Blutdorf. Rolf Eversheim
Читать онлайн книгу.wird man ja wohl auf den ersten Blick erkennen können, ob die gefundene Person mit der auf dem Personalausweis identisch ist!«, erwiderte Fröhlich säuerlich.
»Nicht, wenn eine Rotte Wildschweine sich darüber hergemacht hat.«
Westenhoffs knochentrockene Art konnte nicht jeder gut ab, Fröhlich jedoch schätzte sie. »Sie sind ja vielleicht drauf, Herr Oberstaatsanwalt. Und dann haben Sie mit den Koblenzern vereinbart, dass wir uns kümmern?«
»Genau so.«
»Die lachen sich doch jetzt einen Ast ab. Die sind einen Sau-Fall los und wir haben ihn an den Hacken. Herzlichen Glühstrumpf.«
»Nun fahren Sie sich mal wieder runter, Fröhlich. Ein bisschen frische Luft wird uns beiden ganz guttun. Schauen wir uns die Sache doch erst mal genauer an.« Der Oberstaatsanwalt war noch ganz optimistisch.
»Polizeihauptkommissar Gerhard Teufel von der Polizeiinspektion Bad Neuenahr«, stellte sich der dienstranghöchste Polizist vor, der bisher vor Ort alles geregelt hatte.
»Ich dachte, hier wäre die Polizeiinspektion Remagen zuständig«, wunderte sich Fröhlich, nachdem er und Westenhoff sich vorgestellt hatten.
»Und ich dachte, die Staatsanwaltschaft Koblenz wäre hier zuständig«, lachte Teufel. »Nein, im Ernst, wir sind natürlich informiert, dass Bonn den Fall übernimmt, wenn der Tote dort den ersten Wohnsitz hat. In Königsfeld sind wir aus Neuenahr zuständig. Die Kollegen aus Remagen sind für das Brohltal ohne die Ortsgemeinden Schalkenbach, Königsfeld, Spessart, Kempenich, Weibern und Hohenleimbach zuständig. Die können jedenfalls froh sein, dass sie sich den Fundort dieser Leiche nicht aus nächster Nähe anschauen müssen. Überzeugen Sie sich selbst.«
Westenhoff und Fröhlich folgten der fragwürdigen Einladung widerstrebend, Fröhlich mit verdrehten Augen.
Da die Spurensicherung nichts mehr ausrichten konnte, war der Tote mittlerweile mit einem Tuch bedeckt. Westenhoff bückte sich und zog es beiseite. Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Mit Mühe schaffte er es, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Leichenfraß oder postmortaler Tierfraß, wie die Rechtsmediziner es ausdrückten, in natura zu erleben, gehörte zu den unschönsten Momenten für Ermittler. Lediglich die groben Schuhe ließen darauf schließen, dass es sich um eine männliche Person handelte. Der gesamte Leichnam war ansonsten bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Selbst vor den Knochen hatten die Sauen nicht haltgemacht.
Fröhlich überwand sich und schaute sich den Toten so lange an, bis er glaubte, genug für die Ermittlungen gesehen zu haben. Dann ließ er Westenhoff mit einem vernichtenden Blick wissen, was er davon hielt, diesen Fall in der idyllischen Eifel unter der Kategorie gesunde Landluft zu verbuchen.
Westenhoff schaute betreten auf seine blank geputzten Schuhe. Es schien wirklich eine ziemlich bescheuerte Idee von ihm gewesen zu sein, den Fall aus reiner Freude an der Eifel und absolut ohne Not in ihre Zuständigkeit gezogen zu haben. Als er die Kollegen von der Spurensicherung fragte, ob sie am Fundort etwas Verwertbares gefunden hatten, trafen ihn ebenfalls vernichtende Blicke. Das konnte ja heiter werden.
Fröhlich hatte sich inzwischen von Gerhard Teufel den Personalausweis geben lassen und las laut vor: »Benno Meier, dreiundzwanzig Jahre, wohnhaft in Bonn. Geburtsort Bad Neuenahr-Ahrweiler. Kennen Sie diesen Benno Meier, Herr Teufel?«
»Kennen ist zu viel gesagt«, antwortete Teufel, »ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es sich um einen Sohn vom Meier-Hof handelt, ganz in der Nähe hier. Die haben vier Söhne. Die Familie gilt hier in der Gegend als sehr speziell. Die Rede ist immer nur von der Meierei.«
»Das heißt was?« Fröhlich schwante nichts Gutes.
»Es sind keine wirklich üblen Kerle, denke ich, aber eben sehr speziell. Fahren Sie hin und sehen sie selbst. Der Hof liegt am Rand vom Dorf. Vielleicht ist es ja auch gar nicht Benno, sondern nur sein Personalausweis. Woran soll man ihn auch erkennen? Hat es ja alles schon gegeben.«
»Kein Zweifel, wir sind in der Eifel«, brummte Fröhlich.
