Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.übrige Staub war. In dieser Kraft eine künftige Stütze des Imperiums geahnt und sie danach behandelt zu haben, ist nun der ewige Ruhmestitel Constantins. Neben einer hohen und eiskalten Intelligenz, neben einer völligen innern Unabhängigkeit von allem christlichen Empfinden gehörte hiezu eine ebenso ausserordentliche Entschlossenheit wie Tagesklugheit; Constantin wusste, wie Heinrich VIII. von England, seine einzelnen Massregeln jedesmal den vorherrschenden Stimmungen anzupassen und war bis gegen sein Ende hin furchtlos genug, um dem Heidentum zu gleicher Zeit Trotz und etwas Gunst zu bieten.
Ehe wir weiter gehen, mag noch dasjenige kurz abgetan werden, was Euseb sonst über das vorgebliche Christentum seines Helden berichtet. Christliche Priester begleiten ihn seit dem Kriege mit Maxentius selbst auf Reisen als »Beisitzer« und »Tischgenossen«684; bei den Synoden setzt er sich mitten unter sie. Dies sind leicht erklärliche Tatsachen; es handelte sich für ihn ganz wesentlich darum, der damaligen Kirche ihre Anschauungsweise abzulauschen, wie er sich denn eigene Berichterstatter hielt, die ihm über alle einzelnen Sekten Vortrag halten mussten. Einem derselben, Strategius, gab er aus Freude an seiner beredten Darstellungsweise den Beinamen Musonianus685. Das Präsidium der Synoden konnte ein kluger und kraftvoller Herrscher vollends nicht aus den Händen geben, weil es eine neue Macht im öffentlichen Leben war, die er sich unmöglich durfte entgehen lassen. Man kann diesen Egoismus beklagen und verabscheuen, aber eine intelligente Gewalt zweideutigen Ursprunges wird jederzeit so handeln. Wenn dann weiter berichtet wird686, wie oft der Kaiser göttlicher Erscheinungen gewürdigt worden, wie er in dem Zelte des Labarums insgeheim gefastet und gebetet, wie er täglich sich einsam eingeschlossen, um knieend mit Gott zu verkehren, wie er seine Nachtwachen mit Gedanken über göttliche Dinge ausgefüllt usw., so sind dies im Munde eines Euseb, der die Wahrheit wusste, nichts als verächtliche Erfindungen. – In der spätern Zeit hat sich Constantin offenbar den Bischöfen noch mehr hingegeben und ihnen bei Hofe das erste Wort eingeräumt, wahrscheinlich weil er einsah, dass sie vorderhand das grösste Interesse dabei hatten, den Thron auf jede Weise zu stützen, und weil er am Ende gar nicht mehr anders konnte. Sie werden in den Kreisschreiben »geliebter Bruder« angeredet687, wie er sich selber als »gemeinschaftlicher Bischof«, als einer der Ihrigen zu gebärden pflegte688. Er gab ihnen die Erziehung seiner Söhne689 wenigstens zum Teil preis und leitete es überhaupt so ein, dass dieselben unbedingt als Christen galten; ihre ganze persönliche Umgebung, ihr Hofstaat bestand aus lauter Christen, während der Vater sich nach Eusebs indirektem Geständnis nicht scheute, bis in die letzten Zeiten neben den Geistlichen auch Heiden in hohen Stellungen um seine Person und als Praesides in den Provinzen zu haben690. Auch das Verbot der Gladiatorspiele war ohne Zweifel eine Konzession an die geistliche Umgebung, obwohl das betreffende Gesetz691 nur von »Landfrieden und häuslicher Stille« spricht, wozu blutige Schauspiele nicht passten. Übrigens war dies eines von denjenigen Gesetzen, welche nur gegeben wurden, um sofort in Vergessenheit zu geraten, wie denn Constantin selbst es später nicht mehr berücksichtigt hat.
