Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger

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Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger


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maß er Oberleutnant Weissenbacher, der nun ebenfalls aus dem Erdbunker gekrochen kam. Das Schwein hatte tatsächlich noch ordentliche Stiefel an. Zach verfluchte im Geiste seinen Kompaniekommandanten. Er selbst verrichtete seit Wochen nur mehr in notdürftig zusammengebundenen Lederfetzen seinen Dienst im Schützengraben. Ich sollte ihm in der Nacht die Stiefel fladern1. Aber was würde das helfen? Nichts, denn am Morgen würde der feine Herr Oberleutnant mich zur Verantwortung ziehen. Entweder, indem er mich während des ärgsten Feindbeschusses ins Feuer hetzen oder mir auf der Stelle eine Kugel in den Schädel jagen würde. Ich müsste ihn umbringen. Umbringen und mich dann päulisieren2

      »Soldaten! Männer! Ihr werdet Zeugen eines historischen Ereignisses werden …« Oberleutnant Weissenbacher machte eine kunstvolle Pause, bevor er fortfuhr: »Der Kaiser höchstpersönlich wird an die Front kommen und unser Bataillon visitieren. Davon werdet ihr noch euren Kindern und Enkelkindern erzählen können.«

      »Husak und Zach, holt’s Munition! Alle anderen auf ihre Gefechtsstellungen! Die Katzelmacher greifen an!«

      Dem Befehl des Oberleutnants gehorchend, krochen Zach und Husak zum Munitionsbunker. Detonierende Granaten, Splitter, Dreck, Staub, bebende Erde. Schreie, Gewehrfeuer, Rauch, Inferno. Im Munitionsbunker angekommen, verschnauften beide für einige Augenblicke. Zach musterte Husak und brummte:

      »Verkriech ma uns einfach, bis alles vorbei ist?«

      »Wird nix helfen. Wenn unsere haben ka Munition, dann werden Katzelmacher uns überrennen. Dann sind ma tot.«

      »Und wenn ma jetzt rauskriechen mit den Munitionskisten?«

      »Dann sind ma vielleicht auch tot. Aber vielleicht a net. Meglicherweise überleb ma. Und können sehen den Kaiser.«

      Zach schnappte eine Munitionskiste und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor:

      »Scheiß auf den Kaiser!«

      Das Reservebataillon traf in der Nacht ein. Und so setzten sich unter dem Kommando von Oberleutnant Weissenbacher und Major Novotny die Reste des Bataillons in Richtung Aldeno in Bewegung. Im Morgengrauen des 13. Septembers kamen sie in dem Winzerdorf an, wo sie bereits von einigen Stabsoffizieren nervös erwartet wurden. Hundemüde kampierten sie auf einer Wiese. Zach sah sich um und murmelte:

      »Wenn ich mich so umschau, muss ich feststellen, dass wir ein trauriger Haufen sind. Unterernährt, in Lumpen gehüllt und stark dezimiert. Bin gespannt, was der hohe Herr dazu sagen wird.«

      Husak nickte müde:

      »Recht hast. Schaun wir sehr traurig aus. Vor allem man sieht, dass Bataillon große Verluste gehabt hat. Nur mehr 50 Mann oder weniger haben manche Kompanien.«

      »Bestenfalls 50. Manche haben nur mehr 20 …«

      Und während Zach und Husak im Gras liegend vor sich hin dösten, marschierten nach und nach kleine Gruppen von Soldaten an. Alles keine Frontsoldaten, sondern Offiziersdiener und Mannschaften aus den Versorgungs- und Nachschubkompanien: Schuster, Schneider, Tragtierführer, Pferdewärter und Köche. Letztere erkannte Zach an ihren Bäuchen. Plötzlich fuhr mit dröhnendem und qualmendem Motor ein Lastkraftwagen vor. Er hielt an, ein Oberst stieg aus, sah sich um und begann zu brüllen:

      »Fix Laudon noch einmal! Was ist das hier für eine Sauwirtschaft? Kann keiner mehr grüßen?«

      Die am Boden liegenden Soldaten erhoben sich mühsam, der Oberst füllte die Lunge mit Luft und tobte weiter:

      Alle standen stramm. Die Blicke gesenkt. Der Oberst schritt in frisch gebügelter Uniform und mit blank geputzten Stiefeln die Reihe der müden Soldaten ab. Vor der mittlerweile recht großen Gruppe der Neuangekommenen, die durch die Bank besser ernährt aussahen und vor allem nicht in Uniformlumpen gehüllt waren, blieb er stehen und befahl:

      »Ihr bildet die ersten beiden Reihen. Ihr schaut einigermaßen respektabel aus.«

      Dann machte er auf dem Absatz kehrt und gab den Frontsoldaten folgenden Befehl:

      »Ausziehen! Alles ausziehen!«

      Die Männer sahen einander verwundert an, gehorchten jedoch. Und während immer mehr von ihnen pudelnackt auf der Wiese standen, holten der Lastwagenfahrer und ein Feldwebel stapelweise neue Uniformwesten und Hosen, Stiefel sowie neue Tschakos aus dem Lastkraftwagen. Nach Größe sortiert, wurden sie in der Wiese aufgestapelt. Dann ertönte der Befehl an die Nackten, neue Uniformen auszufassen. Husak murmelte:

      »Da schau her, Majestät schenkt uns neiche Kleider.«

      »Kompanien, antreten!«

      Der Oberst hatte einen blutroten Schädel und brüllte, was das Zeug hielt.

      »Marsch, marsch, ihr faules Pack! Bagasch! Gsindl miteinander!«

      Just in dem Augenblick, als die Kompanien des Bataillons Aufstellung genommen hatten, erschien die Wagenkolonne des Kaisers. Die Automobile hielten, Generalstabsoffiziere, Adjutanten, Chauffeure wuselten diensteifrig umher. Kaiser Karl stieg aus seinem Wagen. Schlank und rank, in tadellos gebügelter Uniform, an den Händen elegante Lederhandschuhe, an den Füßen blitzblank gewienerte Stiefel. Seine Backen schimmerten rosig, der schmale Oberlippenbart war sorgfältig gestutzt. Der Oberst salutierte und meldete, dass das Bataillon vollständig angetreten sei. Des Kaisers Blick schweifte über die Mannschaft. Er nickte und bemerkte anerkennend:

      »Sehr gut. Wie ich sehe, hat das Bataillon während der letzten Gefechte kaum Verluste erlitten. Sehr brav. Weiter so.«

      In der kommenden Stunde schritt der Kaiser das Bataillon Zug um Zug ab, blieb vor jedem Mann einige Sekunden stehen und brabbelte in einem fort Floskeln wie:

      »Sehr gut! Aha! Sehr brav! Nur weiter so!«

      Als er vor Zach stehen blieb und ihn für einen Sekundenbruchteil ansah, hatte Zach das Bedürfnis, ihm ins Gesicht zu spucken. Aber es kam nicht dazu. Als er genügend Spucke in seinem ausgetrockneten Mund gesammelt hatte, war der Kaiser schon ein ganzes Stück weiter. Vor Zach stand gerade ein Generalleutnant mit schiefem Gesicht, geöltem Haar und neckisch


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