Jedermannfluch. Manfred Baumann

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Jedermannfluch - Manfred Baumann


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und es gegen ein weißes getauscht. Sie rückte sich den gestreiften Ohrenfauteuil zurecht und nahm Platz. Dann hob sie das Glas mit dem Heidelbeerlikör. Sie hielt es zuprostend in Richtung Anrichte, wartete, bis das Licht der tänzelnden Flamme die lächelnden Augen auf dem Bild erreichten und aufhellten. Dann trank sie. In wohltuend langsamen Schlucken. Sie stellte das Glas wieder ab, lehnte den Kopf nach hinten. Ihre Augen ruhten auf dem Gesicht des jungen Mannes. So würde sie sitzen bleiben und still trauern. Bis in die Morgenstunden. So wie jede Nacht.

      7. Szene, Gegenwart

      Wo bist du Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.

      Der Schlag traf sie von der Seite. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie taumelte, spürte das niedrige Geländer. Jetzt hatte sie noch genau siebeneinhalb Sekunden zu leben. Doch das wusste sie nicht. Das Handy fest in der verkrampften Rechten, versuchte sie, mit der Linken nach der kniehohen Querverstrebung zu fassen. Es gelang ihr nicht. Noch sechs Sekunden. Sie verlor das Gleichgewicht, kippte zurück. Ihr Rücken schrammte gegen etwas Hartes. Noch vier Sekunden. Sie donnerte hinunter, krachte auf den steinfesten Untergrund.

      Drei. Zwei. Eins.

      Dann war es vorbei.

Erster Tag

      1

      Er hob den Kopf, fuhr sich wohl schon zum 20. Mal mit der Linken in das zerwühlte Haar. Der Digitalwecker auf dem kleinen Beistelltablett zeigt auf kurz vor fünf. Sollte er sich noch länger im Bett von der einen Seite zur anderen wälzen, sich gedankenlos durchs Haar fegen, gelegentlich dabei das starke Gähnen unterdrücken, wie er es schon seit zwei Stunden praktizierte? Merana hielt kurz inne. Dann richtete er sich ein wenig auf. Nein. Er bestärkte seinen Entschluss, indem er mit dem Oberkörper Schwung aufnahm und sich dann mit einem jähen Ruck aus dem Bett schnellen ließ. Die Tür des Kleiderschranks stand halb offen. Er langte nach T-Shirt und kurzer Sporthose. In der Küche schnappte er sich ein Glas Wasser. Im Vorraum schlüpfte er in die Laufschuhe, dann verließ er das Haus. Die Luft fühlte sich frisch an. Er wandte den Kopf nach Osten. Der breite goldfarbene Streifen am Himmel leuchtete schon intensiv. In einer guten Viertelstunde würde die Sonne die ersten Strahlen über den Horizont schicken, schätzte er. Auch heute würde ganz Salzburg sich über einen weiteren herrlichen Sommertag freuen dürfen. So wie schon seit gut einer Woche. Langsam nahm er Tempo auf, hielt sich nach rechts. Er würde heute eine der längeren Routen wählen, wollte noch vor der Aigner Kirche in einen Feldweg einbiegen. Normalerweise startete er seinen Morgenlauf zwischen sechs und halb sieben. Heute war er eben schon eine Stunde früher dran. Die noch weit entfernten Baumreihen waren dicht belaubt. Aber Merana kannte zwei Stellen, durch die man den Blick frei hatte auf die Konturen der Stadt, vor allem auf die herrliche Silhouette der Festung.

      Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte er seine enge Pinzgauer Heimat verlassen, um in Salzburg ein Studium anzufangen. Es hatte nicht lange gedauert, dann hatte er die Stadt bereits zu seinem Lebensmittelpunkt erkoren. Die Luft fühlte sich angenehm frisch an. Er begann, schneller zu traben. Wie oft hatte er dieses Panorama schon erblickt? Es war ihm nie alltäglich geworden. Er war jedes Mal aufs Neue fasziniert. Genauso wie beim Anblick des mächtigen Untersberges, der sich ihm auf der linken Seite bot. Wie ein großer Wächter sah er aus, der sanft sein breites felsiges Haupt zum Schutz der Stadt anhob. Plötzlich gewahrte Merana einen mittelgroßen Hund neben sich. Der gehörte wohl zu einem der Bauernhöfe oder einem der Privathäuser der näheren Umgebung. Eine ähnliche Rasse wie die von Wendy, stellte er fest. Nur das Fell war heller. Er dachte oft an die tapfere Hündin seiner Nachbarsleute. Wenn Wendy nicht gewesen wäre, würde Merana vielleicht gar nicht mehr über Feldwege laufen können. Wendy hatte ihm damals vermutlich das Leben gerettet. Sie hatte die Gefahr gewittert und war mutig auf den Rand des kleinen Wäldchens zugestürmt, das sich hinter seinem Haus erstreckte. Er hatte damals auf die dahinhetzende Hündin mit einer schnellen Bewegung reagiert. Dadurch hatte ihn die Kugel um Haaresbreite verfehlt. Und auch seine Nachbarin, die Wendys Namen rufend hinter dem Hund herlief, hatte nichts abbekommen. Leider hatte eine weitere Kugel dann die tapfere Wendy getroffen. Zum Glück war es nur ein Streifschuss gewesen. Auch diese Kugel war für den Kommissar gedacht gewesen. Die heimtückische Schützin wollte Merana davon abhalten, seine Ermittlernase noch tiefer in den damals aktuellen Fall zu stecken. Natürlich hatte der Kommissar weiter ermittelt und schlussendlich auch die Wahrheit ans Licht gebracht. Auch dank Wendy war ihm dies möglich gewesen, die ihm durch ihr Eingreifen vermutlich das Leben gerettet hatte. Der schnüffelnde Hund neben ihm hatte offenbar genug von seiner Gesellschaft. Er bog kläffend ab, hielt auf die Häusergruppe zu, die von der Kirche und den Gebäuden des alten Schlosses gebildet wurden. Wenn es sein Dienst erlaubte, würde er bald wieder Wendy abholen und sie mit nach Hellbrunn nehmen. Sie liebte es, zusammen mit Merana durch das Gelände der weit angelegten Parks zu traben. Er liebte es auch. Selbstverständlich hielt er Wendy dabei an der Leine.