Ganz rätselhaft scheinen die Predigten, welche Constantin zu Zeiten in Gegenwart des Hofes und »vieler tausend Zuhörer« hielt692. Er wollte nämlich auch »durch Ansprachen mit Erziehungszweck« seine Untertanen beherrschen und »die Regierung ganz zu einer redenden (λογικὴν) machen«. Es wurden Versammlungen zu diesem Behuf angesagt; da trat der Herr der Welt ganz unbefangen auf und redete; kam er auf die Religion, so nahmen Züge und Stimme den Ausdruck tiefer Demut an; den Zuruf verbat er sich durch einen Wink gen Himmel. Sein Thema war in der Regel die Widerlegung der Vielgötterei, der Monotheismus, die Vorsehung, die Erlösung und das göttliche Gericht. Bei diesem Abschnitt (fährt der Hofbischof fort) pflegte er seine Zuhörer am unmittelbarsten zu treffen, indem er die Räuber und Gewalttätigen und Geldsüchtigen durchnahm; da trafen die Geisselhiebe seiner Worte auch einige der umstehenden Vertrauten, dass sie zur Erde blickten . . . Er meinte es aufrichtig, sie aber blieben taub und verhärtet; sie riefen und klatschten Beifall, während doch ihre Unersättlichkeit keine Rührung in ihnen aufkommen liess. Constantin schrieb diese Reden lateinisch, worauf die Dolmetscher sie ins Griechische übersetzten693. – Was soll man zu dieser Erzählung denken? Constantin, der die diocletianische Repräsentationsweise so eifrig fortsetzte und auf seine persönliche Majestät so grosse Dinge hielt, bequemt sich zum Auftreten vor den Massen der Hauptstadt! Die Kritik, welcher er sich aussetzte, war noch das wenigste, und die Zuhörer verzichteten vielleicht aus guten Gründen darauf; allein wozu die Reden, wenn man die Macht, d. h. das grosse Privilegium zu handeln besitzt? Ein Grund lässt sich vielleicht erraten. In dieser Zeit der religiösen Krisis muss das öffentlich gesprochene Wort, bisher auf rhetorische Exerzitien und Lobreden beschränkt, auf einmal vom Predigtstuhl herab einen so ungeheuern Einfluss gewonnen haben, dass Constantin es schon als Mittel der Macht nicht ganz entbehren mochte, ungefähr wie heute auch die mächtigsten Regierungen sich in der Zeitungspresse müssen vertreten lassen. Wenn es ihm, dem Ungetauften, dem Nicht-Katechumenen, einfallen durfte, sich als »gemeinsamen Bischof« auszugeben694, so konnte er ganz ebensogut einen christlichen Prediger vorstellen. Wie er die christlichen Dogmen dabei behandelt hat, wissen wir nicht; dass er sich unbedingt als Christ gestellt habe, ist nicht einmal wahrscheinlich. Sodann deutet Euseb sehr klar auf einen Nebenzweck dieser Reden hin; sie waren ein willkommener Anlass, Gnade und Ungnade zu äussern, die Umgebung in Schrecken zu setzen695 und eine Menge Dinge in künstlich zweideutiger Form unter die Leute zu bringen, die sich selbst im weitschweifigsten Edikt nicht wohl sagen liessen. Es sind die Senatsreden des Tiberius in anderer Gestalt! Man darf nicht vergessen, dass Constantin unter anderm auch »eine Menge seiner Freunde tötete«, wie der ganz unverdächtige Eutropius sagt, der mehr als verdächtige Eusebius dagegen zu beschweigen für gut findet696. (S. d. folg. Abschn.)
Es haftet auf Constantin noch stets ein letzter Schimmer von Erbaulichkeit, weil ihn so viele sonst verehrungswürdige Christen aller Jahrhunderte als den ihrigen in Anspruch genommen haben. Auch dieser letzte Schimmer muss schwinden. Die christliche Kirche hat an diesem furchtbaren, aber politisch grossartigen Menschen nichts zu verlieren, so wie das Heidentum nichts an ihm zu gewinnen hätte. Übrigens verfielen die Heiden in denselben Irrtum, bei ihm einen wirklichen, nicht bloss äusserlich gemeinten Übertritt vorauszusetzen. Zosimus erzählt (II, 29) die bekannte feindselige Version697 der Bekehrungsgeschichte: ob der Hinrichtung des Crispus und der Fausta und ob dem Eidbruch (gegen Licinius) seien dem Kaiser Gewissensbisse aufgestiegen, und er habe sich an die heidnischen Priester (laut Sozomenus an den berühmten Neuplatoniker Sopater) um Entsündigung gewandt; als ihm erwidert wurde, für solche Missetaten gebe es keine Art von Sühne, habe sich ein aus Spanien nach Rom gekommener Ägypter (wahrscheinlich Hosius) durch die Frauen bei Hofe in seine Nähe zu drängen gewusst und ihm die Überzeugung beigebracht, dass das Christentum jede Missetat abzuwaschen imstande sei; darauf habe er seinen Übertritt zuerst zu erkennen gegeben durch seine Massregeln gegen die heidnische Erforschung der Zukunft, und weiter durch den Bau einer neuen Hauptstadt. Es ist möglich, dass diese Erzählung einen wahren Kern enthält, aber die vorliegende Fassung ist sicher nicht die richtige. Ereignisse von so grässlicher Art im eigenen Hause müssen allerdings in Constantins Seele wachgerufen haben, was noch etwa von römischem Glauben in ihm steckte, und er war vielleicht bei aller sonstigen Bildung roh genug, von kräftigen heidnischen Bannsprüchen einige Erleichterung,