Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.und mehrere hundert Jahre weiter und zersprengt die orientalische Kirche in Sekten, deren eine als orthodox-griechische Kirche dem byzantinischen Kaisertum zur Seite bleibt. Eine Menge anderer, zum Teil sehr weltlicher Interessen hängen sich an den Kampf und verstecken sich unter ihm, so dass er das Ansehen eines blossen heuchlerischen Vorwandes gewinnt. Die Kirche höhlt sich innerlich aus um dieses Haders willen; sie lässt den innern Menschen darben vor lauter Rechtgläubigkeit und büsst, selber entsittlicht, die höhere sittliche Wirkung auf den einzelnen völlig ein. Und dennoch, welche hohe weltgeschichtliche Bedeutung hat dieses an sich so widrige Treiben! Diese Kirche mit ihren Nebensekten, erstarrt und von aller Entwicklung abgeschnitten, sollte noch anderthalb Jahrtausende hindurch unter dem Druck fremder Barbaren die Nationalitäten zusammenhalten, ja sogar deren Stelle vertreten, denn sie war stärker als Staat und Kultur und deshalb überlebte sie beides; in ihr allein existiert die Quintessenz des nicht zukunftlosen Byzantinismus fort; die Orthodoxie ist die Seele desselben.
Somit muss zugestanden werden, dass jene Kämpfe um die zweite Person der Trinität ihre weitreichende historische Berechtigung hatten. Wir wollen uns gleichwohl hüten, das Dogmatische daran weiter zu verfolgen, vielmehr uns auf einige Andeutungen beschränken in betreff des Verhältnisses von Regierung und Klerus, wie es beim Konzil von Nicaea und in den nächstfolgenden Ereignissen zutage kam727.
Als der alexandrinische Presbyter Arius mit seinen Lehren von der Unterordnung des Sohnes unter den Vater auftrat, erhob sich gegen ihn der alexandrinische Diakon Athanasius und der Bischof selbst, namens Alexander. Dieser berief schon im Jahre 321 eine Synode der Bischöfe von Ägypten und Libyen, welche den Arius entsetzten und bannten. Damit war seiner Lehre und Stellung eine Wichtigkeit zugestanden, die sie an sich nicht gehabt hätte; das Aufsehen und die Parteinahme wuchs auf beiden Seiten unermesslich durch Predigt, Werbung und Korrespondenzen. Da auch der Bischof Eusebius von Nikomedien für den wunderlichen und eiteln, aber nicht unpraktischen Arius728 Partei ergriff, so gewann der Streit sehr bald das Ansehen eines Kampfes zwischen den Stühlen von Alexandrien und Nikomedien; auch hier (oder in der Nähe) wurde nun eine Synode gehalten, und diese erklärte sich zugunsten des Arius. Damals neigte sich auf diese Seite auch Euseb von Caesarea, welcher später im »Leben Constantins« eine Darstellung des Streites gibt, die an Unredlichkeit und absichtlicher Dürftigkeit einzig in ihrer Art ist.
So standen die Dinge (323), als Constantin infolge des letzten Krieges gegen Licinius sich des Orients bemächtigte. Er erbte den Zwiespalt in seiner vollen Blüte. Sein Interesse und seine Neigung mussten unbedingt dahin gehen, die Sache beizulegen, sei es durch Vermittlung oder durch Zutritt zur stärkern oder intelligentern Partei, oder durch ein kluges Balancieren beider Parteien.
Einer der vornehmsten Bischöfe des licinischen Reiches, eben jener Euseb von Nikomedien, der schon früher bei Constantia, der Schwester des Kaisers und Gemahlin des Licinius, viel vermocht hatte, zog ihn zunächst halb und halb auf die arianische Seite. Aber ein Hoftheologe des Westreiches, Bischof Hosius von Corduba, der seinen ältern Einfluss bei Constantin selber gefährdet sah, verständigte sich mit dem Bischof von Alexandrien und wirrte die Dinge so durcheinander, dass der Kaiser nur in der Berufung eines allgemeinen Konzils das Heil erkannte; ohnedies musste ihm der Anlass willkommen sein, die Geistlichkeit seines neuen Reiches persönlich kennenzulernen und ihr persönlich zu imponieren, dem gefährlichen Unwesen selbständiger Provinzialsynoden aber ein zweckmässiges Ende zu machen. Von den 318 Bischöfen, die sich zu Nicaea einfanden (Juni 325)729, waren kaum ein halbes Dutzend Okzidentalen; der Bischof Silvester von Rom erschien nicht einmal in Person, sondern sandte zwei Presbyter, gemäss dem richtigen Takte, welcher auch seine Nachfolger von dem Besuche der orientalischen Synoden abhielt. Übrigens waren auch aus den vielleicht tausend orientalischen Bischöfen nur diejenigen durch kaiserliche Kabinettsschreiben730 eingeladen worden, welche man zu bestimmen oder zu überstimmen hoffen durfte.
