Fesche Lola, brave Liesel. Heinrich Thies
Читать онлайн книгу.prügelten sich Kinder publikumswirksam um eine Tafel Schokolade.
Berlin mühte sich, den Amerikanern Konkurrenz im Filmgeschäft zu machen, und Marlene Dietrich war dabei. In Joe Mays Film Tragödie der Liebe, der 1923 in die Kinos kam, spielte sie die aufreizende Geliebte eines Staatsanwalts: Lucie, ein Flittchen. Es war nur eine kleine Rolle, im Schatten von Stars wie Rudolf Forster und Emil Jannings, mit dem sie hier zum ersten Mal gemeinsam auftrat. Doch Marlene warf sich mächtig ins Zeug, um sich die Rolle zu sichern. Für die Bewerbung schlüpfte sie in ein Chiffonkleid mit tiefem Ausschnitt, streifte sich grellgrüne Handschuhe über, klemmte sich ein Monokel ins Auge und stöckelte in hochhackigen Schuhen durchs Studio. Dabei sah sie nicht nur verführerisch aus, sondern vor allem lächerlich. Auch der Regieassistent Rudolf Sieber, betraut mit der Auswahl der Nebendarsteller, musste sich das Lachen verkneifen. Trotzdem engagierte er die junge Schauspielerin – und verliebte sich in sie.
Der Funke sprang über. »Er war so schön«, erinnerte sich Marlene Dietrich später. »Sein blondes Haar glänzte, und er war angezogen wie ein englischer Lord auf seinem Landsitz. Ein kleiner Regieassistent beim Film in echtem Tweed? Na, ich wusste sofort, dass ich ihn liebte.«
Der fünf Jahre ältere Regieassistent aus dem Sudetenland war zwar bereits verlobt, aber das änderte nichts daran, dass er Marlene schon wenige Wochen nach den Dreharbeiten Ende 1922 einen Heiratsantrag machte.
Josephine von Losch war anfangs gar nicht begeistert, als Rudolf Sieber bei ihr um die Hand ihrer Jüngsten anhielt. Sie hatte sich für ihre Marie Magdalene eine bessere Partie erhofft als so einen mittellosen Filmfritzen. Andererseits konnte sie es nicht mehr mit ansehen, wie das Mädel immer tiefer im Sumpf dieses Lotterlebens versank. Sie hoffte, dass sie nach der Heirat endlich die Schauspielerei aufgeben würde. Schließlich ließ sie sich sogar als Trauzeugin einspannen, als die beiden am 17. Mai 1923 auf dem Standesamt Berlin-Friedenau den Bund der Ehe eingingen.
Marlene war erst einundzwanzig. Glaubt man ihren Erinnerungen, schloss sich an die standesamtliche Prozedur eine feierliche Trauung in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an. Ihrer Autobiographie zufolge wäre Marlene am liebsten in einer Pferdekutsche mit wehendem weißem Schleier vorgefahren. Ihre Mutter mietete aber einen amerikanischen Straßenkreuzer, einen Packard. Marlene, heißt es, nutzte das schützende Dunkel im Innern des Autos, um den Myrtenkranz zu lösen, den ihre Mutter ihr zuvor geflochten und als Zeichen der Jungfräulichkeit aufgesetzt hatte. Denn Jungfrau war sie seit der Vergewaltigung in Weimar nicht mehr. »Es gibt Dinge, die man nie vergisst«, notierte sie kurze Zeit später in ihrem Tagebuch und erinnerte sich voll Bitterkeit und Sarkasmus an die »Trauung von Weimar«, die »all das Trübe mit dem Liegenlassen der Geige« nach sich gezogen habe.
Die Hoffnungen ihrer Mutter erfüllten sich nicht. Marlene ließ sich durch ihre Heirat keineswegs zur züchtigen Hausfrau machen. Schon im Juni 1923 trat sie in einer »Hintertreppen-Tragikomödie« mit dem Titel Zwischen neun und neun wieder vor einem Theaterpublikum auf, und im Juli stand sie erneut vor der Kamera – diesmal in einer Nebenrolle als Badenixe am Ostseestrand in dem Film Der Sprung ins Leben von Johannes Guter. Weitere Bühnenauftritte schlossen sich in rascher Folge an. Sie spielte in der Farce Mein Vetter Eduard, sie mimte die Hippolyta in Shakespeares Sommernachtstraum, sie mischte als frühreifes Schulmädchen mit in Wedekinds Frühlings Erwachen, sie verwandelte sich in ein Dienstmädchen in Der eingebildete Kranke von Molière.
Dann aber kam eine neue Rolle auf sie zu: Marlene, die jetzt laut Ausweis Marie Magdalene Sieber hieß, wurde schwanger und am 13. Dezember 1924, zwei Wochen vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, Mutter eines Mädchens, das sie Maria nannten.
Sie nahm ihre neue Rolle ernst. Wenn sie auch bald wieder in Filmen und Theaterstücken mitspielte, wurde die Tochter zu ihrem Lebensmittelpunkt. Die Zeit zwischen ihren Auftritten verbrachte sie jetzt, wann immer es ihr möglich war, bei ihrer Maria in einer Wohnung in der Kaiserallee, die ihre Mutter für sie in der Nähe ihres eigenen Hauses gemietet hatte.
