Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek. Christopher Ross

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Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek - Christopher Ross


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      »War nicht meine Schuld«, rechtfertigte er sich, »mir passiert so was nicht. Muss wohl ein Elch in der Nähe gewesen sein, der die Hunde beunruhigt hat. Bandit hat eine Heidenangst vor Elchen. Bandit ist mein Leithund. Er rannte plötzlich nach rechts, und wenn ich den Schlitten kurz vor dem Sturz nicht angeschoben hätte, wären die Hunde wohl auch über die Böschung gegangen.« Er drehte sich zu ihr um und lächelte etwas gequält. »Ich bin Josh Alexander. Danke, dass du mir geholfen hast.«

      »Julie Wilson«, antwortete sie. »Den Hunden und dem Schlitten ist nichts passiert. Sie warten unten auf dem Trail.« Sie stemmte sich vom Boden hoch und klopfte sich den Schnee vom Parka, anschließend half sie ihm auf die Beine. Sie blickte an ihm vorbei auf die Spuren im Schnee. »Den Trail kenne ich. Die Kurve ist besonders gefährlich, da wäre ich auch beinahe mal über Bord gegangen.« Sie blickte ihn fragend an. »Du bist doch nicht verletzt?«

      Er lächelte. »Nur ein paar blaue Flecken … nicht der Rede wert.«

      »Na, dann …«

      Sie betrachtete Josh genauer. Er war ziemlich attraktiv, das musste sie zugeben. Ungefähr ihr Alter, sportliche Figur, die auch sein Parka nicht verdecken konnte, ein etwas zu kantiges Gesicht mit energischem Kinn, und warme Augen, ob braun oder blau ließ sich in dem Halbdunkel nicht erkennen. Der helle Parka passte nicht zu ihm, an seiner Stelle hätte sie sich einen dunkelroten oder blauen zugelegt, aber was ging sie das an? Sie würde ihn vermutlich sowieso nicht wiedersehen. Außerdem erinnerte er Julie zu sehr an den Captain des Eishockeyteams an ihrem College, mit dem sie zum Abschlussball gegangen war. Der war wahnsinnig von sich selbst überzeugt und hielt sich auch für etwas Besseres, nur weil er ein paar Tore mehr als die anderen schoss. Sie zweifelte nämlich an Joshs Geschichte, dass er von einem Elch aus der Spur gebracht worden war. Elche blieben lieber in den Tälern und an den Flussufern. Wahrscheinlicher war, dass er die Kurve zu schnell angegangen und deshalb vom Schlitten gestürzt war. Aber das hätten wohl die wenigsten Männer zugegeben, schon gar nicht gegenüber einer Frau. Schlimm genug, dass Frauen das Iditarod gewannen, das legendäre Hundeschlittenrennen über tausend Meilen von Anchorage nach Nome.

      Sie kehrten zu ihren Schlitten zurück. Inzwischen war die letzte Helligkeit verschwunden, und ein samtschwarzer Himmel wölbte sich über dem Trail. Nur wenige Wolken waren zu sehen, ein sicheres Zeichen dafür, dass eine kalte Nacht bevorstand. Der Wind rauschte leise in den Baumkronen. Der Trail verlief in einiger Entfernung parallel zur asphaltierten Straße nach Chena Hot Springs, doch um diese Jahreszeit gab es kaum Touristen, und es waren nur wenige Autos unterwegs. Die Stille war fast zu greifen und wurde erst durch das laute Jaulen der Huskys gestört, die sich über ihr Kommen freuten.

      Julie begrüßte ihre Hunde mit ein paar freundlichen Worten und sah Josh zu, der sich ebenfalls zu seinem Leithund hinabbeugte und ihn ausgiebig zwischen den Ohren kraulte. Er mochte ein wenig eingebildet sein und sie vielleicht sogar beschwindelt haben, aber was machte das schon, wenn man so ausdrucksvolle Augen wie er besaß. Sie waren braun, glaubte sie inzwischen. »Treue Hundeaugen«, hätte ihre Freundin Brandy wohl gesagt. Brandy hielt sich für eine Expertin, was Männer betraf, obwohl sie keinen Freund länger als ein paar Wochen halten konnte und ständig Ärger mit ihren Lovern hatte.

      Josh drehte sich zu ihr um. Jetzt war wieder dieser leicht überhebliche Ausdruck in seinen Augen, und ihr Herz klopfte wesentlich langsamer. Er deutete auf ihre Hunde. »Ein gutes Gespann. Trainierst du für ein Rennen?«

      Sie schüttelte lachend den Kopf. »Dafür sind wir zu langsam. Chuck ist der beste Leithund, den man sich vorstellen kann, und er hat mehr Ausdauer als ein Rennpferd, aber mit Wettkämpfen hat er’s nicht so. Ich hab den Verdacht, er findet sie albern.« Sie tätschelte Chuck den Rücken, als wollte sie sich für ihre kritischen Worte entschuldigen. »Und du? Du fährst doch nicht zum Spaß über diesen anspruchsvollen Trail. Willst du beim Iditarod mitmachen?«

