Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek. Christopher Ross
Читать онлайн книгу.Snowboarder waren und beinahe an den Olympischen Spielen teilgenommen hätten, zwei fröhliche »All-American Boys«, wie der Ranger sie genannt hatte. Schon am Telefon hätten sie gute Laune versprüht und seien sicher eine Bereicherung für die Wandergruppe. So konnte man sich täuschen.
Aus der Ferne beobachtete sie, wie Carol die beiden begrüßte und dabei einen sehr souveränen Eindruck machte. Wer so viel Erfahrung mit Wandergruppen hatte wie sie, erkannte seine Pappenheimer wohl auf Anhieb und verhielt sich entsprechend. Allein ihre Körpersprache drückte aus, wie wenig sie sich von solchen Machos beeindrucken ließ. »Alles nur heißer Wind«, würde sie später zu Julie sagen. »Frustrierte Jungs, die auf sich aufmerksam machen wollen. So was gab es früher auch bei den Rangern, ist aber lange her. Inzwischen haben die meisten Jungs erkannt, dass wir mehr können als Windeln wechseln.«
Hinter Julie fuhr eine weitere Teilnehmerin auf den Parkplatz und stieg aus ihrem Wagen, eine zierliche Person, die beinahe in die Knie ging, als sie ihren Backpack auf den Rücken schnallte. Auf Julie machte sie eher den Eindruck einer frustrierten Städterin, die in der Natur ihre Probleme vergessen wollte. Dazu passten auch ihre verweinten Augen und das blasse Gesicht. Ihr Lächeln wirkte gekünstelt. »Kati Wilcott«, stellte sie sich vor. Ihre Stimme klang viel zu leise und etwas heiser. »Ich hoffe, ich komme nicht zu spät.«
»Pünktlich auf die Minute«, widersprach ihr Julie. »Ranger Julie Wilson. Meine Kollegin Carol Schneider und ich werden Sie auf der Wanderung begleiten.« Sie blickte die Frau prüfend an. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Kati?«
»Alles okay. Ich kann es gar nicht erwarten.«
Julie blickte der Frau verwirrt nach, als sie zu den anderen ging, und fragte sich, was eine Frau wie sie dazu trieb, an einer Schneeschuhwanderung durch die Wildnis teilzunehmen. War sie stärker und zäher, als es den Anschein hatte? Eine Einzelgängerin, die sich etwas beweisen wollte? Die meisten Urlauber in Alaska waren zu zweit oder in Gruppen unterwegs. War sie allein aus Oregon gekommen, um in Alaska zu sich selbst zu finden? Eine Esoterikerin?
Sie musste über ihre eigenen Gedanken lachen und kehrte zu den anderen zurück, vermied es dabei aber, Josh anzublicken, der sie unverwandt anstarrte und ihr wohl irgendetwas sagen wollte. Zum Glück winkte Carol sie zu sich heran.
»Sieh mal nach, wo dieser Jacobsen bleibt«, flüsterte die Rangerin ihr zu. »Es ist schon nach sieben, und zu lange können wir nicht warten. Vielleicht wartet er beim anderen Besucherzentrum am Eingang des Parks. Nimm den Kleinbus. Ich halte inzwischen meine kleine Rede. Aber beeil dich, Julie!«
Julie versprach es und fuhr mit dem Kleinbus auf die Park Road nach Osten. Sie brauchte nicht lange nach Scott Jacobsen zu suchen. Er stand neben seinem Wagen am Straßenrand und starrte unverwandt nach Westen, in die Dunkelheit und den morgendlichen Dunst, der in feuchten Schwaden über dem verschneiten Land lag. Sie hielt an und ging zu ihm.
»Mister Jacobsen? Ranger Wilson. Wir haben uns in der Lodge kennengelernt. Haben Sie eine Panne? Irgendwas mit dem Wagen nicht in Ordnung?«
Jacobsen schien sie nicht zu hören. »Dahinten muss er liegen, der Mount McKinley. Oder wie nennen sie ihn jetzt? Mount Denali, nicht wahr?« Sein nasaler Dialekt war nur schwer zu verstehen, außerdem sprach er sehr leise.
»Mister Jacobsen. Wir warten auf Sie.«
Er rührte sich nicht von der Stelle, starrte weiter nach Osten, obwohl es dort kaum etwas zu sehen gab. Das Nordlicht war erloschen, der Mond und die Sterne waren hinter einigen Wolken verschwunden. Nur die schneebedeckte Park Road und die schwarze Wand des Waldes waren zu erkennen.
