Titain - Warrior Lover 15. Inka Loreen Minden
Читать онлайн книгу.in die Augen, allerdings konnte sie keine Gefühlsregung in seinem Gesicht ablesen. Ihr Atem stockte dennoch. Nahm er sie bewusst wahr? Überlegte er, wieder über sie herzufallen?
Hör auf, ständig daran zu denken!, ermahnte sie sich. Titain war nicht er selbst, weder jetzt und auch nicht zuvor gewesen. Zudem hatte er von Cornelius den Befehl erhalten, dass er auf sie hören musste. Er würde ihr nichts mehr tun, außer ein Oberer oder jemand, der dieselbe Befehlsgewalt besaß, setzte ihre Berechtigung wieder außer Kraft.
Für einen Moment erlaubte sie sich, nah bei Titain stehen zu bleiben, um ihn sich genauer zu betrachten. Ja, er sah wirklich aus wie der Mann ihrer Träume. Er war einen halben Kopf größer als sie, was allein schon perfekt gewesen wäre, doch der gesamte Rest erschien ihr einfach nur anbetungswürdig. Nie zuvor hatte sie einen attraktiveren Mann erblickt. Am liebsten wollte sie die Fingerspitzen über seine sinnlichen Lippen gleiten lassen, um zu fühlen, ob sie so weich waren, wie sie aussahen, und danach über seinen restlichen Körper fahren. Doch da sie nicht wusste, ob ihm das überhaupt recht war, ließ sie es natürlich bleiben. Wäre er tatsächlich ein Android, würde sie sich trauen.
Als er plötzlich tief einatmete und sein intensiver Blick eine Nuance dunkler zu werden schien, wich sie schnell vor ihm zurück und sagte: »Zieh dich bitte an.«
An einem Haken hingen ein grünes T-Shirt sowie eine schwarze Hose, darunter, auf dem Boden, standen seine Schuhe. Während er sich ankleidete, drehte sie sich respektvoll um, bis sie hörte, dass er fertig war. »Folge mir.«
Sie führte ihn in den Agrar-Bereich und musste, um zu den Algenfarmen zu gelangen, zuerst durch die Hühnerfarm marschieren. Auf mehreren, etwa jeweils zwei Meter hohen, riesigen Plattformen, die sich wie gigantische Regale übereinander reihten, pickten Tausende Hühner auf dem kargen Boden herum. Gitterartige Zäune sorgten dafür, dass die weiter oben lebenden Tiere nicht auf den schmalen Weg herunterpurzelten. Zu fressen bekamen sie Algen, Seetang und Muscheln, aber auch Nahrungsabfälle. Diese süßen Viecher verputzten quasi alles und lieferten ihnen Eier und natürlich auch Fleisch. Dafür roch es hier aber auch richtig unangenehm und Pearl beneidete die Arbeiter nicht, die täglich die Ställe saubermachen mussten. Doch ihr machte der Gestank nichts aus, denn hier tobte das Leben, und sie hatte sogar ein aktuelles Lieblingshuhn: Jenny. Normalerweise rief sie das übergroße Federvieh mit dem lila Schopf immer zu sich, wenn sie an der unteren Etage vorbeiging, um es durch die Gitterstäbe zu streicheln, denn es machte so lustige Geräusche – ein glucksendes Gackern, das sich beinahe wie Lachen anhörte. Jenny war eine Mutation, die es hier immer wieder gab, eine friedliche dazu, die die anderen Hühner nicht angriff – was sie leider nicht davor bewahren würde, früher oder später auf den Tellern der Privilegierten zu landen. Für die Arbeiter gab es kein Fleisch, nur Fisch und Insekten, aber Letztere schmeckten Pearl ganz gut. Diese wurden in den höheren Etagen überwiegend in abgedunkelten Behältern gezüchtet. Die sehr proteinreichen Buffalowürmer waren eigentlich gar keine Würmer, sondern die Larven eines Käfers. Gefüttert wurden sie unter anderem mit Fischabfällen, weil das die Eierproduktion erhöhte und den Kannibalismus unter den Tieren eindämmte – hatte sie gehört. In der Kantine schnappte man immer alles Mögliche auf, und sie hatten ja außer ihrer Arbeit und ihren Lebensbedingungen sonst nicht viele Themen, über die sie reden konnten.
