Titain - Warrior Lover 15. Inka Loreen Minden
Читать онлайн книгу.völlige Befehlsgewalt über ihn gegeben. Sie konnte ihn, genau wie die perversen Lüstlinge zuvor, zu allem zwingen. Sogar, sich umzubringen, falls sie auf Rache sann. Beinahe wünschte er, hier und jetzt würde alles für ihn zu Ende sein. Doch er sehnte sich selbst nach Vergeltung für das, was diese geistesgestörten Oberen ihm und mehreren seiner Waffenbrüder angetan hatten.
Als plötzlich Wasser die Kammer flutete, raste sein Herz wieder wie verrückt, neue Panik stieg in ihm auf. Doch abermals brachte die Steuerung ihn dazu, ruhig zu bleiben, sein Schicksal anzunehmen. Er konnte nichts tun außer abwarten, bis die Kammer voller Meerwasser gelaufen war, und hoffen, dass der Anzug wirklich dicht blieb.
»Du kannst nun rausgehen«, hörte er Pearl direkt an seinem Ohr.
Wieder folgte er, entriegelte über ein massives Drehkreuz das Schott und trat auf eine Art schwebende Ebene, die zwischen den gewaltigen Kuppeln lag und auf der die Algen angebaut wurden. Bloß sah er nicht viel davon, es war völlig dunkel.
Selbst durch den Anzug hindurch fühlte er, wie die Stadt und die Plantage unter seinen Füßen minimal schwankten, da alles mit dicken Seilen im Meeresboden verankert war. Diejenigen, die hier schon lange lebten, bekamen die Schwingungen wahrscheinlich gar nicht mehr mit. Er musste sich erst einmal daran gewöhnen.
Mittels Fußpedalen in seinem »U-Boot« lenkte er die Steuerdüsen, die ihm halfen, den schweren Anzug zu bewegen. Draußen angekommen, erhielt er einen guten Blick auf ein paar andere Kuppeln, hinter deren dicken Glaswänden Licht brannte, und er erkannte nun auch das große Algenfeld, das wie ein dunkler, wabernder Teppich vor ihm lag. Als schlagartig Scheinwerfer aufflammten, die wohl Pearl eingeschaltet hatte, damit er besser sah, entdeckte er die gelb lackierte Erntemaschine sofort. Sie lag in etwa zehn Metern Entfernung halb umgekippt zwischen den Pflanzen. Wie dünne Lappen bewegten sie sich in der zarten Strömung des Meerwassers, und die ganze Szenerie wirkte unecht, ja sogar ein wenig unheimlich. Er hörte nichts bis auf seine eigene, hektische Atmung und das leise Zischen der Sauerstoffanlage.
Er versuchte, mit dem schweren Anzug so schnell wie möglich zu der Maschine zu kommen, und befreite sie von der Plastikflasche, die zwischen die Antriebsturbinen gekommen war. Danach richtete er das Gefährt wieder auf.
Eine Bewegung über seinem Kopf ließ ihn den Blick nach oben richten. Ein gigantisches Netz überspannte das gesamte Feld, aber wegen der runden Kuppeln schloss es nicht überall ab. Etwas Größeres passte jedoch nicht durch. Zum Glück! Denn eine riesige Schildkröte zog ihre Runden nur wenige Zentimeter über der Absperrung und knabberte Algen davon ab, die sich darauf gebildet hatten.
Leicht atmete er auf. Dieses Tier wirkte friedlich, doch es sollten wirklich fiese Bestien hier leben, die schon viele Menschen mit Haut und Haaren verschlungen hatten. Zumindest hatte er damals die Einheimischen darüber reden gehört, als er in der Wüstenstadt auf sie »aufgepasst« hatte.
Jetzt war ihm klar, warum er in diesem Mini-U-Boot steckte: weil weder Pearl noch einer der anderen Einwohner von Paradisia auch nur die geringste Chance hätte, in dieser feindlichen Umgebung ruhig und konzentriert zu arbeiten. Ohne die verdammte Steuerung würde auch er an nichts anderes denken können als die Gefahr, von einem der Monster gefressen zu werden!
»Was ist passiert?«, fragte Pearl durch die Sprechanlage.
»Die Maschine hat sich in einem Stück Plastik verheddert«, antwortete er automatisch und hörte, wie rau seine Stimme klang. Vom Schreien im Labor. Vom jahrelangen Eingefrorensein.
Pearl fluchte leise. »Dieser verdammte Müll ist eine Plage! Die Menschen haben ihn früher einfach ins Meer gekippt und er hat sich bis heute nicht völlig aufgelöst.«
In abgehackten Schüben wehte sein Atem im Helm gegen die große Sichtscheibe, sodass sie immer wieder kurz beschlug. Ob Pearl durch das Mikro hören konnte, wie beschissen er sich gerade fühlte, so allein mitten im Meer? Er kam sich schwach und wehrlos vor, nicht mehr wie der Krieger, zu dem er einst ausgebildet worden war.
