Arlo Finch (3). Im Königreich der Schatten. John August

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Arlo Finch (3). Im Königreich der Schatten - John August


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zwölf. Wir sind weit hinter der Zeit.«

      Jaycee gab ihm recht. »Ich rufe am besten von meinem Handy aus an. Er wird die Nummer erkennen.« Sie öffnete den Reißverschluss ihres Rucksacks und kramte ihr Handy heraus.

      Arlo unterbrach sie, als sie es gerade anschalten wollte.

      »Warte«, sagte er. »Noch einen Moment.«

      »Warum?«

      Er konnte es nicht erklären, zumindest nicht auf vernünftige Art und Weise. Vielleicht war es die Erschöpfung. Vielleicht war es die Reizüberflutung aufgrund der vielen Farben und Menschen und Gerüche. Aber Arlo war überzeugt, dass es ein Fehler war, das Handy anzuschalten. Ein Eingeständnis. Ein Verrat.

      Nachdem sie den ganzen langen Weg nach China gegangen waren, den ganzen Weg bis zum Apartment ihres Dads, fühlte es sich wie Betrug an, sich auf den letzten Metern auf die moderne Technik zu verlassen. Es war, als würde man bei einem Marathon mit dem Auto über die Ziellinie fahren. Es war wie aufgeben. Wie kapitulieren.

      Sechs Wochen lang – drei Jahre lang – hatte Arlo Finch gehofft, dass er wieder mit seinem Vater vereint werden würde. Er hatte sogar eine ganz genaue Vorstellung von ihrem Wiedersehen gehabt. Ihr Dad machte die Tür auf und sah seine Tochter und seinen Sohn und sagte überrascht …

      »Jaycee? Arlo?«

       Moment. Diese Stimme war real.

      Sie drehten sich um und sahen ihren Vater mitten auf der Straße stehen.

      Clark Finch trug Cargo-Shorts, Sandalen und ein graues T-Shirt. Er hatte eine Tüte mit Lebensmitteln im Arm. Er war kleiner, als Arlo ihn in Erinnerung hatte, und dünner – die Art von Details, die man bei einem Videoanruf nicht sieht. Jaycee ließ ihren Rucksack fallen und hüpfte auf ihn zu.

      Arlo hatte gar nicht gemerkt, dass seine Füße sich bewegten, kam aber trotzdem bei den beiden an. Jaycee machte Platz, sein Vater hob ihn hoch und umarmte ihn fest. Arlo erkannte seine knochigen Schultern wieder, das Kratzen seines Barts, den Geruch seiner Haut.

      »Was macht ihr hier?«, flüsterte ihr Vater.

      »Wir sind gekommen, um dich nach Hause zu holen.«

      STAATSFEINDE

      Das Apartment ihres Vaters war so klein, dass man kaum beide Arme darin ausstrecken konnte.

      Jaycee hatte es nach ihrem Besuch im Sommer beschrieben, doch Arlo hatte angenommen, sie würde übertreiben. Eher aber hatte sie untertrieben – es war mehr Zelle als Wohnung, darin nicht mehr als ein Bett, ein Tisch und ein Regal unter dem Fenster, auf dem eine Mikrowelle und ein Reiskocher standen. Das Badezimmer lag am Ende des Flurs. Ihr Dad musste es sich mit allen Bewohnern des Stockwerks teilen.

      Arlo, Jaycee und Wu beobachteten von der Tür aus, wie Clark Finch eilig seinen Laptop und ein paar Festplatten in einen Leinenrucksack warf. Draußen war ein Gewitter aufgezogen.

      »Wir haben unsere Handys nicht angemacht«, sagte Arlo. »Wir wollten keine digitalen Fußabdrücke hinterlassen.«

      »Das ist gut«, sagte Clark. »Hat euch irgendjemand nach eurem Namen oder nach euren Ausweisen gefragt?«

      »Nein«, sagte Arlo. »Wir haben im Park mit ein paar Rangern geredet, unsere Namen haben wir ihnen aber nicht genannt, oder?« Nach Bestätigung suchend, sah er zu Wu.

      »Wir haben nur gesagt, dass wir aus Colorado kommen«, sagte Wu.

      Clark warf einen Blick auf die Familienfotos, die an der Wand klebten, riss eines davon ab und gab es Arlo. »Ist das irgendwo online?« Das Foto zeigte den Blauen Trupp nach dem Ehrengericht im Winter, als Arlo sein Eichhörnchen-Abzeichen bekommen hatte. Arlo hatte die Namen seiner Freunde dazugeschrieben, damit sein Dad wusste, wovon er sprach.