      »Nicht nur das«, erwiderte er mit jenem selbstsicheren Lächeln, das sie von dem Eishockey-Captain kannte. »Ich will das Iditarod gewinnen! Dann wäre ich der jüngste Gewinner aller Zeiten, und es gäbe einen riesigen Rummel! Ein Interview auf CNN, das wär’s doch.«

      »Nur deswegen willst du mitmachen?«

      Er lächelte. »Na ja, das Preisgeld wäre auch nicht zu verachten. Und meine Eltern würden endlich kapieren, dass es sich auch lohnen kann, nach dem College nicht gleich auf die Law Enforcement Academy zu gehen. Ich kann noch früh genug als State Trooper anfangen.« Er gab seinem Leithund einen freundschaftlichen Klaps und stieg auf die Kufen seines Schlittens. »Mein Dad war mal Trooper, als wir noch in der Nähe von Valdez wohnten, und will natürlich, dass ich auch einer werde, aber mir reicht ein Job als Stellvertreter. Als Trooper hätte ich doch überhaupt keine Zeit mehr zum Schlittenfahren. Weißt du, wie viel Geld man als erfolgreicher Musher verdienen kann? Mehr als ein Trooper, das ist mal sicher. Vielleicht lasse ich die Academy sogar ganz fallen, falls ich unter den ersten drei lande. Einen Sponsor habe ich schon …« Er drehte sich um und zeigte ihr die Rückseite seines gelben Anoraks mit dem Logo eines Hundefutterherstellers. Deshalb also die seltsame Farbe. »Und du? Fährst du etwa nur so zum Spaß über diese einsamen Trails?«

      »Ich bringe mich in Form«, erwiderte sie. Die eisige Kälte schien weder ihr noch ihm etwas auszumachen. »Sonst schicken mich die Ranger gleich nach Hause. Ich fange morgen früh ein Praktikum im Denali National Park an.«

      »Du wirst Park Rangerin?«

      »Wenn ich die Ranger überzeugen kann«, schränkte sie ein. »Nach Denali wollen viele, und ich muss schon verdammt gut sein, um dort eine dauerhafte Stellung zu bekommen. Aber woanders will ich nicht hin. Ich liebe Denali.«

      Der Denali National Park war ein riesiges Naturschutzgebiet rund um den höchsten Berg der USA, den Mount McKinley. Mit seinen 6149 Metern überragte er alle anderen Gipfel der Alaska Range. »Denali« nannten ihn die Indianer, den »Großen«, und so hieß seit 1980 auch der Nationalpark. »So viel Natur findest du in keinem anderen Staat«, fügte sie hinzu. »Ich darf mich um die Schlittenhunde kümmern und mit den Besuchern ein paar Runden drehen.«

      »Und wo wirst du wohnen? In einer Unterkunft im Park?«

      Sie nickte. »Die Zimmer sollen ganz gemütlich sein, hab ich mir sagen lassen. Und das Essen können wir uns selbst kochen. Ich bin zwar keine große Köchin, aber für ein paar Rühreier oder einen Hamburger reicht es noch.«

      »Wie wär’s mit einer Pizza?«

      Sie grinste. »Die kriege ich auch hin. Eine tiefgefrorene natürlich.«

      »Ich meinte eigentlich die leckeren Pizzas bei Luigi in der Fourth Street. In Fairbanks gibt es keine besseren. Heute Abend um sieben? Dann bekommst du wenigstens noch einmal was Anständiges zu essen, bevor du selbst zu brutzeln anfängst. Ich lade dich natürlich ein. Ist doch Ehrensache nach der Rettungsaktion. Wenn du nicht gewesen wärst, hinge ich vielleicht immer noch auf dem steilen Hang. Na, was meinst du? Soll ich dich abholen, Julie?«

      Ein Date, eine Einladung zu einem wirklichen Date, hatte sie schon seit einigen Monaten nicht mehr bekommen. Genau genommen war Julies letztes Date der Abschlussball am College gewesen, doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie war eben nicht der Typ, der Männer aus der Fassung brachte, kein Cheerleader und auch kein Modepüppchen. Und ihre honigblonden Haare band sie lieber zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen, als sie mit teuren Extensions aufzupeppen und mit pfundweise Spray in Form zu bringen. High Heels hatte sie erst drei Mal getragen, bei den Abschlussbällen der Highschool und des College und bei der Party, die ihr Vater bei seiner Beförderung zum Oberarzt gegeben hatte. Im Winter trug sie feste Wanderschuhe oder Stiefel und meist Hose, Pullover und Anorak oder, wenn sie mit dem Schlitten loszog, den dunkelroten Outdoor-Overall, den sie von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen hatte.

      »Du könntest dich ruhig mal als Dame verkleiden«, sagte er manchmal, obwohl er anderen gegenüber stets ihren frischen Teint und ihre ungezwungene Art betonte und sogar damit angab, dass sie in einem der größten und schönsten Nationalparks arbeiten würde. Eigentlich hatte er sich gewünscht, sie würde in seine Fußstapfen treten und Ärztin oder wenigstens Krankenschwester werden, aber ihr reichten die Erzählungen ihres


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