Marlene Dietrich und ihre Tochter Maria im Hawaii-Look mit Papierblumen im Haar (1931).
Am 18. Oktober 1926 schrieb sie in ihr Tagebuch:
Das Kind ist alles. Ich habe nichts sonst! Mutti ist immer noch so himmlisch gut, und das Kind macht ihr so viel Freude. Ich fange langsam an, ein bisschen abzuzahlen an Liebe. Sonst ist nichts! Ich spiele Theater, mache Filme und verdiene viel Geld. Ich habe eben dies Buch durchgelesen! Gott, wo ist der Überschwang der Gefühle! Alles vorbei!
Kein Mensch versteht, dass ich an dem Kind so hänge, weil keiner weiß, dass ich sonst nichts habe. Ich selbst erlebe nichts. Als Frau nichts und als Mensch nichts.
Die Ehe mit Rudi war von leidenschaftlicher Liebe weit entfernt. Nach außen hin galten die beiden als Traumpaar, zwei bildschöne Menschen, die scheinbar wie geschaffen füreinander waren. Sie lächelten verliebt in die Kameras, wenn sie fotografiert wurden – ob beim Berliner Presseball oder am Strand von Swinemünde. Doch in sexueller Hinsicht kamen sich die beiden seit der Schwangerschaft offenbar nicht mehr besonders nahe. Sie nannten sich »Papi« und »Mutti« und lebten zusammen wie Bruder und Schwester. Maria schrieb viele Jahre später über ihre Mutter:
Marlene hatte leidenschaftlichen Romanzen schon immer den Vorzug vor purer Sexualität gegeben. Nur aus ehelichem Pflichtgefühl vermochte sie den Liebesakt zu erdulden. Jetzt diente ihr die vage Ausflucht, das Kind könne Schaden nehmen, als Vorwand, die körperliche Liebe endgültig aus ihrer Ehe zu verbannen. Der liebende Gatte stimmte allem zu, was sie für richtig hielt.
Durch ihr Kind und den Umzug in die Kaiserallee war Marlene ihrer Schwester wieder näher gekommen. Auch in deren Leben war eine Veränderung eingetreten. »Es geht ihr oft nicht gut«, schrieb Marlene am 18. Oktober 1926 in ihr Tagebuch. »Man kann ihr nicht helfen. Ich liebe sie sehr.«
5 Aus Fräulein Dietrich wird Frau Will
Wieder läuten die Hochzeitsglocken, wieder steht ein Brautpaar vor dem Altar der Gedächtniskirche. Diesmal trägt Elisabeth den Schleier. Der Bräutigam überragt sie um mindestens dreißig Zentimeter: Georg Hugo Will, ein stämmiger Mann in schwarzem Frack, der einen Zylinder in der Rechten trägt. Ein Mann wie eine deutsche Eiche. Elisabeth kommt sich wie eine Zwergin vor neben diesem Riesen mit Fliege.
Der Pastor hat aus der Bibel gelesen, über die Kraft der Liebe gepredigt, aber auch anklingen lassen, dass das Leben keine einzige Hochzeit ist, sondern Tiefen und Zerreißproben bereithält.
Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade …
Jetzt wird es ernst. Die Trauzeremonie beginnt. Elisabeth lässt ihre Augen kurz durch die Kirche schweifen, die nur in den ersten vier oder fünf Reihen gefüllt ist. Ganz vorn, mit gewohnt strengem Blick, ihre Mutter, daneben Marlene und Rudi in ihrer strahlenden Schönheit. Die kleine Maria thront auf dem Schoß ihres Vaters und starrt mit großen Augen auf den Mann im Talar und das Brautpaar mit den Trauzeugen.
Elisabeth senkt den Blick, sie hört die Orgel brausen, hört, wie der Pastor zur Gemeinde spricht, aber die Worte dringen nicht zu ihr vor, sie kommen ihr vor wie mahnendes Raunen aus nebelhafter Ferne. Sie spürt, wie ihr Herz pocht und die Hitze ihr ins Gesicht schießt. Am liebsten würde sie sich in Luft auflösen. Aber das geht natürlich nicht. Denn jetzt spricht der Pastor sie direkt an, drückt mit mildem Lächeln seine Freude darüber aus, dass sie beide gewillt sind, vor Gott den Bund der Ehe zu schließen. Die entscheidende Frage aber richtet der Geistliche zuerst an Georg. Die Antwort schallt so laut durchs Kirchenschiff, dass niemand sie überhören kann: »Ja, mit Gottes Hilfe.« Georg war schließlich mal Schauspieler und weiß, wie man sich Gehör verschafft.
»Ottilie Josephine Elisabeth Dietrich, willst du Georg Hugo Will, den Gott dir anvertraut, als deinen Ehemann lieben und ehren und die Ehe mit ihm nach Gottes Gebot und Verheißung führen – in guten wie in bösen Tagen, bis der Tod euch scheidet –, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe.«
»Ja, mit Gottes Hilfe.«
Die Stimme klingt dünner