Baustellen. Anton Affentranger

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Baustellen - Anton Affentranger


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länger und sie existiert auch als Fabel in spanischer Sprache mit dem Titel Poniénole el cascabel al gato, was gewöhnlich mit Das Glöckchen und die Katze übersetzt wird. Zu meiner Entlastung kann ich nur nachschieben: Ich war damals noch etwas jung. Vielleicht auch etwas naiv im Glauben, dass Humor schwerer wiegt als Zorn. Und dann noch dies: Diese damals sehr angesehene und global agierende Consulting-Firma existiert längst nicht mehr.

      Die viel interessantere Frage wäre jedoch: Was ist die Moral von der Geschicht’? Dass Berater für Ausführung und Umsetzung ihrer Empfehlungen nicht zuständig sind? Dass es Consultants mit Skin in the Game, die für die Realisierung ihrer Ratschläge ihre Haut zu Markte tragen würden, eben nicht gibt? Das ist eine zwar richtige, aber möglicherweise eine auch etwas banale Erkenntnis. Die wesentlich dramatischere Einsicht ist für mich, dass die Dienstleistungen der Berater-Gilde sich heute einer Nachfrage erfreuen wie noch selten zuvor. Nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor wird die Denkleistung von Betrieben und Behörden zunehmend externalisiert. Man könnte dieses Verhalten als Denkfaulheit interpretieren, als Denkverweigerung gar. Anders ist kaum zu verstehen, dass Manager wie Beamte grosse Berateraufträge vergeben, für Arbeiten, die sie eigentlich selber verrichten müssten. Für drei- bis sechstausend Franken pro Mann und Tag, zuzüglich Spesen und abzüglich «Skin in the Game». In der Haut der Berater müsste man stecken: Das ist ein Bombengeschäft.

      II.Wie immer ohne Gewähr

      Second-Opinion. Welch ein wunderbares Wort. Zweitmeinung. Dahinter kann sich jeder verstecken. Mit der eigenen Meinung. Gerade auch dann, wenn der keine eigene hat. Oder, fast schlimmer noch, sich nicht getraut, diese zu artikulieren. Weil diese Unfähigkeit zur eigenen Meinung offenbar derart verbreitet ist, ist eine mächtige Second-Opinion-Industrie entstanden, die gemeinhin auf die Berufsbezeichnung Consultant oder «Berater» getauft ist. Jeder kann sich mit dieser schmücken: Besondere Voraussetzungen oder gar geschützte Bezeichnungen für den Beruf des Consultants? Gibt es nicht.

      Jeder kann also seine Second Opinion gegen gutes Entgelt verkaufen, sofern er jemanden findet, der bezahlt. Es gibt viele, die bezahlen. Verwaltungsräte, die nicht mehr weiter wissen. Manager, die unsicher sind. Alle schieben sie ihre Verantwortung nach aussen ab, frei nach dem Motto: nicht auffallen, um nicht reinzufallen. Und natürlich geben die Exponenten dieser Industrie gegen gutes Entgelt gerne ihre Zweitmeinungen ab. Mit einer ganz kleinen Einschränkung: Alles, wie immer, ohne Gewähr. Ohne Gewähr nämlich, dass die abgegebene Meinung dem Kunden wirklich weiterhilft und sein Problem löst. Ohne Gewähr auch, die Verantwortung für die Umsetzung eines Ratschlages zu übernehmen – im Land der Menschen ist das nicht anders wie im Land der Mäuse.

      Eine Kanzlei voller Juristen wird beispielsweise beauftragt firmenrelevante Vorgänge auf juristische Rechtmässigkeit zu prüfen. Die Kanzlei wird den Fall eingehend studieren und nach allen Seiten beleuchten – während der Tachometer der Tantiemen sich unablässig dreht. Am Schluss bekommt der Kunde seine Juristen-Meinung präsentiert. Diese wird kaum klar und eindeutig sein. Sondern gespickt mit allerhand Konjunktiven und Adjektiven, prall gefüllt mit Unbestimmtheit. Das einzige was am Schluss klar und bestimmt daherkommt, ist die Honorarrechnung. Der Auftrag gebende Verwaltungsrat wird da nicht mit der Wimper zucken. Sondern alles fein säuberlich protokollieren und in seinen Entscheid einfliessen lassen. Es soll ihm ja keiner den Vorwurf machen können, er habe sich nicht bei den Besten informiert. Und der so teuer Informierte, weiss sich gut abgesichert. Selbst die International Financial Reporting Standards (IFRS), die verbindlichen internationalen Buchungsrichtlinien börsenkotierter Unternehmen, basieren in einigen Buchungskriterien auf legal opinions: delegierte Problembegutachtung und -lösung auch hier.

