WIN - With Intention Now. Christian Jaerschke
Читать онлайн книгу.man ursprünglich eine Trainingsmethode zur Stabilisierung und Optimierung sportlicher Bewegungsabläufe.
„[…] Mentales Training als Überbegriff für planmäßig wiederholtes, bewusstes Sich-Vorstellen einer sportlichen Handlung ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung […]“17
Bei diesem Kino im Kopf geht es also um das systematische gedankliche Durchspielen der Bewegungsabläufe. Übrigens: Mit der Vorstellung von Bewegungen (und der internen Repräsentation) beschäftigten sich Mediziner und Psychologen seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts.18
Der sogenannte Carpenter-Effekt besagt, dass jede Vorstellung einer Bewegung eine Reaktion in den dazugehörigen Muskelgruppen auslöst.19 William Benjamin Carpenter, ein englischer Naturwissenschaftler, nach dem der Effekt benannt wurde, beschrieb diesen ideomotorischen Effekt zum ersten Mal 1852.20
Ole, Tänzer, hat folgende Erfahrungen gemacht: „In meiner Zeit als Bundesligatänzer hatte ich schon oft den Carpenter-Effekt gespürt, weil wir jedes Mal vor unsere Turnierrunden einen Mentaldurchgang legten, bei dem wir als Team in der Kabine unsere Turniermusik mit geschlossenen Augen anhörten. Durch die Visualisierung konnte ich immer die Muskeln spüren, die ich auch an der passenden Musikstelle tatsächlich benutzte.“
Katrin, eine Tennisspielerin, beschreibt ihre Erfahrungen mit dem Carpenter-Effekt wie folgt: „Ich habe schon viele gute Erfahrungen im Tennismatch damit gemacht, indem ich mir Bewegungsabläufe vorstellte. Das war besonders hilfreich, wenn ich bei einem Schlag ein paar Mal den gleichen Fehler gemacht habe und eigentlich wusste, warum der Schlag nicht perfekt lief. Dann war die Vorstellung der richtigen Bewegung und auch des Gefühls beim Schlag hilfreich, um die Fehlerquote deutlich zu senken. Außerdem habe ich diese Technik in engen Spielsituationen genutzt, um mich auf mein Spiel zu konzentrieren und beispielsweise nicht vom knappen Spielstand abgelenkt zu werden.“
Thomas, Tennisspieler, hat ebenfalls einige Verbesserungen bemerkt: „Seit ich um den Carpenter-Effekt weiß, ist mir aufgefallen, dass ich einige Übungen besser umsetzen konnte, sie gingen mir besser von der Hand. Zum Beispiel hatte ich immer Probleme beim Ablauf ‚cross, longline, Vorhand cross, Vorhand inside out, Angriffsball, Volley weg’. Durch die Umsetzung und die Vorstellung dieser Bewegungen konnte ich diese Übungen endlich besser durchführen und hatte ein sichereres Gefühl.“
Einen Hinweis habe ich noch: Weil der Carpenter-Effekt einfach nur bewirkt, dass jede Vorstellung einer Bewegung eine Reaktion in den dazugehörigen Muskelgruppen auslöst, kann das auch unerwünschte Folgen haben, zum Beispiel Schmerz kurzzeitig verstärken.
Jana, Fußballerin, berichtet: „Eine Verletzung macht mir immer noch etwas Sorgen. Zumeist denke ich positiv, ab und an erwische ich mich aber auch dabei, dass ich zweifle und mir das Missgeschick wieder vor Augen führe. Und dann spüre ich die Verletzung bzw. den Schmerz erst recht.“
Janas Erfahrung hat auch etwas mit dem sogenannten Noceboeffekt zu tun (mehr dazu in Kapitel 2.12). Für den Moment reicht es zu wissen, wie der Carpenter-Effekt wirkt, um das zu verhindern.
MENTALTRAINING IM WEITEREN SINNE
Im Laufe der Zeit hat sich das Sportmentaltraining stark weiterentwickelt und ist mehr als mentales Techniktraining. Mentaltraining im weiteren Sinne bedeutet die systematische Unterstützung von Sportlern über das mentale Techniktraining hinaus durch ein umfangreiches Methoden-Buffet.
Dabei werden zwei wesentliche Ziele verfolgt:
1. Beschleunigung der Leistungsentwicklung (und Steigerung der Lerngeschwindigkeit)
2. optimaler Abruf der Trainingsleistung im Wettkampf (oder in jeglichen Situationen, in denen es darauf ankommt)
Das heißt Hilfe zur Selbsthilfe, die aber auch die Mitarbeit des Sportlers zwingend erfordert.
