Die große Pause. Bastian Bielendorfer

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Die große Pause - Bastian Bielendorfer


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haltet, dann machen wir die Hütte dicht, verstanden?“.

      Anders als bei der Neujahrsansprache, der man wegen Raclette und Dinner for One eher weniger aufmerksam folgt, entscheidet bei dieser Rede jedes Wort darüber, wie die nächsten Wochen in Bundesdeutschland aussehen werden.

      Die Schreckensmeldungen aus Italien, wo sich offenbar Hunderte in einem Fußballstadion angesteckt und das Virus in der gesamten Lombardei verbreitet haben, verfehlen ihre Wirkung nicht. Mit einem mulmigen Gefühl denke ich daran, dass ich vor fast 500 Menschen in Berlin aufgetreten wäre, wenn ich nicht kurz zuvor die Reißleine gezogen hätte.

      Binnen weniger Tage sind wir alle unfreiwillig Akteure in einem Katastrophenfilm geworden, nur dass das wahre Leben wie immer weniger schillernd ist als ein Hollywood-Film. Da steht kein Independence Day Bill Pullmann als Präsident vor einem Hangar mit Kampfflugzeugen und sagt den Aliens den Kampf an, sondern da sitzt unsere Kanzlerin in Kornblumenblau und spricht mit nach unten gezogenen Mundwinkeln sachlich von einer sehr viel irdischeren, aber umso unheimlicheren Bedrohung.

      Jedes Mal, wenn ich mich davon überzeugen will, dass das Aussterben der Menschheit zwar eine persönliche, aber keine kosmische Katastrophe wäre, gehe ich auf die Facebook-Seite der Bild-Zeitung. Über 400 000 Leute verfolgen die Pressekonferenz von Angela Merkel nicht im Fernsehen, sondern über den Facebook-Kanal ihrer Lieblingszeitung und posten dort im Millisekundentakt Kommentare, die so irre sind, dass es fast Satire sein könnte.

      „Jetzt lügt sie wieder“, „Merkel muss weg“ und „Fake News, ihr seid alles Schafe“ sind noch die nettesten Ergebnisse, die man bekommt, wenn man die digitale Reuse in die Klärgrube des Bild-Publikums wirft.

      Eine schnelle Recherche meinerseits ergibt, dass ein großer Teil der Kommentatoren laut Facebook zur „Schule des Lebens“ oder nach „Hogwarts“ gegangen ist und als Profilfoto entweder ein Motorrad, einen breitschultrigen Hund oder eine Reichsfahne haben. Manche sogar einen breitschultrigen Hund auf einem Motorrad mit Reichsfahne.

      Nach der Rede zeigen die Tagesthemen einen Beitrag über Demonstranten, die sich in Berlin versammelt haben und schon mal vorsorglich gegen die vermeintlichen Unterdrückungsmaßnahmen der Regierung demonstrieren.

      Eine Frau hält ein Schild hoch „In der Deutschland GmbH gibt es keine Meinungsfreiheit“. Sie schreit in die Kamera: „Uns wird hier das Maul verboten!“

      Die Ironie der Situation scheint ihr zu entgehen: Bei einer öffentlichen Demo ruft sie in die Kamera des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass ihr der Staat keine Meinungsfreiheit zubilligt, und merkt selbst nicht, wie absurd widersprüchlich das ist.

      „Ich würde gerne morgen noch mal bummeln gehen, bevor das am Ende nicht mehr möglich ist. Angeblich haben die Läden in Einkaufszentren noch auf. Kommst du mit?“, sagt Nadja und schaut mich auffordernd an.

      Aus irgendeinem Grund schöpft meine Frau Befriedigung daraus, wenn ich sie beim Shoppen begleite und dann die ganze Zeit genervt wie ein bockiges Kind auf mein Handy starre.

      Manchmal habe ich den Verdacht, dass meine Frau aus meinem Leid ihre Energie zieht.

      „O bitte, nein!“

      „Doch. Mama hat auch gesagt, sie hat so schöne Westen bei Bonita gesehen. Außerdem brauchst du noch eine Übergangsjacke!“

      Schwiegermutter nickt.

      „Keine Widerrede, morgen wird geshoppt!“, sagt Nadja und drückt mir die Hand auf den Mund.

      Freie Meinungsäußerung existiert. Nur nicht in rechtsfreien Räumen wie der Ehe.

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      HOME-OFFICE-HEINI

      Im Fernsehen verkündet der Polit-Elvis Markus Söder die erste Ausgangssperre für ein Bundesland: Bayern. Man darf nur noch zum Einkaufen und zum Joggen vor die Tür und keine Leute mehr treffen. Für mich persönlich ist das kein großer Einschnitt, denn nach Bayern hat es mich Pottkind nie wirklich gezogen: Auf den Hausfassaden findet sich kein Ruß der Vergangenheit, und die Leute pflegen einen viel zu höflichen Umgang miteinander. Fast unerträglich. Außerdem gibt es dort für meinen Geschmack zu wenig Zechenwege und Opas mit Bierflaschen in der Hand, die sich an kleinen, windschiefen Kiosken Bratheringe aus einem braunsuppigen Glas fischen.

