Butler Parker 123 – Kriminalroman. Günter Dönges
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Normalerweise hätte Josuah Parker selbstverständlich den Privatweg respektiert, denn fremdes Eigentum war ihm stets heilig. In diesem Fall jedoch nahm er sich die Freiheit, das sperrende Holzgitter zu öffnen, zumal es ohnehin nur nachlässig geschlossen war. Er befand sich auf der Fahrt zum Country-Club von Saffron Waiden, um dort Lady Agatha Simpson abzuholen. Parker hatte sich verspätet und wollte diese Zeit unbedingt wieder einholen.
Es dunkelte bereits, doch er brauchte die Scheinwerfer seines hochbeinigen Monstrums noch nicht einzuschalten. Das hatte seiner Schätzung nach noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Er schloß das Gatter hinter sich, stieg in seinen Wagen, der mal ein echtes Londoner Taxi war, und fuhr behutsam über den ausgefahrenen Feldweg.
Links und rechts des schmalen Weges waren Wiesen, auf denen Kühe grasten. Das sanfte Hügelland nördlich von London tat seinen Augen ausgesprochen wohl. Er genoß die Stille und den Frieden und hielt es nach wie vor für eine gute Idee, ein paar Tage hier zu verbringen. Doch plötzlich kamen ihm Bedenken...
Parker drosselte das Tempo seines Wagens. Der schmale Weg senkte sich und ging in eine Art Hohlweg über, dessen Ränder mit dichtem Strauchwerk bewachsen waren. Der Butler steuerte auf eine sanfte Kurve zu und erreichte ein kleines Tal, das von einem Bahndamm durchquert wurde. Aber noch in dieser Kurve hielt Parker sein Fahrzeug an und sah zu der Unterführung hinüber.
Er hätte auf diesen Weg wohl besser verzichtet. Vor dem Bahndamm und der Unterführung standen zwei mittelgroße Kastenlieferwagen, die eindeutig zur Armee gehörten. Der Butler ahnte, daß er in ein regionales Manöver geraten war und störte. Er hielt Ausschau nach Soldaten, doch sie hatten sich ausgezeichnet getarnt. Möglicherweise beschäftigten sie sich auch mit dem vor einem Signal haltenden Zug, den er bisher nicht hatte sehen können.
Einige Soldaten in Tarnanzügen standen vor einem Wagen gleich hinter der Lokomotive und schienen etwas zu verladen. Sie besorgten das mit Tempo und Präzision. Jeder Handgriff saß, wie Parker selbst aus dieser Entfernung feststellen konnte.
Er ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen, zumal an ein Wenden im Hohlweg nicht zu denken war. Parker fuhr langsam bis zur Unterführung. Neben einem der beiden Kastenwagen erschien ein Uniformierter, der ihn energisch heranwinkte. Butler Parker fuhr etwas schneller und hielt dann wenige Minuten später.
Der Soldat entpuppte sich als Colonel. Er trug eine Maschinenpistole, sein Gesicht war geschwärzt. Das Auftreten des Mannes war autoritär, was den Butler insgeheim ärgerte. Seiner Ansicht nach wurden die Angehörigen der Armee schließlich auch von seinem Steuergeld bezahlt. Höflichkeit mußte für die Truppe eine Selbstverständlichkeit sein.
Er stieg aus und schritt gemessen auf den Colonel zu. Dazu lüftete Parker seine schwarze Melone. Er sah zum Bahndamm hinauf und spürte plötzlich, daß hier einiges nicht stimmte. Wieso lud man Postsäcke aus? Und warum spürte der Butler plötzlich einen äußerst harten Gegenstand, der ihm gegen das Rückgrat gepreßt wurde?
»Ich verhafte Sie im Namen der Armee«, näselte der Colonel und nickte unmerklich. Er schaute an Parker vorbei und schien die Person zu meinen, die eindeutig hinter dem Butler stand.
Josuah Parker reagierte augenblicklich. Es zeigte sich, daß er schnell und geschmeidig sein konnte, wenn es sein mußte. Parker warf sich instinktiv zur Seite und spürte einen scharfen Luftzug, der seine linke Gesichtshälfte traf.
Dicht an seiner Schulter vorbei schmetterte der Kolben einer Maschinenpistole durch die Luft. Josuah Parker sah sich im Umwenden einer Frau gegenüber, deren Aussehen ihn staunen ließ.
Sie war groß, schlank und trug ein schwarzes Trikot, das an einigen Stellen über der Brust und an den Hüften eingerissen war. Auch ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Es verbarg sich hinter einer Wollmütze, die zu einer Art Gesichtsmaske heruntergezogen war. Butler Parker kam zu dem Schluß, daß hier einige Dinge und Verhaltensweisen auf keinen Fall regulär waren. Er besann sich auf seinen Universal-Regenschirm und griff an.
