Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts. Sandy Palmer

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Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts - Sandy Palmer


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      Ich kann sie nur fassungslos anstarren und glaube zu ersticken. Mein Herz hört auf zu schlagen. Der Boden unter mir gibt nach. Die Wände des Ganges, in dem wir stehen, drehen sich in absurdem Tempo.

      „Es tut mir leid“, höre ich sie wie aus weiter Ferne sagen. Sie wendet sich ab, verschwindet hinter der Bibliothekstür, lässt mich in einem Zustand völliger Bestürzung zurück. Glich ich in der vorletzten Nacht einem vom Blick der Gorgo Medusa Versteinerten, so gleiche ich jetzt wohl einem Menschen, der zusehen muss, wie die Welt untergeht.

      4

      Tatsächlich ging damals für mich die Welt unter. Durch nichts war Irmi zu bewegen, ihre Entscheidung rückgängig zu machen oder auch nur zu begründen. Ich glaube, ich hätte mir die Brust aufreißen und ihr mein gebrochenes Herz zeigen können; es hätte nichts genutzt. Homer würde sagen: Die Augen standen ihr wie Horn oder Eisen unbewegt in den Lidern. Aus purer Verzweiflung beendete ich meine Arbeit am Thesaurus – mein Stipendium lief ohnedies mit Ende August aus; allerdings hatte ich bereits um Verlängerung angesucht – und kehrte München den Rücken. Irmi hingegen (das weiß ich durch die regelmäßigen Rundbriefe an ehemalige Mitarbeiter) blieb am Thesaurus, und wir verloren uns gänzlich aus den Augen. Was nicht heißen soll, dass ich sie jemals vergessen hätte. Nein, die Erinnerung an sie und unsere Liebe ließ mich niemals los und hörte niemals auf, mich zu verfolgen. Und immer wieder fragte ich mich: Was habe ich nur falsch gemacht? Sie hat mich doch geliebt, vielleicht nicht so inbrünstig wie ich sie. Oder vielleicht doch? Einem mit mehr Erfahrung, als ich damals hatte, wäre solches sicher nicht passiert. Was hätte der anders, was hätte er besser gemacht?

      Tatsache ist: Ich besaß praktisch null Erfahrung. Wo hätte ich mir auch eine solche erwerben sollen, aufgewachsen, wie ich bin, in streng katholischem Milieu: in einer frommen Familie und in einer geistlichen Knabenschule? Heutzutage sind ja schon die Kleinen mehr oder weniger aufgeklärt und haben zumindest eine dunkle Ahnung vom Unterschied zwischen Männlein und Weiblein und dessen Zweck. Wir hingegen – ach Gott, wir waren ja so was von unaufgeklärt. Unschuldig nannte man es damals. Wie „unschuldig“, soll ein Beispiel zeigen: Schon als Zehn-, Zwölf-, Vierzehnjähriger durfte (oder musste) ich des Öfteren mit einer Gleichaltrigen schlafen. Sie hieß Karin, und ihre und meine Eltern waren befreundet. Und immer dann, wenn ein Elternpaar am Abend ausging, wurden wir in der jeweils anderen Familie zusammengesteckt, soll heißen, mussten wir zusammen in einem Bett, unter derselben Decke, schlafen, fühlten uns wie ein richtiges Ehepaar und kamen uns ungeheuer erwachsen vor. Und da erhebt sich nun die Frage: Was trieben wir unter der Decke? Die richtige Antwort lautet: Nichts. Gar nichts. Wir waren ahnungslose Engel und wären nie auf die Idee gekommen, dass man da etwas treiben könnte, ebenso wenig wie anscheinend unsere Eltern.

      Zum Glück kamen sie auch nicht auf die Idee, mich als Ministrant betätigen zu lassen oder in ein geistliches Internat zu stecken. In Melk, wo wir lebten, gab es ja ein solches, angeschlossen an das von mir besuchte geistliche Gymnasium in dem berühmten Kloster, das unsere kleine Stadt im buchstäblichen Sinne überragt. So kam ich nicht in Gefahr, durch das süße Begehren allzu kinderliebender Priester allzu früh meine sogenannte Unschuld zu verlieren, sondern wurde von der offiziellen katholischen Lehre geprägt, und die besagt: Meide die Frauen als Gefäß der Sünde und hüte dich vor jeder Unkeuschheit, sei es in Gedanken, Worten oder Taten; denn das wäre eine Sünde wider das sechste Gebot. Wobei uns nie erklärt wurde, was das Wörtchen unkeusch bedeuten soll; ich konnte mir darunter absolut nichts vorstellen, so sehr ich mich auch vor jeder Beichte bemühte, nicht einmal, als mich zu gegebener Zeit die sogenannten feuchten Träume heimzusuchen begannen.