      Dies ist mittlerweile ein praktisch flächendeckendes Phänomen. Kommt es in einer Firma zu einem Führungswechsel auf oberster Ebene, lässt sich beinahe darauf wetten, dass bald vom neuen Chef mandatierte externe Strategie-Berater aufkreuzen, die in der Regel zwei Aufgaben zu erfüllen haben. Nämlich erstens die bestehende Unternehmensstrategie zu überprüfen, um dann zweitens eine neue zu definieren. All dies im üblichen Auftraggeber-Consulting-Verhältnis: Der eigentlich für die Strategie zuständige Verwaltungsrat delegiert deren Formulierung nach draussen und der Auftragnehmer definiert sein Mandat so, dass es an dem Punkt beendet ist, wo die Implementierung der neuen Strategie beginnt. Geht es um IT-Projekte gibt es manches Mal einen entscheidenden Unterschied: In diesem Spezialbereich der technischen Infrastruktur finden sich durchaus Berater, die ihre Lösungsvorschläge auch selber implementieren. Doch auch hier ist der Preis mitunter hoch: Es entsteht eine fast symbiotische Abhängigkeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, die sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr so einfach auflösen lässt. Eine Spezialdisziplin der grassierenden Rundumversorgung durch die Gilde der Berater bilden die so genannten Assessments, mit denen heute Manager auf Haut und Haar geprüft werden bevor sie eingestellt sind. Inzwischen werden auch tiefere Kaderstufen solchen Tests unterworfen. Dass Assessment ist übrigens für einmal keine amerikanische Erfindung. Frühformen davon, Wettbewerbe zur Auswahl von Beamten, haben bereits im kaiserlichen China existiert und die deutsche Reichswehr hat nach dem Ersten Weltkrieg Offiziersanwärter durch spezifische Eignungstests geschleust. Allerdings, so ist mit Sicherheit anzunehmen, sind damals keine teuren Berater im Spiel gewesen. Ich bekenne aber auch: Ich habe solche Assessments auch schon durchlaufen und für die Kandidatensuche auch bereits Anbieter dieser Art beauftragt. Und bin damit auch schon auf die Nase gefallen, weil ich auf der Basis der Assessment-Resultate fatale Personal-Fehlentscheide getroffen habe. Den Beratern dafür die Schuld zu geben, wäre allerdings billig. Deshalb sage ich: mea culpa!

      Als Fazit bleibt: Führungsgremien von Unternehmen beauftragen Berater mit entscheidenden Fragestellungen und selbst mit eigentlich nicht delegierbaren Aufgaben: Strategie, Personal-Rekrutierung, juristische Expertisen und Kommunikations-Experten – bei letzteren geht das mitunter so weit, dass die Spezialisten die Botschaften direkt in einen Teleprompter eingeben, die dann vom CEO nur noch abgelesen werden müssen. Globale Consultants, urteilt das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sind heute die fünfte Gewalt in Staat und Wirtschaft. Die Abhängigkeit scheint mittlerweile so hoch, dass Verwaltungsräte, CEOs oder Manager ohne sie nicht mehr handlungsfähig zu sein scheinen. Kein Wunder bedeutet das auf der Angebotsseite ein Eldorado an Marktchancen.

      III.Im Kreis von Auserlesenen

      Wo habe auch ich mir immer wieder Daten oder Analysen über Märkte, Führung, Businessmodelle, Personalentwicklung oder auch über die neuesten Finanztrends besorgt? Natürlich bei den Beratern. Und die Consultants haben regelmässig die besten und innovativsten Studien zu diesen Themen geliefert. Oft und gerne habe ich auch fachspezifische Konferenzen der global tätigen Consulting-Firmen besucht. Dort gibt es gewöhnlich interessante Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Forschung oder Gesellschaft, die als Referenten auftreten oder als Teilnehmer anwesend sind. Eine internationale Community findet sich da gewöhnlich zusammen, durchaus auch in dem Bewusstsein, einem Kreis von Auserlesenen anzugehören. Natürlich gibt es in einem solchen Setting auch Eindruck hinterlassende Begegnungen am Rande und Konferenz-Dokumentationen, welche die Tage der Konferenz überdauern. Die Besten unter den Beratungs-Firmen setzen da die Benchmarks. Und sie sind es auch, die eine grosse Zahl an Top-Talenten aus den besten Universitäten der Welt anheuern können. Es sind leistungswillige junge Menschen, die bereit sind einige Jahre ihres Lebens für die Consulting-Firma meist rund um die Uhr zu arbeiten. Diesen Einsatz bringen sie in der Hoffnung einst zum Partner aufzusteigen oder aber einen Kunden als Sprungbrett für eine lukrative Karriere nutzen zu können. Oftmals geht dieser beinharte Weg aber auf Kosten von Gesundheit und Familie. Wenn ich solche Top-Talente getroffen habe, habe ich natürlich versucht, diese in meiner Firma anzustellen. Oftmals ist mir das gelungen und enttäuscht wurde ich selten. So gehört auch das zum globalen Consulting-Business: Dieses entwickelt Top-Personal, welches zumindest zum Teil dann auch in Unternehmen aus dem Kundenkreis diffundiert. Und dort generiert dies für die Branche der Berater auch Ansatzpunkte für neues Business.

      Dieser ewig drehende Kreislauf führt zu einer fast philosophischen Frage: Kann es eine Welt ohne Berater geben? In unserem fiktiven Beispiel


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