Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband. G. S. Friebel

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Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband - G. S. Friebel


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selbst ernähren.«

      »Du willst also durchbrennen?«

      Sie hatte jetzt ganz heiße Backen und sah zu Boden. Dann sagte sie aber trotzig: »Das geht Sie nichts an.«

      »Nein, das geht mich nichts an«, sagte er zweideutig, aber sie bemerkte es natürlich nicht.

      »Ich bräuchte jemanden, der mir meine Wohnung sauber macht. Würdest du dir das zutrauen?«

      Helga starrte ihn an. »Sie würden mich wirklich nehmen?«, rief sie voller Begeisterung.

      »Aber ja doch, Kleine! Ich wäre wirklich froh, wenn du es tun würdest.«

      Sie schwamm in Seligkeit. O du meine Güte, dachte sie bei sich. Das ist ja wie im Film, nein, wie im Märchen. Vorhin haben mich meine Freundinnen noch ausgelacht. Und jetzt ist hier ein Schauspieler, und ich soll bei ihm arbeiten – wenn auch zuerst nur seine Wohnung rein gehalten werden soll. Du meine Güte, das kann ich ja nun wirklich! Aber bestimmt werde ich viele tolle Leute kennenlernen und eines Tages …

      Ihr war richtig schwindlig.

      »Was ist jetzt?«, sagte er und täuschte Eile vor. »Ich hab nicht viel Zeit, Kleine.«

      »Ich hab aber nichts bei mir. Ich meine, keinen Koffer und so. Und zurück kann ich auch nicht, meine Eltern …«

      »Du liebe Güte, Kleinchen, glaubst du wirklich, in Köln gibt es keine Geschäfte? Morgen machen sie auf, und wir kaufen dann für dich alles ein.«

      »Das wollen Sie wirklich tun?«

      Helga schwebte auf Wolken. Und sie dachte keinen Augenblick daran, dass ein wirklich vielbeschäftigter Schauspieler sich bestimmt nicht mit einer total fremden Person abgeben würde, und erst recht nicht jemanden in sein Haus aufnehmen würde, den er nicht kannte. Helga dachte gar nicht. Im Augenblick hatte sie nur Stroh im Kopf.

      Selig stieg sie in den todschicken Wagen und ließ sich genüsslich in die weichen Polster gleiten. Sie träumte von der ganz großen Welt.

      Und der Zuhälter? Was dachte er? Leichter kann es wirklich nicht gehen. Wenn ich das den anderen erzähle, werden sie es mir nicht glauben, wirklich nicht. Und dazu noch ganz unverdorbenes Gemüse! Also, die ist wirklich so blöd, wie sie lang ist. Na ja, bald werden ihr die Augen aufgehen. Aber dann, Püppchen, dann ist es zu spät für dich. Pech für dich, Glück für mich. Die erste Zeit wirst du das große Geld für mich scheffeln, und wenn du aufsässig wirst, setze ich dich beim nächsten Pokerspiel ein, und dann kann ein anderer mit dir machen, wozu er Lust hat.

      »Ist es sehr weit bis nach Köln?«

      »Fünfzig Kilometer. Warst du denn noch nie dort?«

      »Doch, mit der Schule, einmal. Da haben wir dort den Dom und Museen besucht.«

      »Also, dort war ich noch nie«, sagte der Zuhälter.

      »Es war auch furchtbar langweilig«, sagte Helga und lachte.

      »Wie heißt du eigentlich?«

      »Helga Wenda«, sagte sie eifrig wie ein kleiner Hund, der gehorsam alles tut, was von ihm verlangt wird.

      »Mein Name ist Roger«, sagte der Zuhälter. Er sprach es natürlich englisch aus.

      Die Kleine war hingerissen. Sie hatte es ja gleich gewusst, er war eine Berühmtheit. In ihrem Dorf hieß keiner Roger. Hänschen und Josef, Paul, Peter – wenn’s ganz hoch kam, dann wohl mal Martin oder Andreas. Roger, himmlisch, wie hübsch das doch klang.

      »In Köln ist das Leben wohl aufregend, wie?«

      Voll Vertrauen blickte sie ihn an. Und der Mann kannte kein Erbarmen und auch kein Mitleid. Die ganze Zeit ödete ihn das dumme Gerede der Kleinen an, aber er hielt sich zurück. Zuerst wollte er sie fest im Griff haben, dann würde sich sein Wesen ändern. Sie würde schon noch Augen machen.