      Diese waren mir nämlich über alle Begriffe peinlich, schon zu Hause, noch mehr aber, als ich in Wien zu studieren begann und zunächst bei einer Tante, einer sogenannten alten Jungfer, Unterschlupf fand. Niemand hat sich jemals dazu herabgelassen, mir dieses Phänomen zu erklären (oder auch andere, etwa den Umstand, dass ich bei Zugfahrten regelmäßig von Dauererektionen gepeinigt wurde). Und mir zu verraten, was man dagegen unternehmen könnte, fiel natürlich niemandem ein – außer der Frau Jirka, einer Freundin meiner Tante.

      Wie diese war Frau Jirka uralt, wohlgemerkt, in meinen damaligen Augen. Heute kann ich über eine solche Einschätzung nur lachen. Objektiv betrachtet, war weder die Tante noch Frau Jirka alt. Noch dazu war diese deutlich jünger als die Tante. Sie war Witwe. Ihr Mann war im Krieg gefallen. Damals, erzählte sie mir, habe man in der Regel besonders früh und besonders schnell geheiratet, nämlich für den Fall, dass der Mann nicht mehr heimkommen sollte, ein Fall, der bei ihr tatsächlich eingetreten sei. Und so habe der Sohn, der auf die Welt kam, als sein Vater nicht mehr unter den Lebenden weilte, wenigstens nicht als uneheliches Kind gegolten und habe seinen Namen tragen können. (Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie grausam damals die unehelichen Kinder und deren Mütter diskriminiert wurden. Um ein harmloses Beispiel zu geben: Ein Religionslehrer, zugleich Pfarrer der Gemeinde, legte sein Veto gegen ein Sehrgut in Betragen ein, das die übrigen Lehrer für das Zeugnis einer braven Schülerin vorgesehen hatten. Seine Begründung: Sie ist doch ein uneheliches Kind.)

      5

      Zurück zu Frau Jirka. Sie lud mich ein, sie zu besuchen und mich von ihr bewirten zu lassen, damit ich nicht ganz vom Fleisch falle; ein paar Kilo mehr könnte ich recht gut vertragen (womit sie nicht ganz unrecht gehabt haben dürfte). Und nachdem sie ihre Einladung mehrere Male wiederholt hatte, besuchte ich sie eines Abends und erlebte Unglaubliches, Unerhörtes, Ungeheuerliches.

      Die Bewirtung sah nämlich so aus. Zuerst gab es ein wirklich köstliches Abendessen zu zweit (ihr Sohn war nicht zu sehen), gefolgt von einem kleinen Trinkgelage. Zu diesem Zweck zogen wir uns auf eine bequeme Couch zurück, in die man sich, wie damals üblich, förmlich fallen lassen musste, weil sie so niedrig war. Die Folge war, dass der Saum ihres Kleides über die Knie hinaufrutschte. Weibliche Knie hatten ja unbedingt bedeckt zu sein, und wann immer das Missgeschick passierte, dass sie sichtbar wurden, legten die Frauen größten Wert darauf, das Kleid augenblicklich wieder über die Knie zu ziehen, um nicht als unmoralisches Geschöpf verdammt zu werden.

      Frau Jirka aber achtete nicht darauf. Wahrscheinlich war unsere Stimmung schon viel zu heiter, als dass sie sich um derartige Kinkerlitzchen gekümmert hätte. Mich störte es im Übrigen ebenso wenig. Im Gegenteil, ich konnte meine Augen kaum noch von ihren reizvollen Knien abwenden. Es war, als sende ihr bloßer Anblick eine geheime Botschaft an einen Bereich in mir, der mir bisher verschlossen gewesen war und sich soeben einen winzigen Spalt weit geöffnet hatte. Der Frau Jirka konnte das nicht verborgen bleiben.

      „Oh, entschuldigen Sie“, sagte sie, scheinbar zerknirscht, und begann mit wenig Erfolg am Saum ihres Kleides zu zupfen (aber zugleich lachte ihr der Schalk aus den Augen). „Was werden Sie jetzt von mir denken?“

      Ich


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