      Arlo seufzte. »Ja. Ich bin sicher, es ist auf der Website.« Es würde nicht schwer sein, sie alle zu identifizieren.

      »Es waren auch nicht nur die Ranger im Park«, sagte Jaycee. »Da war noch der Taxifahrer.«

      Das schien Clark zu beunruhigen. »Hatte er ein Navi? Hat er diese Adresse eingegeben?«

      Arlo versuchte, sich an das Armaturenbrett des Taxis zu erinnern. Er konnte das Taxameter und das Handy des Fahrers in der Halterung vor sich sehen. Aber war da eine Karte gewesen? Er wusste es nicht mehr.

      »Ich glaube nicht, dass ich ihm die Adresse genannt habe, nur die Gegend«, sagte Wu.

      »Spielt das überhaupt eine Rolle?«, fragte Jaycee. »Ich dachte, nur die Amerikaner wären hinter dir her.«

      Clark öffnete die Mikrowelle und legte ein paar kleine elektronische Geräte und USB-Sticks hinein. »Um mich mache ich mir keine Sorgen. Ihr drei seid ohne Visa, ohne irgendwelche Papiere im Land. Die Behörden könnten euch einsperren und es gäbe keine Möglichkeit, euch rauszuholen. Sie könnten behaupten, euch gar nicht in Haft zu haben.«

      »Es ist alles okay«, sagte Arlo. »Ernsthaft. Wir müssen nur zurück zu diesem Park, dann kann ich uns durch die Long Woods bringen.«

      Clark Finch schloss die Klappe der Mikrowelle. »Ich verstehe immer noch nicht, was du mit ›Long Woods‹ meinst. Ist das eine Gruppe oder ein Schiff oder was? Ich muss wissen, wo wir hingehen.«

      Jaycee nahm ihren Vater am Arm. »Sieh mal, Dad, ich verstehe es auch nicht. Aber ich verstehe auch deinen Computerkram nicht. Ich weiß nur, dass es real ist und funktioniert. Du musst Arlo vertrauen. Er kann das.«

      Arlo spürte, dass er rot wurde. Noch nie hatte er seine Schwester so über sich reden hören.

      Clark drehte am Schalter der Mikrowelle. Fast augenblicklich zischte und knallte es darin. Die empfindlichen elektronischen Geräte begannen zu schmelzen. Für die Behörden würde es unmöglich sein, die gespeicherten Daten auszulesen.

      Clark Finch musterte seinen Sohn. »Also gut. Gehen wir zu diesen Woods.«

      Die Hintertreppe endete an einer Stahltür, die auf eine schmale Gasse führte. Clark bedeutete den dreien, sich im Hintergrund zu halten, dann streckte er den Kopf raus und zog ihn gleich wieder ein. »Auf der Straße ist Polizei.«

      »Wegen uns?«, fragte Wu.

      »Könnte auch etwas anderes sein. Wir sollten …« Das Kreischen einer Sirene ließ ihn innehalten. Ein Motorrad donnerte in die Gasse. Seine rotblauen Lichter spiegelten sich in einer Regenpfütze vor der Tür. Clark Finch zog sie zu und schloss ab.

      Gleich darauf rüttelte ein Polizist von außen an ihr und stellte fest, dass sie verriegelt war. Dann folgte ein Wortschwall auf Chinesisch aus einem Walkie-Talkie. Der Polizist antwortete darauf. Wu und Clark hörten aufmerksam zu.

      »Zwei amerikanische Jungs und ein Mädchen«, übersetzte Wu flüsternd. »Sie wissen, dass wir hier sind.«

      »Führt noch ein anderer Weg nach draußen?«, flüsterte Arlo.

      »Nur der Eingang. Aber den werden sie auch bewachen.« Clark Finch führte sie zurück ins Treppenhaus.

      Wu beugte sich zu Arlo. »Du könntest einen Knauten machen. Wir könnten uns an ihnen vorbeistehlen.«

      »Kann ich nicht«, sagte Arlo. Als er das letzte Mal einen Knauten gemacht hatte, wäre er fast gestorben. Die silberne Schnur, die seinen Geist mit seinem Körper verband, war beim Dehnen so dünn geworden, dass sie beinahe gerissen wäre. Davon abgesehen, war sich Arlo nicht sicher, ob er so weit entfernt von den Long Woods überhaupt einen Knauten machen konnte.

      Clark fummelte an seinem Handy herum. »Ich glaube, wir können an ihnen vorbeikommen«, sagte er. »Für den Fall der Fälle habe ich etwas vorbereitet. So eine Art Notausstieg. Ich muss nur noch ein paar Variablen einstellen.« Arlo beobachtete, wie sein Dad einen Bildschirm voller Codes nach


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