*
Agatha Simpson saß auf einem großrahmigen und knochigen Wallach, der nicht im Traum daran dachte, sich durch das Gelände jagen zu lassen. Das Pferd hatte sich einem Steinwall genähert, der als eine Art Weidenzaun fungierte, doch der Wallach sträubte sich, das Hindernis zu nehmen.
Er spürte seit geraumer Zeit, welche Last sich da im Sattel breitgemacht hatte. Lady Agatha war eine immerhin stattliche Dame, die seit einigen Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben. Sie war groß, hatte eine majestätische Figur und daher auch ein gewisses Gewicht. Der Wallach schnaubte also widerwillig, als die Lady ihn energisch antrieb.
Das Pferd war ein erfahrener Vierbeiner. Er wich nach rechts aus und hielt auf ein Gatter zu, das halb geöffnet war. Warum sollte er springen, wenn das Hindernis sich auf wesentlich einfachere Art und Weise nehmen ließ?
Lady Agatha aber war eigenwillig und sportbewußt. Sie nahm an dieser typisch englischen Fuchsjagd nicht aus Langeweile teil. Sie wollte sich sportlich stählen und kontrollieren, wie es mit ihrer Fitness aussah. Sie bog den Wallach um ihren Schenkel herum und trieb ihn erneut auf den Steinwall zu. Dazu stieß die ältere Dame anfeuernde Rufe aus, die bei dem Pferd aber keinen Eindruck machten.
»Verdammtes Biest«, fluchte Lady Agatha unfein und drastisch, als der Vierbeiner erneut zur Seite ausbrach. Die Stimme war eine überraschende Mischung aus Baß und Bariton. Agatha Simpsons schlechte Laune steigerte sich noch. Sie hatte den Anschluß an ihre Gastgeber längst verloren. Der Schleppfuchs und die Reiter mußten sich längst drüben im langgestreckten Quertal befinden. Von dorther war nämlich das wilde Bellen der Jagdhunde zu hören.
Lady Agatha nahm ihre Reitgerte hoch und hatte die feste Absicht, dem Wallach einen Hieb zu versetzen. In diesem Moment aber nahm der Vierbeiner den Kopf herum und schielte seine Reiterin warnend an. Deutlicher und drohender hätte kein Blick ausfallen können.
»Schon gut«, reagierte die ältere Dame einsichtig. »Nun mach’ aber endlich!«
Der Wallach nickte und trabte dann erneut zum Gatter hinüber. Zur Belohnung behielt er anschließend den Trab bei und beförderte Agatha Simpson hinunter ins Tal. Es war ein äußerst kurzer Trab, bei dem der Wallach zusätzlich den Rücken hochdrückte. Die Lady wurde gehörig durchgeschüttelt und nahm sich vor, in Zukunft auf Pferde zu verzichten. Die Technik lag ihr doch wesentlich mehr. Sie freute sich bereits jetzt auf ihren vor dem Country-Club parkenden Wagen. Ein Auto brauchte schließlich nicht überredet zu werden.
Als sie samt Pferd um ein kleines Gehölz kam, entdeckte sie weit vor sich einen Mann, der ihr aufgeregt winkte. Lady Agatha winkte erst mal zurück, da sie diese Gesten mißverstand und nur an einen freundlichen Gruß glaubte. Dann allerdings hörte sie so etwas wie einen Hilferuf.
Sofort richtete sie sich auf. Neue Energien durchströmten ihren Körper. Jetzt hatte der Wallach keine Chance mehr. Sie heizte ihm gründlich ein, ließ ihn die Sporen kosten, auf die sie bisher verzichtet hatte, und preschte zu dem hilferufenden Mann, der in sich zusammengerutscht zu sein schien und nun auf dem Rasen hockte.
Der Wallach merkte, daß er jetzt doch besser parieren sollte. Er schwang sich, wenn auch widerwillig, zu einem Galopp auf und trug seine majestätische Reiterin zu dem Mann hinüber. Ächzend stieg die ältere Dame aus dem Sattel, den sie die ganze Zeit über schon verachtet hatte. Auf strammen Beinen näherte sie sich dem Mann, der die Uniform der Königlichen Eisenbahn trug.
»Haben Sie Ihren Zug verpaßt, junger Mann?« erkundigte sich die resolute Sechzigerin und beugte sich zu dem etwa zehn Jahre jüngeren Eisenbahner hinunter.
Einen Augenblick später merkte die Lady, daß ihr kleiner Scherz nicht angebracht war. Der Mann war verletzt und stand dicht vor einer Ohnmacht. Die Uniformjacke über seiner linken Brust war blutgetränkt.
»Überfall«, keuchte der Verwundete. »Der Zug ist überfallen worden.«
*
Butler Parker wußte mit seinem Regenschirm gut umzugehen. In seinen Händen war er eine Art Universalwaffe, die er rationell einsetzte. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff hakte er sich bei der Maschinenpistole der jungen Frau ein und schleuderte die Waffe dann in einem weiten Bogen ins Gelände. Dabei drehte Josuah