Blutdorf. Rolf Eversheim

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Blutdorf - Rolf Eversheim


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kamen. Lambrecht kam es so vor, als trieben sie es nur außerhalb der Ehe. Ihn ekelte. Und dann der Umgang mit der Natur: Jeder Quadratzentimeter Erde wurde ausgelutscht und mit Klärschlamm und Gülle aus Holland vollgepuddelt. Was eben ging, wurde als Bauland ausgewiesen. Glücklich, wenn man mit der Familie des Bürgermeisters verwandt war. Pech, wenn man sich erdreistete, ihm zu widersprechen.

      Das Dorf hatte so manchen Bürgermeister kommen und gehen sehen, doch der jetzige war der Unheimlichste. In allem vertrat er extreme Ansichten. Nie war er bereit, auch nur einen Millimeter von seiner Meinung abzuweichen. Wenn es nicht in sein Weltbild passte, ignorierte er Sachargumente vollständig. Seine Welt war das Dorf – und dessen Grenzen markierten die Grenzen seines eigenen Horizontes. Lambrecht konnte nicht einmal sagen, dass Heinrich Meier bewusst bösartig war. Mit seiner Art und immerwährenden Rastlosigkeit hatte er unbestritten auch einiges für das Dorf erreicht – und die Polarisierung dabei bewusst in Kauf genommen. Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein schien sein Motto zu sein.

      Heinrich Meier schien allerdings einer der wenigen im Dorf zu sein, der eheliche Treue übte. Vielleicht, weil er seine Frau liebte. Aber das taten andere, die unterm Zaun grasten, auch. Womöglich aus Prinzip. Sein Vater hatte den Ältesten bestimmt auch moralisch eingenordet. Vielleicht auch deshalb, weil er alles an sich zog, ihm die Aufgaben ständig immer mehr über den Kopf wuchsen und er deshalb weder Zeit noch Gelegenheit hatte, sich anderweitig umzuschauen. Jedenfalls würde er die drohenden Blicke am Sterbebett des alten Meier nie vergessen. Was musste die alte Meierin auch ihr Familiengeheimnis bei ihm beichten. Er hatte es gar nicht wissen wollen. Jetzt begleitete es ihn auf Schritt und Tritt.

      Lambrecht hatte gelernt, vorsichtig zu sein. Sein Versetzungsgesuch war schon zweimal in Trier abgelehnt worden – und jedes Mal wusste das Dorf es vor ihm. Das hatte ihn viel Autorität gekostet. Er hatte gelernt, mit den Wölfen zu heulen, denn so lebte es sich leichter, als gegen den Strom zu schwimmen. – In diesem Dorf hatte niemand eine Chance, damit zur Quelle zu kommen. Doch am vergangenen Sonntag war ihm der Kragen geplatzt und er hatte sich auf der Kanzel in Rage geredet. Der Restalkohol, den er vom formidablen Besäufnis mit dem einzigen Menschen, dem er wirklich vertraute, noch in der Umlaufbahn hatte, dürfte dabei ausschlaggebend gewesen sein. Nun war sie raus, seine Schimpfkanonade auf die doppelte Moral und die Verlogenheit im Dorf: »Wenn ihr wollt, dass dieses verfluchte Land wieder heilige Erde wird, dann kehrt um und kommt zur Beichte!« Was hatte er nur für einen Stuss gepredigt. Worte waren wie Pfeile: Einmal abgeschossen kann man sie nicht mehr zurückholen. Ett es wie et es, dachte Lambrecht. und et hätt noch emmer joot jejangen. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Lambrecht versuchte, seine Angst zu verdrängen.

      Vielleicht kam ja tatsächlich einmal jemand zur Beichte. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben. Seit fast zwanzig Jahren saß er jeden Werktagabend von 19: 00 bis 20: 00 Uhr im Beichtstuhl – auch wenn seit Jahren niemand mehr kam, außer dem ein oder anderen Mütterchen, das eh nichts ausgefressen hatte. Zuletzt kamen selbst die nicht mehr, aber Lambrecht blieb seiner Gewohnheit treu, vor allem deshalb, weil er im Beichtstuhl wirklich seine Ruhe hatte. Er las im Brevier oder meditierte. Meistens nahm er sich allerdings einen Eifelkrimi mit. Dort störte ihn wenigstens niemand.

      Doch was war das? Es war noch jemand in der Kirche. Die Kirchentür hatte zwar nicht geknarrt, aber Pfarrer Lambrecht spürte es sicher. Er schlug den Krimi leise zu, knipste die kleine Lampe im Beichtstuhl aus und lugte vorsichtig in das Dunkel hinaus. Schritte kamen näher. Da schien wirklich jemand zur Beichte zu kommen. Lambrecht konnte es nicht glauben. Gottes Mühlen mahlten langsam aber sicher. Doch wenn der da draußen nicht durch die Tür gekommen war, musste er das Geheimnis kennen. Lambrechts Angst wuchs. Es waren nicht mehr viele, die das Geheimnis kannten, und die waren zu allem fähig – außer zum Beichten.

      Die Schritte kamen näher und langsam nahm der dunkle Schatten menschliche Gestalt an. Dem Pfarrer stockte der Atem. Das konnte nicht sein! Das war unvorstellbar! Rasch zog er sich in den dunklen Beichtstuhl zurück, um den Schein der Anonymität zu wahren, die dem Besucher ein Gefühl der Sicherheit gab. Vielleicht geschahen ja doch noch Wunder und er wollte die Beichte bei ihm ablegen.