FAKTEN- UND STUDIENLAGE
Das Interesse an Sportmentaltraining und auch die Akzeptanz im Leistungs- und Profi-Sport haben zugenommen. Trotzdem sind Zweifel an der Wirksamkeit des Mentaltrainings immer noch weitverbreitet. Vielleicht ist es sogar eine natürliche Reaktion, erst einmal skeptisch zu sein, wenn etwas (noch) nicht Mainstream ist.
Aus meiner Erfahrung als Wettkampfsportler und der als Sportmentaltrainer mit Athleten weiß ich, dass selbst Sportler, die bereits offen für Mentaltraining sind, manchmal daran zweifeln, dass das Mentaltraining oder eine bestimmte Mentaltechnik oder -methode auch bei ihnen wirkt. Sie können sich schon vorstellen, dass es etwas bei anderen bewirkt, nur eben nicht bei ihnen selbst.
Falls es dir ähnlich geht, sage ich dir: Das ist eine völlig normale Reaktion. In den ersten Jahren, in denen ich mich intensiv mit Mentaltraining beschäftigt habe, fand ich das alles sehr interessant und faszinierend, was damit möglich schien. Ich habe das Wissen aufgesogen wie ein Schwamm das Wasser. Punkt. Gemacht habe ich damit allerdings lange nichts, weil ich nicht glauben konnte oder wollte, dass so einfach ein Fortschritt bei mir möglich sein könnte.
Vielleicht war es auch eine unbewusste Angst davor, damit Erfolg zu haben. Heute vertrete ich die Hypothese, dass die Angst vor (persönlichem) Erfolg ein weitverbreitetes Phänomen ist, das viele Menschen daran hindert, ihr Potenzial voll zu entfalten.
Weil es nützlich ist, mehr über Mentaltraining zu wissen und um mehr Vertrauen in die Wirksamkeit des Sportmentaltrainings zu gewinnen, habe ich in diesem Kapitel einige Fakten und Studienergebnisse zusammengestellt.
Die meisten wissenschaftlichen Erhebungen stammen aus der Sportpsychologie. Es gibt eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit den Auswirkungen des mentalen Trainings beschäftigen.
Schon in den 70er- und 80er-Jahren wurden viele Studien über die Wirksamkeit von mentalem Training durchgeführt. Eine der am meisten zitierten Studien stammt von Feltz und Landers.21 Sie führten eine Metaanalyse von über 60 Studien durch, die bis dahin zum Thema Mentaltraining erschienen und die an 144 Personenstichproben sowie anhand unterschiedlichster Aufgabenstellungen durchgeführt worden war.
Die Ergebnisse dieser und weiterer Studien lassen sich in vier zentralen Aussagen zusammenfassen:22
1. Mentales Training begünstigt grundsätzlich sowohl den Erwerb von Fertigkeiten als auch deren anschließende Verbesserung.
2. Mentales Training ist wirksamer als gar kein (praktisches) Training. Gerade für Zeiten, in denen kein praktisches Training möglich ist (z. B. trainingsfreie Zeiten, Regenerationszeiten, Verletzungspausen, Rehabilitationsphasen), ist das eine gute Nachricht.
3. Die Wirkung von mentalem Training ist geringer als die Wirkung von praktischem Training. Das überrascht nicht und ist wichtig für den richtigen Umgang mit dem Mentaltraining. Denn mentales Training kann und soll das praktische Training nicht ersetzen, sondern sinnvoll erweitern.
4. Den größten Leistungsfortschritt verspricht die Kombination aus praktischem Training und Mentaltraining.
Eine Reihe von Studien belegen auch die Beschleunigung der Leistungsentwicklung durch gezieltes Mentaltraining:
• schnellere Trainingsfortschritte real und mental: 15 Prozent23
• 200 Prozent Leistungssteigerung in einer Woche (Studie mit 40 Tischtennis-Anfängern im Alter von 19 bis 27 Jahren)24
• mentales Krafttraining: 22 Prozent Kraftzuwachs in vier Wochen25
Ähnliche Ergebnisse belegen Untersuchungen mit Musikern. Eine dieser Studien wurde von der Pianistin Tatjana Orloff-Tschekorsky 1996 in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln durchgeführt.
Was sind Orloff-Tschekorskys Erkenntnisse?26
Orloff-Tschekorsky trainierte Klavierstudenten für einige Wochen mental mit einem umfassenden Trainingsprogramm. Es enthielt Entspannungstechniken und psychologische Programme zur Vorbereitung auf das motorische und mentale Üben. Ihre Studenten verbesserten