»Mister Jacobsen!«
»Ein unheimlicher Berg, dieser Mount McKinley! Meinen Sie, wir bekommen ihn zu sehen? Ich habe gehört, dass der Gipfel meistens in den Wolken liegt. Wie schaffen es die Bergsteiger nur auf den Gipfel, wenn sie dort oben kaum etwas sehen können? Und warum steigen sie überhaupt hinauf?«
»Das weiß ich nicht, Mister Jacobsen. Weil sie beim Aufstieg eine besondere Erfahrung machen, hat mir ein Bergsteiger mal erzählt. Und weil der Denali ein so gefährlicher und anspruchsvoller Berg ist, dass man sich dort am besten beweisen kann.« Das stand in den Broschüren, die im Besucherzentrum an Bergsteiger ausgegeben wurden. »Weil der Berg da ist, hat mal jemand in einem Fernsehfilm behauptet. Die Menschen wollten schon immer hoch hinaus, und am Mount Denali gibt es immer noch Rekorde zu brechen.«
»Wer am schnellsten über die Wickersham Wall den Gipfel erreicht?«
Seltsam, dachte sie, die gefährliche Nordwand hatte er schon in der Happy Loon Lodge erwähnt. »Zum Beispiel. Einer der gefährlichsten Aufstiege, die man sich vorstellen kann, wurde mir erzählt. Früher sind dort etliche Männer verunglückt. Inzwischen lassen wir nur erfahrene Bergsteiger in die Wand, die schon andere schwierige Touren hinter sich haben.« Sie blickte selbst nach Osten. »Seltsam, dass sich ausgerechnet jemand aus Chicago für unseren Berg interessiert. Und ich dachte, Sie halten es eher mit Wolkenkratzern.«
Zum ersten Mal, seitdem sie ausgestiegen war, wandte er den Kopf und blickte sie an. Seine Lider flackerten. »Wie, sagten Sie, war noch Ihr Name?«
»Ranger Wilson, Mister Jacobsen. Kommen Sie, die anderen warten bereits. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Mit dem Wagen ist alles okay?«
»Natürlich. Wie kommen Sie darauf?«
»Dann folgen Sie mir bitte.«
Julie stieg in den Kleinbus und wendete vor dem Wagen von Jacobsen. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie er ebenfalls einstieg und den Motor aufheulen ließ. Ein seltsamer Typ, dieser Scott Jacobsen. Er schien besessen vom Mount McKinley zu sein, als hätte er eine ganz besondere Bedeutung in seinem Leben. Ein Mann aus Chicago, wo es meilenweit keine Berge gab.
Sie fuhr los und atmete erleichtert auf, als sie bemerkte, dass er ihr in geringem Abstand folgte. »Das kann ja heiter werden«, sagte sie vor sich hin.
6
Knappe zwei Stunden waren sie im Kleinbus unterwegs. Julie saß hinter dem Steuer, neben sich Carol, die mit dem linken Arm auf der Lehne über den Nationalpark erzählte und anscheinend große Erfahrung darin besaß, eine Gruppe mit so unterschiedlichen Teilnehmern bei Laune zu halten. »Dieses Gebiet wurde vor allem wegen der vielen Tiere unter Naturschutz gestellt«, sagte sie, »es gibt Grizzlybären, Elche, Wölfe und kleine Mäuse, die sich im Winter unter dem Schnee verkriechen und dort in ihren Höhlen wohnen. Ich hoffe, keiner von Ihnen hat Angst vor Mäusen, denn manchmal graben sie sich auch nach oben und sehen nach, ob es die Welt noch gibt. Sie sind sehr neugierig.«
Julie lauschte den Worten der Rangerin nur mit halbem Ohr. Ihre Aufmerksamkeit galt der Straße, die von Schneeverwehungen überzogen war. Selbst der Allradantrieb des Kleinbusses richtete dort nur wenig aus. Wie schon mit dem Hundeschlitten musste sie teilweise Slalom fahren und konnte froh sein, dass sie in den zwei Stunden nur einem einzigen Fahrzeug begegnete. Ranger Erhart, der Polizeichef der Rangertruppe, hielt direkt neben ihr, und sie ließen beide die Fenster herunter. »Morgen, Ranger.«
»Morgen allerseits. Alles klar bei euch?«
»Ich glaube schon. Haben Sie die beiden Jungen verhaftet?«
Er lächelte. »Wir sind keine Unmenschen. Aber sie bekommen eine Anzeige und wahrscheinlich eine heftige Geldstrafe. Ihre Eltern waren nicht gerade erfreut, als sie kamen. Ich glaube nicht, dass die Jungs wiederkommen.«
»Wie sieht das Wetter am Denali aus?«, fragte Carol.
»Heute Mittag soll es aufklaren. Vielleicht habt ihr Glück.«
Sie verabschiedeten sich und fuhren weiter. »Sieht so aus, als bekämen wir heute den Gipfel zu sehen«, gab sie die gute Nachricht weiter. »Das können nur die wenigsten Wanderer im Winter von sich sagen.«
»Wie dicht kommen wir an den Berg ran?«, wollte Jacobsen wissen.
»Ungefähr zwanzig Meilen«, antwortete Carol, »aber bei klarer Sicht reicht das. Sie werden staunen, wie mächtig und gewaltig der Mount Denali ist.«
Josh sagte während der ganzen