13. Kapitel
Mit langsamen Schritten bewegte sich Mülenberk auf die Schafherde zu. Die Hütehunde, die ihn rechts und links begleiteten, seit er sich der Herde auf zweihundert Meter genähert hatte, verunsicherten ihn, auch wenn sie eher einen neugierigen als aggressiven Eindruck machten, aber sicher war er sich eben nicht. Vorsichtshalber sprach er seinen beiden Begleitern freundlich zu, während er, nach der Schäferin Ausschau haltend, achtsam weiterging.
Ein kurzer Pfiff befreite ihn aus der für ihn schwer einzuschätzenden Lage. Die Hunde rannten los, um sich wieder um ihre Schafe zu kümmern, und wie aus dem Nichts stand Julia Scheffer vor ihm und taxierte ihn mit einem misstrauischen Blick. Ihr war nicht nur an den blutunterlaufenen Augen deutlich anzusehen, dass sie unter höchster emotionaler Anspannung stand.
»Es tut mir leid, ich komme besser ein andermal wieder, wenn es eher passt.« Mülenberk war klar, dass er in dieser Situation alles andere als willkommen war. »Sie sind sicher sehr von den Geschehnissen mitgenommen«, bemühte er sich um eine Entschuldigung.
Julia Scheffer sah Mülenberk lange mit ausdruckslosem Gesicht an. »Geschehnisse«, wiederholte sie schließlich, »Sie nennen das, was passiert ist, Geschehnisse? Sie haben ja keine Ahnung.«
»Hören Sie, es tut mir schrecklich leid, ich hätte nicht herkommen sollen. Ich habe tatsächlich keine Ahnung, was los ist.«
»Das haben Sie wirklich nicht«, sagte Julia Scheffer tonlos, »das haben Sie wirklich nicht.«
Mülenberk wandte sich zum Gehen. Jedes weitere Wort schien ihm fehl am Platze zu sein.
»Warten Sie!«, rief die Schäferin ihm hinterher. »Was wollen Sie eigentlich von mir? Sind Sie so ein mieser Schreiberling von der Presse, der den Polizeifunk abgehört hat und mich jetzt für seine Story befragen möchte?«
»Nein«, erwiderte Mülenberk leise, aber bestimmt, »es stimmt, fragen wollte ich Sie etwas. Ich bin aber weder von der Presse noch habe ich das geringste Interesse daran, etwas über Sie zu schreiben. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es tut mir leid, dass ich Sie zu einem gänzlich unpassenden Zeitpunkt aufgesucht habe. Bitte entschuldigen Sie.«
»Ist schon gut.« Julia Scheffer schnäuzte sich die Nase. »Und weshalb sind Sie dann hier? Wenn Sie schon einmal hier sind …« Sie sah ihn auffordernd an.
Unentschlossen wiegte Mülenberk mit dem Kopf hin und her. Was sollte schon passieren? Sie konnten beide das Gespräch, das ja an sich noch gar nicht begonnen hatte, immer noch abbrechen. »Kassiopeia meinte, Sie könnten mir etwas über den Wolf sagen«, begann er vorsichtig.
»So! Meinte Kassiopeia das?«
»Ja, sie sagte: Wenn du etwas mehr über die Wölfe hier in der Gegend wissen möchtest, frag’ die Schäferin. Deshalb bin ich hier.«
»Kommen Sie mit«, forderte sie Mülenberk knapp auf. »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Roman Mülenberk.«
»Julia Scheffer. Sag Julia.«
»Danke. Roman.« Mülenberk passte sich der Kurzsilbigkeit der Schäferin an, die ihn zu einem alten VW Bulli führte, der auch schon bessere Zeiten gekannt hatte.
»Mein Schätzchen«, erklärte Julia, als könne sie seine Gedanken lesen. »Werkstatt. Apotheke. Schlafzimmer. Esszimmer. Und fahren kann er auch. Den gebe ich erst her, wenn er keinen Ton mehr von sich gibt.« Dann setzte sie schulterzuckend hinterher: »Oder wenn ich Geld für einen Neuen habe.«
Sie setzten sich an einen kleinen Tisch im Innenraum.
Mülenberk, selber Wohnmobilist, fühlte sich gleich heimisch. Er war fasziniert von der Ordnung, die hier herrschte. Mit schlechtem Gewissen dachte er an den Saustall in seinem Wohnmobil.
»Den Namen habe ich einmal gehört«, überlegte Julia Scheffer, »die Leute reden manchmal über dich. Bist du nicht