      Wenn er das eingeschlagene Tempo beibehielt, würde er in einer knappen Dreiviertelstunde zurück sein. Er würde duschen und sich dann umziehen. Er würde sich ein ausgiebiges Frühstück gönnen, ehe er zum Dienst aufbrach. Sein erster Termin war für halb acht angesetzt. Polizeipräsident Hofrat Günther Kerner wollte sich noch kurz mit ihm besprechen. Es ging um das wichtige Treffen, das die Vertreter des Innenministeriums für zehn Uhr angesetzt hatten. Es gab neue Erkenntnisse zum brisanten Thema, das den gesamten Apparat der Sicherheitskräfte schon seit knapp drei Wochen intensiv beschäftigte. Angekündigt waren mögliche Terroranschläge im Umfeld der Salzburger Festspiele. Beim heutigen Treffen des Innenministeriums und bei allen sich daraus ergebenden Maßnahmen hatte der Leiter der Salzburger Kriminalpolizei sich intensiv einzubinden. Das wollte das Innenministerium, und vor allem bestand sein Chef darauf. Also würde Merana dem Folge leisten. Vielleicht waren es die Gedanken über die möglichen Szenarien der in den Raum gestellten Terrorgefahr. Vielleicht war es auch einfach das Behagen an der prachtvollen Landschaft ringsum, die sich beim Aufgang der Sonne noch intensiver präsentierte. Wie auch immer. Er begann rascher zu laufen. Seine Füße eilten in weitaus schnellerem Tempo über den eingeschlagenen Weg als beabsichtigt. Somit stand er schon zehn Minuten vor sechs unter der Dusche. Er hatte sich eben den ersten Espresso genehmigt, überlegte kurz, ob er sich nur einfache Spiegeleier oder doch ein pikantes Rührei mit Ziegenkäse und Speck zubereiten sollte, als sein Handy anschlug. Es war Abteilungsinspektor Otmar Braunberger, einer seiner engsten Mitarbeiter. Merana hörte fünf Minuten zu, dann legte er das Handy zur Seite. Es gab einen mysteriösen Todesfall, wie er eben erfahren hatte, möglicherweise handelte es sich dabei sogar um einen Mord. Thomas Brunner und seine Spezialisten aus der Tatortgruppe waren bereits unterwegs. Und der Chef der Salzburger Kriminalpolizei hatte höchstpersönlich die Ermittlungsleitung zu übernehmen. Das war ein klarer Auftrag des Herrn Polizeipräsidenten, wie Otmar Braunberger ihm versichert hatte. Um das Meeting mit den Spezialisten des Innenministeriums hatte sich ab sofort Meranas Stellvertreterin zu kümmern, Chefinspektorin Carola Salman. Der Kommissar streckte die Hand aus, drückte die Off-Taste am E-Herd. Also kein aufwändiges Rührei. Auch keine Spiegeleier. Er griff nach der leeren Tasse. Ein zweiter Espresso ging sich in jedem Fall noch aus. Dann würde er sich sofort auf den Weg machen, direkt in die Salzburger Innenstadt. Und er würde sich einen Haferflockenriegel in die Tasche stecken.

      2

      Den ersten Streifenwagen der Kollegen machte er schon am Kajetanerplatz aus, direkt vor den Pollern und der Schranke, die die Zufahrt zur Kaigasse absperrten. Er parkte sein Auto daneben. Ein uniformierter Kollege hob grüßend die Hand an die Kappe. »Guten Morgen, Herr Kommissar.«

      »Guten Morgen.«

      Er kannte den jungen Beamten. Er war österreichischer Nationalmeister im Taekwondo. Das war eine koreanische Kampfsportart, wie Merana bekannt war. Auch seine Kollegin Carola Salman war sehr versiert darin. Auch sie trug den Schwarzen Gürtel, so wie der junge Beamte. Die Stimme des Kollegen hatte einen respektvollen Ton, klang fast ehrfürchtig. Vielleicht ist das so, wenn man seinen Posten in unmittelbarer Nähe einer Kirche zu beziehen hat, dachte er. Und es war zudem ein prachtvolles Gotteshaus, das den Rand des großen Platzes säumte. Der dreigeschossige Flügelbau mit den eindrucksvollen Säulen und Pilastern erinnerte daran, dass die Kirche einst Teil einer Klosteranlange im späten 17. Jahrhundert war.

      Die


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