den Bescheid, welchen Christus dem reichen Jüngling gab, streng wörtlich auf; sie verkaufen ihre Habe und geben den Erlös den Armen, um mitten in der Welt, umgeben vom Geräusch der Weltstädte, in freiwilliger Armut rein der Betrachtung der höchsten Dinge zu leben. Andern genügt auch dieses nicht; sie fliehen aus der Welt und aus der Zivilisation hinaus als »Entwichene«, als Anachoreten.
Die Geschichte, welche sonst die Ursprünge grosser Dinge gern verhüllt, überliefert ziemlich genau die Art und Weise, wie das Einsiedlerwesen und aus demselben das Mönchswesen entstand754. Kaum gibt es