Als nun der »aus bunten Blumen gewundene grosse Priesterkranz«, das »Abbild des Apostelreigens«, die »Wiederholung des ersten Pfingstfestes« beisammen war, als sich ausser den Bischöfen auch ein zahlreiches priesterliches Geleit und eine Menge »der Dialektik erfahrene Laien« in Nicaea eingefunden, eröffnete Constantin in Person die Synode. Er starrte von Purpur, Gold und Edelsteinen, und Euseb vergleicht ihn in diesem Aufzug mit einem Engel des Herrn vom Himmel. Aber es blieb nicht bei diesem persönlich imposanten Auftreten. Im Verlauf der Verhandlungen zeigte es sich, dass Hosius den Kaiser gegen die Arianer gestimmt hatte und dass er und seine Partei die grosse Masse der Unentschiedenen auf alle Weise, namentlich durch Hinweisung auf kaiserliche Gunst in diesem Sinne mit Erfolg bearbeitete. Weder die Reden des Arius, noch die Gegenreden des Athanasius zu Ehren der Ewigkeit des Sohnes waren es also, was den Ausgang entschied. Die Debatte wurde zuletzt durch ein kaiserliches Machtgebot beendigt, indem Constantin auf dem fraglichen Ausdruck Homousios gegen den Willen der Majorität bestand, worauf diese Majorität sich geduldig fügte. Nur zwei Bischöfe verweigerten ihre Unterschrift und verdienen deshalb genannt zu werden, selbst wenn sie aus unreligiösem Starrsinn so gehandelt haben sollten: Theonas von Marmarica und Secundus von Ptolemais. Ihr Lohn war Absetzung und Verbannung. Euseb von Nikomedien unterschrieb, da ihm aber der Sturz geschworen war, verlangte man von ihm und den andern noch die Unterschrift eines Zusatzartikels, wodurch er seine eigene frühere Ansicht verfluchen sollte; auf seine Weigerung hin wurde auch er nach Gallien verbannt, ebenso Theognis, Bischof von Nicaea. Arius selber wurde nach Illyrien verwiesen.
Constantin aber hatte seinen orientalischen Klerus nun kennen und grossenteils verachten gelernt. Wie hatten sich diese Männer, welche das Reich aus den Angeln heben konnten, vor ihm gebeugt! Viele731 hatten einander durch geheime Anklageschriften bei ihm verzeigt; er liess diese Libelle verbrennen und vermahnte sie zur Eintracht! – Vor der Abreise war noch grosses Festmahl bei Hofe: »ein Kreis von Leibwachen hütete mit blanken Schwertern die Pforte des Palastes; aber die Männer Gottes schritten furchtlos mitten hindurch und gelangten bis in die innern Gemächer732«. Der Kaiser gab ihnen noch Geschenke und Friedensermahnungen mit auf den Weg. An die Gemeinde von Alexandrien liess er schreiben: »Was dreihundert Bischöfen gefallen hat, ist nichts anderes als der Wille Gottes.«
Allein nun fing der Streit erst recht an. Constantin, der zu der theologischen Seite der Frage gar kein innerliches Verhältnis hatte, fand drei Jahre später (328), vorgeblich auf Anregung eines von der sterbenden Constantia empfohlenen arianischen Presbyters, eine neue Wendung für passend, vielleicht sogar für gerecht. Arius und alle übrigen Abgesetzten wurden aus der Verbannung zurückgerufen; Hosius wurde gestürzt oder verschwand wenigstens für sehr lange Zeit aus den Geschäften; das Bistum Antiochien wurde sozusagen im Sturm genommen und mit einem Arianer besetzt, wobei sich die abscheulichsten Händel ereigneten, und die ohnedies gefährliche Bevölkerung der Stadt tief aufgerührt wurde. Euseb von Nikomedien, der bei diesen Vorkommnissen die erste Rolle spielte, versuchte sich nun auch an dem verhassten Stuhl von Alexandrien. Allein er fand denselben nunmehr von einem gewaltigen Gegner, von Athanasius, besetzt. Dieses ist der erste ganz konsequent durchgebildete von jenen Hierarchencharakteren der mittelalterlichen Kirche; von Kindheit733 auf durchdrungen von der Würde des priesterlichen Amtes, voll von grossen Ideen und Zwecken, wie zum Beispiel die Bekehrung von Abyssinien, ohne Menschenfurcht oder irgendeine Rücksicht auf Verhältnisse, die dem Prinzip in den Weg treten könnten, bereit zu jedem Opfer, sobald es die Sache gilt, zugleich aber hart gegen andere wie gegen sich, ohne Fähigkeit, ihren Standpunkt anzuerkennen, und in den Mitteln nicht immer bedenklich. Es ist gar nicht zu verkennen, dass das Schicksal der Orthodoxie die nächstfolgende Zeit über – soweit wir urteilen können – an seiner Person hing. Constantin verlangt von ihm die Rehabilitation des Arius; er weigert sich, und man lässt ihn gewähren. Darauf bringen die Gegner alberne politische Verleumdungen vor, weil Constantin nicht religiös zu erbittern