Wut stieg in ihm auf, weil nichts so verlaufen war, wie er sich das gewünscht hätte. Auf Pearl war er auch sauer, weil sie bisher mit keinem Wort erwähnt hatte, wie sie ihm helfen wollte. Und er konnte sie wegen seiner Steuerung nicht fragen! Sah nun so sein Leben aus? Dass er jeden Tag Dinge in dieser Stadt reparieren musste, damit alle anderen ein schönes Dasein fristen konnten?
»Nimm den Müll bitte mit«, befahl sie ihm mit sanfter Stimme. »Leider wird hier immer wieder was angeschwemmt.«
Titain schloss die »Riesenpinzette« um das Plastik und beeilte sich, zur Schleuse zurückzukommen. Keine Sekunde wollte er länger in diesem schwer beweglichen Druckanzug stecken, in dem er sich noch mehr eingesperrt fühlte als in seinem eigenen Körper und in diesen Kuppeln. Er wollte endlich wieder das Sonnenlicht sehen, echte Luft atmen, frei sein! Doch das würde er wohl nie wieder, das wusste er jetzt. Diese Frau hatte ihn belogen; sie sorgte sich einen Scheißdreck um ihn, er war nur ihr Sklave, ihre Arbeitsmaschine! Titain wollte wirklich sauer auf sie sein … wenn sie bloß nicht so gut riechen und so freundlich zu ihm sein würde!
Plötzlich sah er Pearl in einigen Metern Entfernung von der Schleuse direkt hinter dem dicken Glas der Kuppel stehen und in seine Richtung blicken. Konnte sie ihn dadurch erkennen?
Sie wirkte bekümmert, während sie abwechselnd zu ihm und auf das Display ihres Tablets schaute. Dann hörte er wieder ihre Stimme: »Weißt du übrigens, dass Algen hervorragende Sauerstoffproduzenten sind? Das ist einer der Gründe, warum in Paradisia auch innerhalb der Kuppeln Algen gezüchtet werden. Außerdem liefern sie uns Nahrung und aus ihnen werden Vitamine extrahiert und … Kosmetik für die Privs gemacht.« Die letzten Worte spie sie förmlich ins Mikrofon. »Ich verstehe auch die Menschen der Alten Welt nicht. Sie wussten bereits, wie man mit Hilfe von Algen und Bakterien Bio-Plastik herstellen kann, haben aber stattdessen lieber einen Rohstoff verbraucht, der heute noch die Umwelt schädigt.«
Warum erklärte sie ihm das alles? Um ihn zu beruhigen? Oder weil sie eine Person war, die sich einfach gerne reden hörte?
Sie erzählte ihm alles Mögliche, selbst als er wieder in der Schleuse stand und das Wasser um ihn herum abfloss. Langsam beruhigte sich sein rasendes Herz, auch seine Atmung ging bald regelmäßiger. Und kaum hatte ihm Pearl den Helm abgenommen und er konnte wieder ihren unvergleichlich guten Duft riechen, verwandelte sich seine Angst in etwas anderes. Dunkleres. Animalischeres. Immer, wenn er sie roch, befürchtete er, gleich die Kontrolle über sich zu verlieren und über sie herzufallen – und ausnahmsweise war er einmal froh, dass er genau das nicht konnte. Denn so sehr er sich über sie und ihre leeren Versprechungen ärgerte, wollte er ihr doch niemals wehtun.
Kapitel 7 – Hunger
»Das war doch für unser erstes Mal ganz okay, oder?«, sagte Pearl zu Titain, als sie auf dem Weg zu seiner Regenerationskammer waren.
Sofort bereute sie ihre Worte. Hilfe, das hatte sich jetzt sehr zweideutig angehört! Dabei wollte sie ihn nur aufmuntern, denn sie hatte mitbekommen, wie sehr er sich gefürchtet hatte, und mit ihm gelitten, sich vorgestellt, wie sie sich allein dort draußen fühlen würde und was ihr helfen könnte, damit sie sich beruhigte. Deshalb hatte sie ihm einfach irgendwas erzählt, was ihr gerade in den Sinn gekommen war.
Während sie neben ihm herging, kamen ihnen ab und zu andere Arbeiter in ihren grünen Overalls entgegen. Die Nachtschicht endete demnächst, der neue Morgen brach an und für Pearl bedeutete das, bald ins Bett zu gehen. Draußen wurde es langsam hell.
Die meisten Arbeiter fragten sie neugierig: »Wer ist das?«, und sie antwortete jedes Mal: »Der neue Android.« Dabei warf sie Titain einen verstohlenen Blick zu. Bestimmt hasste er es, so bezeichnet zu werden.
Als plötzlich sein Magen lautstark knurrte – zumindest glaubte sie, dass es sich dabei nur um seinen Magen handeln konnte, es sei denn in ihm lebte ein wildes Tier –, fragte sie ihn leise, kurz bevor sie seine Kammer erreichten: »Wann hast du zuletzt Nahrung zu dir genommen?«
»Kurz nach dem Aufwachen.«
Er meinte wohl, als sie ihn aufgetaut hatten.