      »Erzähl doch von zu Hause«, sagte er. Schließlich musste er wissen, was auf ihn zukam. Aber vorläufig würde man die Kleine nirgends finden. Und niemand hatte sie beobachtet, als sie in seinen Wagen eingestiegen war. Die Bullen konnten sich die Augen aus dem Kopf suchen. Er hatte es aber auch mal mit Eltern zu tun gehabt, die nicht locker gelassen hatten. Sie hatten sich selbst auf die Suche gemacht und alles in Köln, das hieß die berüchtigten Kneipen, Straßen und Bars abgesucht. Zum Glück hatte er sofort einen Hinweis bekommen, so hatte er das Gänschen gleich nach Frankreich bringen lassen. Das war ein richtiges Verlustgeschäft gewesen. Aber immer noch besser, auf Geld zu verzichten, als im Knast zu landen. Dazu war das Leben viel zu schön und er außerdem noch zu jung.

      Unbefangen erzählte Helga von daheim – von der Eintönigkeit des Lebens, von den einfachen Eltern, dem zankenden Bruder und ihrer Chefin. Der Zuhälter wusste nun, dass die sich nicht auf die Strümpfe machen würden, um ihre Tochter in Köln zu suchen. Dazu waren sie zu einfach und zu unbeholfen. Sie würden der Polizei eine Nachricht geben, die würde ein wenig suchen, und dann würde Gras über die Sache wachsen. In drei bis vier Wochen also hatte sich alles beruhigt. Und dann konnte er sie auf die Straße schicken und das große Geld verdienen lassen. Vorher würde sie im Geheimen für ihn auf Anschaffe gehen. In Köln gab es die geheimen Clubs, von denen nicht mal die Polizei etwas wusste. Nur Eingeweihte und deren Begleiter hatten Zutritt zu diesen Hinterräumen oder Kellergewölben.

      3

      Sie hatten die Stadtgrenze erreicht. Hier war der Verkehr so stark, dass sie nur zögernd weiterkamen. Roger fuhr am Rhein entlang. Unten an der Bayenstraße begann der einfache Strich, etwas höher auf dem Leystapel Holzmarkt wurden schon in den Lokalen die leckeren Sachen angeboten, wie der Kölner sagte.

      Zwischen Bischofsgartenstraße und der Rheingaustraße spielte sich ein großer Teil des Kölner Nachtlebens ab. Oben am Hansaring waren wieder Dirnen, die kein festes Haus vorzogen. Das war sozusagen die Spätlese, wie sie im Fachjargon der Zuhälter genannt wurden. Sie waren alle schon über vierzig und oft ziemlich aufgeblasen. Mit ihnen war also nicht mehr viel zu verdienen. Die konnten sogar frei stehen, ohne Zuhälter. Meistens hatten sie ihren eigenen kleinen Lui, und der war natürlich um vieles jünger als sie – so ein kleiner Strichkater, der sich die ersten Lorbeeren verdiente und sich schon für einen ganz großen Zuhälter hielt, wenn er zwei Dirnen von der Spätlese für sich laufen ließen.

      Roger hatte dafür nur ein verächtliches Lächeln. Er war wirklich ein ganz Großer. Allein der Wagen, den er fuhr, hatte seine fünfzigtausend Mark gekostet, alles von den Bienen eingebracht. Dann der Ring am linken kleinen Finger – ein wundervoller, reinrassiger Diamant, ohne Einschlüsse, ganz klar und herrlich geschliffen. Ein Schlag damit ins Gesicht, und die ganze Haut war aufgerissen. Andere benutzten Totschläger, er brauchte nur seinen Ring dazu – und den benutzte er oft, wenn eine Dirne aufsässig wurde. Das waren nur kleine Strafen, er konnte auch noch ganz anders sein. Doch gewöhnlich hatten sie solche Angst vor ihm, dass sie sofort kuschten.

      Sein Reich war alles um den Hohenstaufenring, Hohenzollernring bis hinauf zum Kaiser-Wilhelm-Ring. Über Strip, Tanz und Cabarets, Tingel-Tangels und Transvestitentreffs, Bars mit Unterhaltungsdamen und Nightclubs mit Show gab es hier einfach alles für die gehobenere Brieftasche. Nicht zu vergessen der Autostrich, der eine ganz große Einnahme war. Das waren auch

      die besseren Dirnen, die mit eigenem Auto kamen und mitunter pro Nacht an die tausend Mark verdienten.

      Roger hatte in vielen Dingen seine Finger stecken und schwamm demnach auch in Geld. Aber er lebte sehr großzügig. Da er selbst sich nicht anstrengen musste, um das viele Geld zu verdienen, warf er es auch leicht aus dem Fenster. Mit Poker und Wetten hatte er schon Unsummen verloren.

      Seine pompöse Wohnung lag in der Friesenstraße, mitten im Herzen des berüchtigten Viertels. Natürlich konnte Helga das nicht wissen.

      Sie saß mit weit aufgerissenen Augen im Wagen und blickte auf die Straße. Und wenn sie an einer Ampel halten mussten, dann lehnte sie sich genüsslich zurück und sah hochmütig auf die Fußgänger, als wollte sie sagen: Ihr könnt nicht in so einem todschicken Wagen sitzen und euch


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