Heute lief Pearl stur an den Gattern vorbei auf die hintere Schleuse zu, ohne Jenny zu streicheln. Titain war schließlich nicht Koa, der sie und ihre Macken von klein auf kannte. Titains Anwesenheit war ihr ohnehin peinlich. Er hatte sie nackt gesehen! Zumindest ihre Brüste. Was ging ihm jetzt wohl durch den Kopf, während er folgsam hinter ihr herschlich? Er bewegte sich so leise und geschmeidig, dass sie ihn überhaupt nicht hörte. Doch seine Präsenz fühlte sie fast körperlich, als wären seine Blicke Laser, die sich in ihren Rücken bohrten. Zum Glück lag bereits die Schleuse vor ihr. Hinter der massiven Stahltür mit dem Bullauge befand sich eine kleine Zwischenkammer, die mit Meerwasser geflutet werden konnte, bevor sich die zweite Tür zu den Algenfeldern öffnen ließ. Titain musste, um dort draußen überleben zu können, einen Panzertauchanzug tragen, in dem derselbe Druck herrschte wie in der Stadt. Pearl hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn Koa dort hinaus musste. Zwar war über die Felder und Ernteroboter ein Netz gespannt, das sie vor den mutierten und teils sehr angriffslustigen Meeresbewohnern schützte, aber sie wusste nicht, wie lange diese Vorrichtung noch standhalten würde. Das aggressive Salzwasser nagte alles an, weshalb Pearl und ihre Kollegen immer wieder diverse Teile an den Erntemaschinen austauschen mussten. Mittels Schneiden an einem Laufband wurden die Algen geerntet und liefen danach sofort über ein Saugrohr in einen Sammelkorb. War der Behälter voll, dockten die elektronischen Helfer automatisch an der Kuppel an, um ihre Fracht abzuliefern. Dort wurden auch ihre Akkus geladen. Leider verhedderten sich die Erntehelfer des Öfteren irgendwo, sei es an der Ladebuchse oder auf dem Feld. Aber zum Glück gab es sie jetzt wenigstens. Früher hatte Koa oft stundenlang in dem massiven Tauchanzug die Algen ernten müssen.
Dieser Anzug stand gleich neben der Schleuse bereit und wurde regelmäßig von anderen Arbeitern gewartet. Das klobige Ding erinnerte Pearl ein wenig an die Anzüge von Astronauten. Diese kannte sie von Bildern und Filmen aus der Mediathek. Immer, wenn sie dort etwas reparieren musste, ließ sie es sich nicht nehmen, heimlich in den Archiven zu stöbern, die natürlich nur den Privilegierten zustanden. Zwar besaßen sie im Arbeiterbereich auch eine kleine Bibliothek, aber die Auswahl dort war sehr beschränkt, als wollten die Privs sie absichtlich dumm halten, damit sie bloß nicht auf verrückte Ideen kamen.
Den riesigen Helm des »Anzuges« ließ sie von Titain abnehmen und zur Seite stellen, weil sie selbst kaum so hoch kam und das klobige Teil auch recht schwer war. Danach öffnete sie den Anzug seitlich, damit sie ihn aufklappen und Titain sich hineinstellen konnte. Das ganze Teil war mit starken LED-Leuchten sowie zwei unabhängig voneinander arbeitenden Sauerstoffsystemen mit Kohlendioxidfilter ausgestattet. Das ausgeatmete Kohlendioxid wurde chemisch gebunden und der verbrauchte Sauerstoff aus der Flasche ergänzt. Theoretisch könnte Titain dadurch viele Stunden draußen bleiben, sie hoffte jedoch, dass er das Problem schnell lösen und Pearl ihn in seine Kammer zurückbringen konnte. Seine Anwesenheit verunsicherte sie. Allerdings mochte sie es auch, ihn bei sich zu haben. Dann musste er schließlich nicht, so wie Koa gerade, in seiner Kammer die nackte Decke anstarren. Beschäftigung lenkte Titain sicher von seinem »Zustand« ab, weshalb er bestimmt dankbar über die Abwechslung war. Und sie konnte währenddessen weiterhin überlegen, wie sie jetzt Koa, der ihr schon viel bedeutet hatte, als sie ihn noch für eine Maschine gehalten hatte, und Titain, diesen wahnsinnig sexy Kerl, der ihr die Augen geöffnet hatte, von der Steuerung befreien könnte. Leider hatte sie nach wie vor keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte.
Titain klopfte das Herz bis in den Hals. Pearl wollte ihn ernsthaft da raus schicken?
Solange sie bis ins kleinste Detail ausführte, wie er im Tauchanzug die pinzettenartigen Handstücke bedienen musste, damit er den Helm greifen und sich aufsetzen konnte, versuchte Titain, nicht in Panik zu verfallen. Zuletzt hatte er sich so extrem eingesperrt gefühlt, als ihn die Oberen in die »Kühlbox« verfrachtet hatten. Als er nun auch noch den Helm auf das Halsstück setzte und Pearl diesen mit dem Anzug verband, sodass er nun von der Außenwelt hermetisch abgeschottet war, glaubte er, zu ersticken – was natürlich nicht passierte. Die Steuerung regulierte seine Atmung und hinderte ihn daran, durchzudrehen.
Während Pearl ihm erklärte, wie er sich am besten in dem Mini-U-Boot fortbewegte, fragte er sich, warum sie sich nicht selbst in den Anzug zwängte, wenn sie doch alles besser wusste. Er hasste es, darin eingesperrt zu sein, und stand nur deshalb unbeweglich vor Pearl, weil ihn diese blöde Steuerung in seinem Nacken, die durch feine Drähte mit seinem Gehirn verbunden war, dazu zwang.
Pearl befahl ihm, durch die erste massive Tür zu gehen. Er hörte ihre Stimme über Lautsprecher in seinem Helm. »Über eingebaute Kameras kann ich sehen, was du siehst«, sagte sie. »Ich bin quasi immer bei dir.«
Er dachte gerade, dass er ihre Stimme angenehm fand und diese ihn beruhigte – als sich das massive Schott hinter ihm schloss. Nun stand er allein in der engen Schleuse, getrennt von Pearl, getrennt vom Rest der Stadt. Vor ihm lag eine weitere Tür, die direkt ins Meer führte. Durch das Bullauge erkannte er aber nur völlige Schwärze.
Was, wenn