Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger

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Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger


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Fleisch? An dicke, weich gekochte Speckstücke, die sich im Mund so herrlich gallertartig anfühlten und die einen zarten Räuchergeschmack am Gaumen hinterließen, war in Zeiten wie diesen sowieso nicht zu denken. Aber eine Bohnensuppe ohne irgendein Fuzerl13 Fleisch war eine Zumutung.

      »Nechyba, was hast denn? Was rührst denn in deinem Teller umadum?«

      »Es ist noch sehr heiß …«, log Nechyba.

      »Suchst vielleicht a Wurst- oder ein Fleischstückerl?«

      Der Oberinspector sah seine Frau wie ein ertappter Lausbub an und grinste beschämt.

      »Beides ist in diesem Rezept net vorgesehen.«

      »Was is’ denn das für a Rezept?«

      »Bohnen mit Paradeis? Aha. Woher hast denn dieses Rezept?«

      »Aus einem gerade erschienenen Büchl, das, was ›Zeitgemäße Kriegsküche‹ heißt.«

      Aurelia sah ihren Mann fragend an und schüttelte den Kopf.

      »Wem sagst du das?«, seufzte Aurelia und begann, die Bohnen mit Paradeis zu essen. Nechyba saß wie ein trotziges kleines Kind da, sah sie vorwurfsvoll an und brummte:

      »Was ist denn da drinnen?«

      »Wo hast denn die Paradeiser her?«

      »Die hat uns deine Cousine letzten Sommer mitgegeben, als wir sie draußen in ihrer Gärtnerei besucht haben. Daraus hab’ ich a Sauce gekocht und die hab’ i dann eingerext. Als eiserne Reserve. Zwei Gläser hamma noch.«

      Nechybas Magen brummte. Er sah verzweifelt auf seinen immer kleiner werdenden Bauch, seufzte voll Resi­gnation, griff zum Löffel und begann mit Todesverachtung die Bohnen mit Paradeis in sich hineinzuschaufeln. Nach etwa der Hälfte hielt er inne und streichelte über Aurelias linke Hand, die schwer und müde auf dem Tisch lag.

      »Schmeckt gar nicht so übel. Obwohl ka Fleisch drinnen is’.«

      Nun seufzte auch Aurelia.

      Nechyba aß auf. Und weil es ihm nun doch recht gut geschmeckt hatte, wischte er mit dem Zeigefinger den Teller aus und schleckte ihn anschließend genussvoll ab. Aurelia sah ihm irritiert zu, beschloss aber, ihn nicht zur Ordnung zu rufen. Stattdessen sagte sie mit verzagter Stimme:

      »Ich bin verzweifelt. Ich weiß wirklich nicht, wie ich den Appetit meines Dienstgebers auf Fleisch stillen kann.«

      Nechyba lehnte sich zurück und ließ einen fahren. Die Bohnen beginnen ihre Wirkung zu entfalten, dachte er. Und als er so entspannt mit leidlich gefülltem Magen dasaß, kam ihm eine Idee:

      »Ich könnt’ mit dem Guadn reden …«

      »Mit dem Karminsky?«

      19. Jänner 1918

      Der Oberinspector genoss mit Bedacht sein Gabelfrühstücksbier, als das Telefon läutete.

      »Himmelherrgott!«

      Er wischte sich den Bierschaum aus dem mächtigen, aufgezwirbelten Schnurrbart, hob den Hörer ab und brummte:

      »Ja?«

      »Nechyba, guten Morgen! Schober spricht.«

      »Guten Morgen, Herr Doktor.«

      »Ich bräuchte Sie dringend bei mir in der Polizeidirektion. Könnten Sie herüberkommen?«

      »Wann, Herr Doktor?«

      »Sofort. Wenn es sich bei Ihnen einrichten lässt …«

      »In zehn Minuten? Ist das in Ordnung?«

      »Wunderbar. Bis gleich.«

      Nechyba legte den Hörer auf und starrte das Telefon feindselig an. Wenn er irgendwas in dieser Welt ändern könnte, dann würde er zuallererst das Telefon abschaffen. Diese Telefonie war wie eine Krankheit, die sich immer mehr ausbreitete. Monat um Monat gab es mehr Apparate und damit mehr Möglichkeiten zu telefonieren. Diese neumodische Art zu kommunizieren wuchs sich zu einer Manie aus. Krethi und Plethi griffen zum Telefon und tratschten miteinander. Unablässig klingelte der Apparat. Niemals gab er Ruhe. »Abschaffen!«, brummte Nechyba. »Dieser Blödsinn gehört abgeschafft!« Mit zwei langen Zügen trank er das Bier aus und rülpste lautstark. Sofort wurde die Bureautür geöffnet und sein Assistent Pospischil trat ein.

      »Darf ich abservieren?«

      »Ich muss rüber in die Polizeidirektion. Wahrscheinlich komm ich erst wieder nach Mittag zurück.«

      »Jawohl, Herr Oberinspector.«


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