Die große Pause. Bastian Bielendorfer
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Impressum
© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020
Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.
Projektleitung: Angela Gsell
Lektorat: Angela Gsell
Covergestaltung: Nadine Bielendorfer
eBook-Herstellung: Christina Bodner
ISBN 978-3-8338-7757-5
1. Auflage 2020
Bildnachweis
Coverabbildung: Stephan Pick
Illustrationen: Oksana Kumer, luplupme, 1stchoice, Li Tzu Chien, Alena Statsevich, balabolka
Syndication: www.seasons.agency
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Für meine Eltern
Manchmal endet die Party in einem brennenden Haus
erst dann, wenn jemand den Feueralarm drückt,
auch wenn vorher schon alle den Geruch von Rauch und
Flammen wahrgenommen haben.
PROLOG. NUHR DER ANFANG
Ich schwitze. Die Scheinwerfer über den leeren Stuhlreihen scheinen Löcher in meinen Pullover zu brennen, und der Gürtel an meiner Hose ist verrutscht, sodass er ungehindert in meinen Hüftspeck schneiden kann.
„Und bitte“, sagt der Redaktionsleiter, neben dem ein älterer Kollegen mit krausem, grauem Haar sitzt, der auf dem Bügel seiner Lesebrille herumkaut wie auf einem Knochen.
„Hallo …“, sage ich mit gepresster Stimme. „Hallo, liebes Publikum …“, versuche ich es erneut. Ich habe keinen Frosch im Hals, sondern ein komplettes norddeutsches Sumpfgebiet.
Ein Stuhl im hinteren Bereich des Saals fällt um. „Bitte Ruhe“, brüllt der mit dem Knochen, der sich als Reiner oder Heiner vorgestellt hat. Der Kameramann zu meiner Linken schaut an der quadratischen Öffnung seines Arbeitsgeräts vorbei und sieht mich genervt an.
Wieder so ein Anfänger kann ich an diesem Blick ablesen und schwitze noch mehr. Der Kameramann hat einen Dreitagebart, seine Augen werden halb von einer Schieberkappe verborgen und aus seinem Mund ragt ein Zahnstocher, der aussieht wie eine kleine Antenne.
Ganz langsam läuft ein Schweißtropfen meine Schläfe hinab und versickert in meinem Kinnbart. Am anderen Ende der schmalen Bühne erkenne ich einen Tisch, auf dem merkwürdigerweise eine Flasche Desinfektionsmittel steht. Ich bin kurz davor, die Flasche anzusetzen, um meinen staubtrockenen Mund zu befeuchten
„Noch mal!“, herrscht mich Heiner oder Reiner an, der Redaktionsleiter schiebt ein halbgares „Bitte“ hinterher.
Ich hasse Kameraproben. Sie sind aber Teil der Show, und jeder Kabarettist oder Komiker, der in einer TV-Sendung zu Gast ist, muss vor seinem Auftritt „trocken“ spielen, also vor ein paar Redakteuren und Technikern. Zum einen, um die Kameraleute verschiedene Positionen für den Auftritt testen zu lassen, zum anderen, um die Dauer und den Inhalt des Auftritts besser einschätzen zu können.
Je nachdem, wie subversiv der oder die Betreffende ist, kann die Redaktion so noch abschleifen oder verhindern, dass etwas über den Sender geht, für das man sich hinterher entschuldigen muss. Immerhin sind öffentlich-rechtliche Sender verpflichtet, jeden Brief und jede E-Mail zu beantworten und jeder Beschwerde nachzugehen, egal, wie abwegig sie auch ist. Bevor also der Posteingang nach einer Ausstrahlung explodiert, weiß die Redaktion gerne vorher, was der Künstler so vorhat.
Ich bin nicht gerade für meine Subversivität bekannt, eher für meine Tendenz, die vorgegebene Zeit zu überziehen. Heiner oder Reiner schaut mehrmals auf die Uhr, während ich mich durch mein Set stottere.
Obwohl mir mein erster TV-Auftritt damals als Kandidat bei „Wer wird Millionär“ einen Buchvertrag und meinen heutigen Job als Autor und Comedian beschert hat, gibt es für mich kaum etwas Entmutigenderes als Kameraproben. Auch wenn das Gehirn weiß, dass dort kein Publikum sitzt, das die Pointen belachen kann, lässt sich dieses Wissen nicht auf den Körper übertragen. Meine Hände sind eiskalt, die übergeworfene Bomberjacke zieht an meinen Schultern, als wäre sie mit Beton gefüllt, meine langen Beine zittern in zu engen Hosen, ich wanke leicht auf der Stelle hin und her.
Heiner oder Reiner und sein Redaktionsleiter sowie der Kameramann mit der Mundantenne sind kein gutes Substitut für ein echtes Publikum. Entweder ist ihnen in jahrelang antrainierter Professionalität das Lachen vergangen, oder sie finden mich einfach kacke.
Der einzige funkelnde Stern in diesem kalten, dunklen Universum eines öffentlich-rechtlichen Fernsehstudios ist das Gesicht meiner Managerin Nina, die sich abseits der Bühne postiert hat und mir zulächelt. Nina und ich arbeiten seit ein paar Jahren miteinander, und abgesehen von ihrem Spleen, sich immer mindestens drei Getränke auf einmal zu bestellen („Ich nehme ein stilles Wasser, eine Cola Zero und einen frisch gepressten Orangensaft, ach, haben Sie nicht, dann gar nichts, danke!“), ist sie einer der tollsten Menschen, die ich kenne.
Früher haben meine Lehrereltern, die gleichzeitig im Lehrerzimmer meiner Schule und in meinem Wohnzimmer saßen, mich auf- und wieder abgebaut, weil meine Mitschüler meinen Turnbeutel mal wieder ins Klo gesteckt hatten. Heute grinst mich meine kroatische Allzweckwaffe Nina mit gefühlt 52 Zähnen an und legt ihren Arm um mich.
Ohne Nina würde ich einen Großteil meiner Auftritte auf Geburtstagen von Oma Erna oder beim Jahresfest der Taubenzüchter bestreiten, weil ich nicht Nein sagen kann und niemanden enttäuschen will. Nina sagt oft Nein für mich und ist immer für mich da, besonders bei Auftritten wie dem heutigen. Sie steht wie eine Soccer-Mom neben der Bühne und lächelt mich an, nickt die einzelnen Zeilen ab und schafft es, dass sich das Öffentlich-gegrillt-Werden nur noch wie eine sehr heiße Sauna anfühlt.
Prompt vergesse ich meinen Anschlusssatz und krame unsicher in meiner Hosentasche herum. Meine kryptischen Entschuldigungen klingen wie eine Mischung aus „Tschuldigung“ und einem serbischen Geburtstagslied.
Mein Spickzettel ist durch den Angstschweiß leider völlig unbrauchbar geworden, und die Notizen, die ich mir hinter den Kulissen aufgeschrieben hatte, können nun selbst von einem zwölfköpfigen Team von Dechiffrierspezialisten nicht mehr entziffert