      Für alle anderen Bundesländer gilt weiterhin, dass man sich draußen aufhalten darf, um dann in kunstvollem Distanz-Pilates andere Fußgänger zu umtanzen oder hustenden Spaziergängern auszuweichen. Als wäre die Welt eine überdimensionale PacMan-Version, in der wir nicht wissen, wie viele Extraleben wir noch haben.

      Ich koche in Unterhose Ingwertee und schaue aus meinem Küchenfenster auf Köln hinaus, das ebenso verbaut und hässlich daliegt wie immer.

      Leider haben die Bauarbeiter vor meinem Fenster kein Home-Office und bohren sich weiter unermüdlich in den lehmigen Boden des Rheinlands. Der Dom steht schwarz im Zentrum der Stadt, der Rhein fließt als braune Suppe mit Hochwasser dahin, am Fenster fliegen ein paar Möwen vorbei, die sich wohl selbst wundern, warum sie nicht im Watt der Nordsee rumpicken dürfen, sondern die Rheinpromenaden vollkacken müssen. Eigentlich ist alles wie immer.

      Doch uneigentlich ist nichts wie immer.

      Im Fernsehen wird selbst auf RTL2, wo man sonst legasthenischen Sonnenbank-Abonnenten bei der Paarung an Traumstränden zuschauen muss, über nichts anderes mehr berichtet als über die Corona-Krise.

      Nur Schwiegermutter scheint von dem Ganzen irgendwie unberührt.

      Sie putzt weiterhin unsere Wohnung, als würde sie einen Tatort reinigen. Schon morgens, wenn ich aus dem Badezimmer schlappe, steht sie auf einer Trittleiter mit dem Kopf in der Dunstabzugshaube und reibt mit einem Spülschwamm das alte Fett aus den Fugen.

      Es ist ein bisschen so, als wären die Heinzelmännchen bei uns eingezogen: Man geht schlafen, und am nächsten Morgen ist die Wohnung aufgeräumt.

      Während ich meinen Ingwertee aufbrühe, steht sie neben mir am Herd, brät Apfelpfannkuchen und wippt mit der Hüfte zu den Bee Gees, die auf WDR 4 eine Hymne an die Discozeit jodeln.

      „Ach das war sooo schööön damals, als wir jung waren! Zu dem Song haben wir geknutscht. Ich mochte von den Bee Gees am liebsten den mit der hohen Stimme!“, flötet sie und macht einen Ausfallschritt auf dem Küchenfußboden. Dass alle Bee Gees hohe Stimmen hatten und diese Einordnung in etwa so präzise ist, wie „Ich mochte den in der Schlaghose“ oder „den mit der lustigen Frisur“ spare ich mir.

      Ich stupse sie mit meiner Hüfte als Tanzaufforderung an, treffe aber aufgrund des Größenunterschieds zwischen uns (Schwiegermutter misst gerade mal 1,50 Meter) fast ihre Schulter und schleudere sie ein Stück vom Herd weg. Zum Glück fängt sie noch die Pfanne mit dem Pfannkuchen ab, die schon im Begriff war, in die Spüle zu fliegen.

      „Was macht ihr denn da?“, fragt Nadja, die den Lärm gehört hat.

      „Nichts“, antworten Schwiegermutter und ich so synchron, dass es eindeutig als Lüge erkennbar ist.

      Unsere Corona-bedingte Zwangswohngemeinschaft fühlt sich ganz gut an. Noch. Mal schauen, wie es wird, wenn Schwiegermutter fertig damit ist, unsere Wohnung phantomzurenovieren.

      Wir haben Glück, denn wir sind alle gesund, Corona spielt sich im Moment da draußen vor dem Fenster ab und schaut nur über den Bildschirm in unsere Wohnung. Trotzdem ist der Zustand völlig unwirklich. Wann ich das nächste Mal auf einer Bühne stehen werde, steht derzeit in den Sternen. Mein sehr schnelles, sehr unstetes Leben als viel reisender Bühnengaukler, der 150 Tage im Jahr unterwegs ist, wurde so plötzlich gestoppt, als hätte jemand das Bungee-Seil gegen eine Eisenkette ausgetauscht. Ich mache jetzt „Home Office“, was auch immer das bei einem Komiker heißen soll.

      Heute musste ich für Nadja Abschminkpads einkaufen gehen – denn sie habe im Gegensatz zu mir einen


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