Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger
Читать онлайн книгу.target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_f070e212-8dc9-5154-9d5b-f021ec26b866">1 stehlen
2 verduften
3 Italiener
4 töten
5 Gesindel
6 herum
7 dünne Menschen
Prolog II
Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger wurde die Lage der Monarchie. Zur großen Sorge ob der wachsenden Feindseligkeit der slawischen Nationen gegen den Staat, kamen die kaum geringeren Besorgnisse über die Haltung der unterernährten, rechtlosen und deshalb immer unzufriedener werdenden Arbeiter in der Kriegsindustrie.
Zitat aus: Julius Deutsch, Ein weiter Weg – Lebenserinnerungen, Amalthea Verlag, Zürich-Leipzig-Wien, 1960.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Amalthea Verlages
10. Jänner 1918
Goldblatt war müde und fühlte sich gar nicht wohl. Im Kriegspressequartier hatte er den Tag damit zugebracht, Artikel zu redigieren, zu überarbeiten und umzuschreiben. Im Prinzip hatte er Schönfärberei des Kriegsverlaufs und der militärischen Erfolge der k. u. k. Armee und ihrer Verbündeten produziert. Eine Lüge nach der anderen, dachte Goldblatt, als er in den Ringwagen einstieg. In der Tramway herrschte ein unglaubliches Gedränge, die Scheiben waren angelaufen und es stank. Er fuhr den Ring vor bis zur Station Babenberger Straße, wo er ausstieg. Das letzte Stück zum Café Sperl legte er zu Fuß zurück. Als er eintrat, sah er sich nach dem Oberinspector um. Der saß nicht auf seinem Stammplatz, sondern einen Tisch weiter.
»Nechyba, ich begrüße Sie!«
Der Angesprochene sah kurz von der Zeitung auf und murmelte:
»Grüß Sie, Goldblatt! Nehmen S’ Platz!«
Goldblatt setzte sich und rief dem vorbeigehenden Ober zu:
»Das Übliche, Herr Franz!«
»Sehr wohl, Herr Leutnant!«
Goldblatt holte seine Tabatiere heraus und zündete sich eine Zigarette an. Seitdem er Soldat war, rauchte er wieder. Nicht manisch, aber ab und zu, wenn er Gusto hatte. So wie jetzt zum Beispiel, um sich zu entspannen und um seine Arbeit, die ihm zutiefst zuwider war, zu vergessen. Das gelang aber nicht, denn Nechyba ließ die Zeitung, es war die ›Neue Freie Presse‹, sinken und klopfte mit dem Zeigefinger auf einen Artikel.
»Ich hab’ mir gerade die 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson angesehen. Die Bedingungen, unter denen er Frieden schließen will. Hier ist genau definiert, wie er sich die Nachkriegsordnung vorstellt.«
»Nechyba, ich bitt’ Sie! Hören S’ mir auf mit der Politik und dem Krieg! Können wir nicht über etwas Privates plaudern?«
Der Ober kam und servierte dem Leutnant seinen Goldblatt8. Der nippte an dem heißen Gebräu, nahm einen Zug von seiner Zigarette und blies eine schlanke Rauchsäule in die Luft. Nechyba beobachtete ihn und dachte sich, jetzt hätte ich Lust auf eine Virginier. Da ihm aber das Rauchen ärztlicherseits streng verboten worden war, unterdrückte er den Impuls.
»Also gut, Goldblatt, erzählen S’ mir was Privates.«
Der Leutnant machte einen langen Zug von der Zigarette und begann dann zu erzählen:
»Wie Sie wissen, ist meine Lebensgefährtin, Judith von Zweytick, Malerin. Und da ich letztes Jahr eine Zeit lang mit dem Kunstmaler Egon Schiele in der Konsumanstalt für die Gagisten9 der Armee im Felde zusammengearbeitet habe, machte ich die beiden miteinander bekannt. Das führte dazu, dass sich eine Freundschaft entspann. Egon Schiele, der derzeit ungeheure Anerkennung von allen Seiten erfährt, entwarf nicht nur das Plakat für die 49. Ausstellung der Secession, die jetzt im Februar stattfindet, sondern stellt dort 29 Gemälde sowie 19 Zeichnungen aus.«
»Da kann man ihn ja nur beglückwünschen. Aber was hat das mit Ihrer Lebensgefährtin zu tun?«
»Nun, dank Egon Schiele wurde sie in die Gemeinschaft der Secessionisten aufgenommen und präsentiert bei dieser Ausstellung erstmals zwei ihrer Ölgemälde der Öffentlichkeit.«
»Na, da gratuliere ich, lieber Goldblatt! Das ist übrigens die erste erfreuliche Nachricht heute.«
»Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«
»Lauter ungute Sachen im Bureau. Aber damit hab’ ich zu leben gelernt. Was mir allerdings wirklich an die Nieren geht, ist das da.«
Neuerlich tippte Nechyba mit dem Zeigefinger auf die Seite 2 der ›Neuen Freien Presse‹.
Goldblatt warf einen Blick auf den Artikel und sagte dann gelangweilt:
»Seit wann interessieren Sie sich für die Politik des amerikanischen Präsidenten?«
»Das kann ich Ihnen schon sagen: Seit Präsident Wilson uns den Krieg erklärt hat und sich massiv in unsere Angelegenheiten einzumischen beginnt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Da! Da lesen S’ den Punkt zehn! Bei dem wird mir angst und bang.«
Goldblatt nahm die Zeitung und las besagten Punkt langsam und laut vor:
»Den Völkern Oesterreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, soll die erste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung gewährt werden.«
Er ließ die Zeitung sinken, nahm einen Schluck Kaffee und machte einen letzten Zug von seiner Zigarette. Dann murmelte er:
»Das wäre das Ende Österreich-Ungarns.«
Nechyba nickte:
»Das seh’ ich auch so.«
8 schwarzer, kurzer Kaffee mit Trebernschnaps
9 Offiziere
15. Jänner 1918
Was zum Kuckuck war das?
Aurelia war heute schon früher nach Hause gekommen und hatte Abendessen gekocht. Nechyba, der mit einem Bärenhunger an den heimischen Herd zurückgekehrt war, hatte seine Frau liebevoll umarmt und sich einfach nur gefreut: dass Aurelia schon da war, dass es in der Wohnküche wohlig warm war und dass das Abendessen auf dem Herd in einem Reindl10 leise vor sich hin blubberte. Er hatte die Gummigamaschen ausgezogen, war aus seinen knöchelhohen Schnürschuhen heraus- und in die Hauspatschen11 hineingeschlüpft. Sakko und Gilet12 waren auf einem Haken fein säuberlich aufgehängt worden. Danach hatte er sich von der Krawatte und dem steifen Hemdkragen befreit, das Hemd aus- und den bequemen Hausmantel angezogen. Von Aurelia waren inzwischen zwei Teller mit dampfendem Inhalt auf den Küchentisch gestellt worden. Mit einem zufriedenen Lächeln und einem wohligen »Ahhh …« war er auf den Küchensessel geglitten, hatte zum Löffel gegriffen − und dann das!
Was