      Als Lambrecht merkte, dass sein Mörder die Tat, die er hätte beichten können, wenige Augenblicke später beging, war es zu spät. Pfarrer Lambrecht würde niemandem mehr die Absolution erteilen.

       7. Kapitel

      Das Wochenendhausgebiet Im Strohdell, am oberen Ortsrand von Königsfeld gelegen, war wie geschaffen für ihre Unternehmungen. Was immer sich die Verantwortlichen seinerzeit dabei gedacht haben mochten: Strohdell war ein Eldorado für alles, was niemanden etwas anging – nicht einzusehen, versteckt, kein Publikumsverkehr, ausschließlich unbefestigte Wege, keine Spaziergänger und nur wenige Mitbewohner, die ebenfalls in der Regel darauf bedacht waren, möglichst wenig Kontakt zu den anderen zu haben. Nichts sehen und nicht gesehen werden lautete das inoffizielle Motto der Siedlung.

      Dabei war es Zufall gewesen, dass er das Haus in der Siedlung erworben hatte, und dem glücklichen Umstand geschuldet, dass ein älterer alleinstehender Mann plötzlich ins Pflegeheim musste. Dessen Familie hatte sein Wochenendhaus, das ihm als Wohnsitz gedient hatte, gern gegen Bargeld verkauft – und Bargeld hatte er immer.

      Fritz Meier war stolz auf seinen Coup. Sollten seine Brüder sich doch auf dem maroden Hof kaputtschuften, er war aus der Nummer raus. Nachdem der Alte gestorben war, hatte er noch eine Anstandsfrist von einem Jahr gewahrt, dann war er vom Meier-Hof weggezogen und hatte seitdem unter keiner Kuh mehr gelegen. Es war absolut sinnlos, immer mehr zu schaffen, damit durch noch mehr Selbstausbeutung die fallenden Erzeugerpreise für Milch und Fleisch ein Stück weit aufgefangen wurden. Sein ältester Bruder hatte Zeter und Mordio geschrien, doch der konnte ihm nichts mehr. Mit dem Tod des Alten hatten sich die Machtverhältnisse auf dem Meier-Hof neu sortiert.

      Das kleine Wochenendhaus mit dem Flachdach war zwar in keinem besonders guten Zustand gewesen, als er es gekauft hatte, aber das war ihm egal. Dafür lag es am Kohlweg und nicht in einer der Sackgassen, wie die meisten der anderen Häuser. – Ein guter Fuchsbau hatte immer zwei Ausgänge. Als Erstes hatte er das Haus mit Alarmanlagen und Überwachungskameras gesichert, denn Fritz Meier hatte etwas gegen unangemeldeten Besuch. Also bei sich. Er hatte sich parallel eine bürgerliche Existenz aufgebaut, damit niemand auf dumme Gedanken kam. Da Beziehungen nur dem schaden, der keine hat, war es ihm gelungen, eine Anstellung beim Ordnungsamt der Stadt Bad Neuenahr zu bekommen. So war er nicht nur über jeden Verdacht erhaben, sondern bekam auch während seiner Dienstzeit ganz viele Informationen darüber, wie und wo er sich nach Dienstschluss noch einmal umsehen sollte.

      Seine Geschäfte, wie er es nannte, liefen richtig gut; viel besser und vor allen Dingen viel leichter als erwartet. Er hatte lange überlegt, welchen Geschäftspartnern er trauen konnte, und sich dann für einen Antiquitätenhändler aus Belgien und eine handfeste Schönheit aus Polen entschieden, die ganz offiziell in Bad Neuenahr ein kleines Massageinstitut mit dem vielversprechenden Namen Karma-Massage betrieb – Happyending inbegriffen. Helena hatte ein goldenes Händchen, präziser gesagt: ein goldenes Füßchen. Ihre Kunden liebten sie. Ob nackt, in Nylons, Socken oder in High Heels: Helena war vielseitig begabt. So manche Senioren, die der Tristesse ihrer Auffanglager für ein paar Augen- und Lichtblicke entflohen, schätzten es. Jedenfalls brachte es mehr Entspannung als der Besuch im Spielcasino, dessen gute Zeiten genauso lange zurücklagen wie die der Alten. Alle drei hätten sie ein genügsames bürgerliches Leben mit ihren Berufen führen können, doch das wollte keiner von ihnen. Sie hatten Lust auf Reichtum und auf ein Leben abseits von Kleinbürgern und Spießigkeit. Obwohl … Eine Ausnahme gab es.

      Zufrieden öffnete Fritz ein Bitburger Stubbi. Dem Bier aus der Heimat blieb er treu, so wie die meisten Eifeler. Sollten die anderen doch das Gebräu von Oettinger in sich reinschütten. Das war vielleicht ein Premiumbier für die Schneckenfallen, für den menschlichen Verzehr aber war es höchstens in Ausnahmefällen geeignet. – Er konnte sich allerdings so einen Fall nicht vorstellen. Die Tagesschau fing gerade an, als er den ersten tiefen Schluck aus der kleinen bauchigen Flasche nahm.

      Mitten in diesen Genuss hinein meldete sich sein Handy mit dem Klingelton Live is life, den er den Anrufen


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